domradio.de: Werden demnächst muslimische Richterinnen mit Kopftuch in deutschen Gerichten sitzen?
Hans Markus Heimann (Professor für öffentliches Recht und Staatstheorie): In der Entscheidung ging es noch gar nicht um eine Richterin, sondern um eine Rechtsreferendarin. Darin liegt ein Unterschied, weil hier noch der Ausbildungsaspekt mit zu berücksichtigen ist. Das heißt: Rechtsreferendare sind noch in der Ausbildung, bevor sie ihr zweites Staatsexamen machen, um dann im Anschluss einen juristischen Beruf wie beispielsweise auch den des Rechtsanwalts wählen zu können.
domradio.de: Die Entscheidung ist ja eine Abwägung - was gilt mehr, die Religionsfreiheit einer einzelnen Person oder die Religionsneutralität, die der Staat garantieren muss? Bei der muslimischen Lehrerin hat der Staat entschieden, hier geht die Religionsfreiheit vor - warum dann also nicht vor Gericht?
Heimann: Also interessanterweise fand hier gar keine Abwägung statt, sondern die Entscheidung bewegt sich ganz auf der Linie der ersten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2003, die die Glaubensfreiheit deutlich stärker gewichtete als zuvor. Das Bundesverfassungsgericht setzte für derartige Verbote hohe Hürden.
domradio.de: Welche Hürden?
Heimann: Das Bundesverfassungsgericht hat damals gesagt, wenn ein Beamter oder sonstiger Staatsbediensteter für die Ausübung seiner Tätigkeit derartige Vorgaben durch den Staat bekommt, greift dies in seine Grundrechte ein, so wie bei jedem anderen Bürger auch.
domradio.de: Das heißt konkret was?
Heimann: Wenn der Staat der Mitarbeiterin die Auflage macht, kein Kopftuch zu tragen, dann greift er in die Religionsfreiheit ein. Dafür braucht es eine eindeutige gesetzliche Regelung. Das heißt, das kann die Verwaltung nicht einfach so machen, das muss der Gesetzgeber ausdrücklich entscheiden. In Bayern fehlt aber eben eine solche Regelung.
domradio.de: Also Rechtsreferendarinnen sind doch - wie Richter auch - zur religiösen Neutralität verpflichtet - und die ist doch nicht mehr gewährleistet, wenn eine Rechts-Referendarin ein Kopftuch trägt, also so offen demonstriert, dass sie Muslimin ist?
Heimann: Es gab ja im vergangenen Jahr die zweite Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen für unzulässig erklärte. Also glaube ich, dass es im aktuellen Fall wahrscheinlicher wäre, dass hier die Religionsfreiheit der Referendarin gegenüber der Neutralitätspflicht des Staates dominiert. Für eine Referendarin ist die Neutralität anders zu bewerten als bei einem Richter.
domradio.de: Wie wäre das denn bei einem Richter, der über die Robe ein Kreuz um den Hals trägt? Ginge das?
Heimann: Wie das bei einem Richter wäre, ist derzeit noch eine hypothetische Frage. Das deutsche Richtergesetz sieht vor, dass sich der Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Wenn dies als gesetzliche Grundlage ausreichte, wäre jetzt die Frage: Ist das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährdet? Der Richter soll in besonderer Weise neutral sein, er ist nur an das Gesetz gebunden. Das wird auch ganz stark durch seine Robe nach außen symbolisiert. Und da müsste man schon sehr genau darüber nachdenken, ob - anders als bei sonstigen Beamten - ein Problem darin liegt, wenn ein Richter ein Kreuz trägt oder eine Richterin ein Kopftuch: Die Abwägung könnte durchaus zu Lasten der Religionsfreiheit ausgehen.
domradio.de: Was glauben Sie, wie wird dieser Rechtsstreit ausgehen?
Heimann: Ich glaube, dass die Referendarin auch in den weiteren Instanzen Recht bekommen wird, denn es ist in der ersten Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes eindeutig gewesen, dass eine gesetzliche Grundlage für einen solchen Grundrechtseingriff - wie hier das Tragen eines Kopftuches - existieren muss. Ich kann nicht sehen, wie der Freistaat Bayern in diesem Verfahren Erfolg haben sollte.
Das Interview führte Hilde Regeniter.