Warum alttestamentliche Propheten in die Kritik geraten

"Das Konfrontative zur Darstellung bringen"

Die neuen Prophetenfiguren auf der Kuppel des Berliner Schlosses sind umstritten, weil sie wohl auch durch rechte Spender ermöglicht wurden. Der Berliner Theologe Georg Essen erklärt den Streit um das historischen Erbe der Stadt.

Spiegelung vom Fernsehturm und dem Berliner Stadtschloss / © Gordon Welters (KNA)
Spiegelung vom Fernsehturm und dem Berliner Stadtschloss / © Gordon Welters ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das originale Stadtschloss wurde im Zweiten Weltkrieg erst stark beschädigt, dann später gesprengt. Das heutige Gebäude ist weitgehend rekonstruiert. Jetzt mal auf den Punkt gebracht: Ist die Rekonstruktion oder Wiedererrichtung von im Krieg zerstörten Gebäuden ein politisch rechtes Anliegen. Also jetzt gerne auch zweideutig gemeint...

Prof. Dr. Georg Essen / © M. Heyde (HUB)
Prof. Dr. Georg Essen / © M. Heyde ( HUB )

Prof. Dr. Georg Essen (Professor für Systematische Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin und Leiter des Zentralinstituts für Katholische Theologie): Im politischen Sinne ist es mit Sicherheit nicht einfach ein rechtes Anliegen. Das wird man nicht sagen können. Da steckt Identitätssuche hinter oder dass die Abgründe zugeschüttet werden sollen. Das ist immer sehr hoch ambivalent. 

Wie geht man mit den Brüchen um? Ist es überhaupt ein Bruch? Zum Beispiel hier in Berlin bei der Zerstörung durch den Nationalsozialismus des Berliner Stadtschlosses. Allerdings wird man ja auch sagen müssen: Da stand später der Palast der Republik. Das ist immer die schwierige Frage, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen, was Architekturgeschichte angeht und die Antworten sind, denken Sie an den an die Puppenstube Prinzipalmarkt in Münster, sehr unterschiedlich.

Georg Essen

"Hier in Berlin geht es rauer und zugespitzter zu."

DOMRADIO.DE: Beim Berliner Schloss gerät nach seinem Wiederaufbau vor allem die religiöse Ausschmückung mit christlichen Symbolen wie dem Kreuz auf der Kuppel oder dem Schriftband mit dem Text aus dem Philipperhymnus in die Kritik. Nun stören sich manche gar an alttestamentlichen, also jüdischen Propheten. Tut man sich in Berlin mit religiöser Symbolik etwas schwerer als andernorts? "Die Welt" hat getitelt: "Acht Juden treiben die Linken in den Wahnsinn". Ist das zutreffend oder wie sehen Sie das aus Berliner Perspektive?

Essen: Aus Berliner Perspektive würde ich sagen: Hier sind die Wogen in den Debatten aggressiver, aufgerauter als anderswo. Aber dass wir in der säkularen, pluralen Gesellschaft nicht wissen, wie wir mit unserem historischen Erbe und auch unserem christlichen Erbe umgehen, das ist, denke ich, generell überall der Fall. Aber hier in Berlin geht es rauer und zugespitzter zu. Das gilt in der Tat. 

Insgesamt zeigt sich allerdings an diesem Beispiel natürlich auch, dass in säkularen Gesellschaften der Deutungsbedarf noch höher ist, weil wir ja doch auch sehen, dass die Polemiken nicht immer der Sache angemessen sind.

 Kuppel der Berliner Burg (Humboldt Forum) / © Ina Meer Sommer (shutterstock)
Kuppel der Berliner Burg (Humboldt Forum) / © Ina Meer Sommer ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Blicken wir jetzt mal vom Berliner Schloss auf die Potsdamer Garnisonkirche, einem für die jüngere deutsche Geschichte ja sehr bedeutsamen Ort. Die evangelische Kirche unterstützt den Wiederaufbau und will das Gotteshaus als Versöhnungszentrum fördern. Kritiker befürchten, der Ort könne zum Anziehungspunkt für Rechtsextreme werden. Lässt sich hier die Kirche national-restaurativ vereinnahmen? Was denken Sie?

Essen: Man wird niemals sagen können, dass das bewusst so gewollt ist in der Potsdamer Garnisonskirche, sondern das ist der ernsthafte Versuch, mit dem umstrittenen Erbe umzugehen. Es ist der Versuch, die Brüche auch klar erkennbar zu lassen in der Grundproblematik. 

Aber es ist natürlich auch eine Art der Identitätssuche der hiesigen Landeskirche, die natürlich auch von Preußen stark geprägt ist – die Einheit von Thron und Altar. Das sind doch auch alles religiöse Umschreibungen im Verhältnis von Staat und Kirche, die vermutlich in der hiesigen protestantischen Landeskirche stärker nachwirkt als bei uns in der katholischen Kirche.

Georg Essen

"Ich halte historisierende Rekonstruktionen niemals für das geeignete Mittel mit den Widersprüchen umzugehen."

DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie als Theologe auf Geschichte, auf historische Objekte, für deren Erhalt oder auch in diesem Fall auch für deren Wiederherstellung Personen auch Geld geben, die eine Grundeinstellung haben, die moralisch fragwürdig ist?

Essen: Ich führe das gerne eng auf die Situation des Berliner Stadtschlosses. Hier hat sich der Bundestag eindeutig für eine historisierende Rekonstruktion entschieden. Dazu gehört, dass man auch die ganze Emblematik, alle Symbole rekonstruiert. Darum auch das Kreuz, diese Inschrift und jetzt diese Figuren, die gehören zum historischen Ensemble hinzu. 

Wenn Sie mich als Theologen fragen, aber auch einfach als jemand, der hier in Berlin lebt und sich mit seiner Stadt und ihrer Geschichte auseinandersetzt, halte ich historisierende Rekonstruktionen in der Architektur niemals für das geeignete Mittel mit den Umbrüchen, mit den Abbrüchen und den Widersprüchen wirklich umzugehen. 

Von außen her wirkt eben die gesamte Fassade und alles was man sieht, sehr hübsch, sehr faszinierend und von innen sowieso. Aber die Brüche werden nicht wirklich sichtbar. Das ist ja nicht nur das alte Berliner Stadtschloss. Dort stand der Palast der Republik. Ich hätte mir tatsächlich eine Architektur gewünscht, die diese Brüche massiv auch im Gegensatz, also modern und als historisches Zitat, doch deutlich widersprüchlicher gewünscht. Das wäre der Situation wirklich gerecht geworden.

DOMRADIO.DE: Aber Berlin hat ja doch relativ viele Narben, die diese Brüche auch an anderer Stelle zeigen, zum Beispiel die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Georg Essen

"Berlin ist so divers, dass jedes Ensemble diese Widersprüche zur Darstellung bringen muss."

Essen: Das stimmt. Aber da sieht man, dass man beides zugleich gemacht hat. Erstens sieht man den Turm, der kriegsbeschädigt ist, das ist kein historisch wieder aufgehübschter Turm und zweitens hat man diesen sehr modernen Bau, alles in einem Ensemble. Und so etwas hätte ich mir fürs Berliner Stadtschloss auch gewünscht. 

Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin  / © 4kclips (shutterstock)
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin / © 4kclips ( shutterstock )

Es gibt nicht die Arbeitsteilung: dort sieht man in die Abgründe der Geschichte hinein und dort haben wir ein romantisches Verhältnis zu ihr. Berlin ist so divers und so unterschiedlich, auch architekturhistorisch und städtegeschichtlich, dass jedes Ensemble für sich diese Widersprüche symbolisch zur Darstellung bringen muss.

DOMRADIO.DE: Was denken Sie, wie sollte man jetzt damit umgehen, um vielleicht doch noch aus diesen alttestamentlichen Propheten, aus dem Kreuz, aus diesem Spruch aus dem Philipperhymnus dennoch etwas zu kreieren, was für die Gesellschaft in Berlin und darüber hinaus vielleicht versöhnend oder einend sein könnte?

Essen: Auf der einen Seite wird man einfach aufklären müssen. Was hier unterstellt wird, dass es eine fürchterlich christozentrische Deutung ist oder der in der Tat sehr missliche Spruch, der da nun einmal ist "Alle Knie mögen sich nieder beugen." 

Es ist vermutlich so, dass von dem König, der das alles gebaut hat, es als Demutsgeste gemeint ist. Das war ein frommer, preußischer König, voll von protestantischem, lutherischen Sündenbewusstsein. Er war zwar beseelt vom Gottesgnadentum seines Königreiches und seines Königtums, aber dennoch: Als frommer Lutheraner ist mit Sicherheit das Beugen der Knie eine Demutsgeste gewesen. 

Innenhof des Berliner Stadtschlosses / © Britta Pedersen (dpa)
Innenhof des Berliner Stadtschlosses / © Britta Pedersen ( dpa )

Außerdem darf man ja nicht vergessen: Es ist die Abschlusskuppel über seiner Privatkapelle. Die Symbolisierung der Einheit von Thron und Altar geschieht nicht dort, sondern geschah immer und eigentlich auch historisch bis heute im Berliner Schloss. Mit anderen Worten, das erste, was getan werden muss, ist differenzieren, aufklären. Wir müssen alles, was dort ist, historisieren und so darstellen. 

Auf der anderen Seite halte ich von dieser typisch Berliner Bilderstürmerei – wir kennen das auch von verschiedenen Straßennamen, die jetzt getilgt werden sollen – in der Regel nichts. Sondern ich finde, dass man jetzt die Widersprüche, die es gibt, zur Darstellung bringen sollte. Es gab mal die Idee, zeitweise Bildprojektionen in der Dunkelheit auf die Fassaden zu werfen, um die Kontroverse, um das Konfrontative zur Darstellung zu bringen. Solche symbolische Aktionen halte ich für das Geeignete.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens. 

Quelle:
DR