DOMRADIO.DE: Die Eichsfelder gelten als kirchentreu. Christian Stöber hat über sie das Buch "Rosenkranzkommunismus" geschrieben. Woher kommt diese Kirchentreue?
Christian Stöber (pädagogischer und wissenschaftlicher Leiter Grenzmuseum Schifflersgrund): Der katholische Glaube ist im Eichsfeld tief verwurzelt, das kommt aus alten Mainzer Zeiten. Der Glaube hat sich verfestigt. Man war immer umringt vom Protestantismus wie in einer Art Insellage. Seit 1949 wurde man zusätzlich vom Kommunismus umgeben und hat sich dagegen gewehrt.
DOMRADIO.DE: Die SED hat 1958 zum Beispiel den sogenannten Eichsfeld Plan beschlossen. Die Idee war, mittels Industrialisierung die Menschen von der Kirche wegzulotsen. Der Plan ist nicht wirklich aufgegangen. Warum sind die Menschen da so hartnäckig?
Stöber: Das lag zum einen an der Mehrheitssituation und an der Geschlossenheit des katholischen Milieus, was es einem erleichtert hat, sich in bestimmten Fragen zu verweigern, etwa bei der Jugendweihe. Die SED war in der Region relativ schwach, war nicht so tief verwurzelt wie in anderen Regionen. Diese Anti-Kirchenpolitik der DDR schweißte zusammen. Das zeigte sich regelmäßig bei den großen Prozessionen und Wallfahrten, die durchaus auch als Machtdemonstration gegenüber dem Staat und als kritische Gegenöffentlichkeit verstanden werden können.
Wir können das insgesamt an ganz vielen Indikatoren ablesen, wie Eichsfeld, nicht unbedingt wie das gallische Dorf, aber doch stets renitent verweigernd dem Staat und der Staatspartei SED Sorge und große Probleme bereitet hat.
DOMRADIO.DE: Hatte das politische Konsequenzen und Nachteile?
Stöber: Die SED ist ein bisschen umgeschwenkt, nachdem man in den 50er und 60er Jahren gemerkt hat, man kann dieses katholisch Milieu und die katholische Kirche in Eichsfeld nicht zurückdrängen. Mit dem Hintergedanken, vom Vatikan anerkannt zu werden, hat man so getan, als ob hier im Eichsfeld der katholische Glauben frei ausgelebt werden könne. Frei nach der angeblichen Religionsfreiheit, die in der DDR geherrscht hat. So hat sich das Blatt ein bisschen gewendet. Aber die Eichsfelder haben sich bis zum Ende nie klein kriegen lassen.
DOMRADIO.DE: Wie sah das denn aus bei den Protesten 89 gegen Ende? Welche Rolle haben da die Katholiken im Eichsfeld gespielt?
Stöber: Sie haben eine große Rolle gespielt. Die Revolution beginnt im Eichsfeld relativ spät, nimmt dann aber eine umso schnellere Eigendynamik an. Das heißt, wir haben einen schnellen politischen Umbruch. Die Demonstrationen beginnen mit den Friedensgebeten in den katholischen Kirchen, hier im Eichsfeld, in Heiligenstadt, Leinefelde oder Dingelstädt. Die Demonstrationen wachsen an.
Es werden neben den allgemeinen politischen Forderungen nach Freiheit und Demokratie auch kirchliche Kernforderungen von den Rednern vorgetragen, die oftmals aus den Kirchengemeinderäten kamen. Das ist dann auch kein Zufall, dass der bis heute amtierende Landrat im Eichsfeld schon 89 als erster Nicht-SEDler in der damaligen DDR ins Amt gekommen ist. Bis heute sitzt er regelmäßig sonntags in der Kirche und spielt Orgel. Es gibt also Katholiken, die hier im Eichsfeld eine tragende Rolle spielen.
DOMRADIO.DE: Die Zahlen der Kirchenmitglieder, katholische wie evangelische, sind rückläufig. Wie sieht die Entwicklung denn bei Ihnen im Eichsfeld aus?
Stöber: Nach 1990 gab es relativ schnell die Stimmen, dass das katholische Milieu zusammenbrechen würde. Das hat sich bis heute noch nicht bewahrheitet. Das katholische Milieu ist sicherlich im Wandel begriffen. Wir verzeichnen aber weiterhin bei den Prozessionen, Wallfahrten oder auch bei den Gottesdiensten relativ große Teilnehmerzahlen.
Vielleicht steckt gerade in der heutige Situation, in der Zeit der Globalisierung, bei der Suche nach Sinngebung und Orientierung eine große Chance für die katholische Kirche. Das katholische Milieu präsentiert sich im Eichsfeld immer noch sehr intakt und zeigt sich auch als Stabilitätsanker der Demokratie. Das haben wir jetzt auch jüngst erst in Thüringen bei den Landtagswahlen gesehen.
DOMRADIO.DE: Das Eichsfeld hat bis heute relativ geringe Arbeitslosenzahlen und eine hohe Geburtenrate - im Vergleich mit anderen Regionen in Ostdeutschland. Ist diese Prägung heute auch noch ein Faktor?
Stöber: Ja, wir haben eine verbunden mit dem katholischen Glauben ausgeprägte Heimatverbundenheit, eine relativ große Rückkehrerquote. Man profitiert sicherlich auch, obwohl man eine ländliche Region ist, von den Autobahnanbindungen an Göttingen und Kassel. Man kann viel kompensieren und steht - wirtschaftlich gesehen - als einer der besten Kreise da.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.