War der Staat bei Kampf gegen Missbrauch in Kirchen zu lax?

Juristisch unbegründete "Hemmungen"

Für den Missbrauchsskandal der Kirchen in Deutschland sind nach Auffassung des Göttinger Staatskirchenrechtlers Hans Michael Heinig staatliche Strafverfolgungsbehörden mitverantwortlich. Sie hätten zu wenig nachdrücklich agiert.

Polizeibeamte in einer Kirchenbank / © Karl-Josef Hildenbrand/dpa-Pool (KNA)
Polizeibeamte in einer Kirchenbank / © Karl-Josef Hildenbrand/dpa-Pool ( KNA )

Sie seien aus einem falschen Verständnis der grundgesetzlich verankerten Kirchenautonomie Fällen von sexualisierter Gewalt durch Kirchenmitarbeitende nicht im notwendigen Maß nachgegangen, sagte Heinig am Samstag in Berlin.

Bei einer Tagung über "Religionspolitische Reformperspektiven für die Kirchen" erklärte er, diese Rechtsauffassung habe zu juristisch unbegründeten "Hemmungen" geführt.

Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft

Wegen ihres Status' einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit autonomen Gestaltungsmöglichkeiten seien die Kirchen in besonderem Maße zur Rechtstreue gegenüber staatlichen Gesetzen verpflichtet, so der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Wenn eine Kirche weiterhin wie früher Missbrauchsfälle systematisch vertuschen würde, wäre dieser Rechtsstatus infrage gestellt. Damit sind Privilegien verbunden wie die Möglichkeit, Kirchensteuern zu erheben oder Mitspracherechte in Gremien zu erhalten.

Thomas Schüller / © Lars Berg (KNA)
Thomas Schüller / © Lars Berg ( KNA )

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller betonte, die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen staatlichen Erwartungen an die Kirchen, in der Gesellschaft Sinn und Beziehungen zu stiften, seien wegen des Mitgliederschwundes immer weniger erfüllbar. "Die ethischen Positionen der Kirchen verhallen weithin ungehört", sagte Schüller.

Anstelle des Körperschaftsstatus' könnten begründete Sonderrechte für Religionsgemeinschaften auch auf anderem gesetzlichem Weg verankert werden.

Vorzüge des deutschen Religionsverfassungsrechtes

Auch die Göttinger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus betonte, der Körperschaftsstatus sei nicht erforderlich, um die Stellung etwa muslimischer Religionsgemeinschaften zu verbessern.

Historiker Thomas Großbölting (l) und Klaus Große Kracht zur Münsteraner Studie / © Guido Kirchner (dpa)
Historiker Thomas Großbölting (l) und Klaus Große Kracht zur Münsteraner Studie / © Guido Kirchner ( dpa )

So sei es auch ohne diese Rechtsstellung gelungen, etwa muslimischen Religionsunterricht an Schulen sowie Seelsorge in Strafanstalten und Krankenhäusern zu etablieren.

Der Darmstädter Theologe und Sozialethiker Hermann-Josef Große Kracht stellte dagegen die Vorzüge des deutschen Religionsverfassungsrechtes heraus. Er äußerte die Vermutung, dass sich die katholische Kirche ohne den Körperschaftsstatus in eine "fundamentalistische Ecke zurückziehen" würde. Das Modell einer vielfältigen Mitwirkung an gesellschaftlichen Aufgaben führe dagegen zur "Disziplinierung und Demokratisierung der Kirche".

Bischof Wilmer für größere Rolle des Staates bei Missbrauchsaufarbeitung

Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer plädiert dafür, dass der Staat eine größere Rolle bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in seiner Kirche übernimmt.

Wenn die Staatsanwaltschaften noch stärker als jetzt die Initiative dazu übernehmen wollten, sei er sofort dazu bereit, sagte Wilmer in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er begrüße es, dass die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag die Aufarbeitung zumindest begleiten und kontrollieren wolle.

Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim / © Harald Oppitz (KNA)
Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA