Warum die Kirchen immer weniger Gehör finden

Das Kreuz mit der Sprache

"Am Anfang war das Wort", heißt es im Johannes-Evangelium. Doch was ist daraus geworden? Sprachexperten wünschen sich schon länger mehr Klartext in deutschen Kirchengemeinden.

Autor/in:
Joachim Heinz
Mit dem Wörterbuch am Küchentisch (dpa)
Mit dem Wörterbuch am Küchentisch / ( dpa )

Schon mal auf "demenzsensible Kirchengemeinden" zugegangen? Oder "Brücken der Menschlichkeit" gebaut? Zwischen "Glutnestern des Glaubens" etwas "verheutigt" und "Impulse gesetzt"? Menschen, die jetzt nur Bahnhof verstehen, haben vielleicht schon länger keine Kirche mehr von innen gesehen. Die Kirchen wiederum würden genau diese Menschen dort abholen, wo sie stehen, zur Not am Bahnhof. Aber der Austausch zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen ist mühsam. Und das liegt offenbar auch an einem "Kirchen-Slang", der selbst Insider in die Verzweiflung treibt.

"Kirchen-Chinesisch" 

"Wenn wir doch mal eine Sprache sprächen, die jeder versteht", seufzte unlängst Ulrich Lieb, pensionierter Seelsorgeamtsleiter im katholischen Bistum Magdeburg. "Das Kirchen-Chinesisch kann doch kein Mensch verstehen, das ist doch abschreckend." Die amtierende "Miss Germany" und angehende Religionslehrerin Lena Bröder formuliert es ähnlich, wenn auch ein wenig zurückhaltender. Sie wünscht sich in der kirchlichen Kommunikation mehr Bezüge zur Lebenswelt der jungen Menschen. "Sie müssen das Ganze mit Kopf, Hand und Herz erfahren. Sonst bleibt davon nichts hängen."

Immerhin: Auf dem Leipziger Katholikentag zeigte sich, dass es nicht nur demenzsensible Gemeinden, sondern auch sprachsensible Theologen gibt. Winfried Eberhard, der Jesuit Bernd Knüfer und Regina Nothelle boten eine Werkstatt an: "Sie sprechen kirchisch - Unser Reden vom Glauben braucht eine neue Sprache".

Sonderfall Katholikentag 

Aller Ehren wert, aber dann lauert halt doch wieder ein "Mensch: Prädikat WERTvoll?!" an der Ecke. Für den Kölner Werbefachmann Erik Flügge ist der Katholikentag dennoch ein Sonderfall. "Da reden die Menschen wenigstens hin und wieder Klartext." Schlimmer sei die Alltagssprache in den meisten Gemeinden, so der Autor des eben erst erschienenen Buches "Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt".

Vieles klinge "einfach gaga", verteidigt Flügge, selbst Katholik, den etwas krawalligen Titel. "Abends beim Bier würde niemand so sprechen - auch niemand, der sich kirchlich engagiert." Der Geschäftsführer der Werbeagentur Squirrel & Nuts beklagt, es fehle an einer Feedback-Kultur. "Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass Konflikte sprachlich mit einer Konsenssoße zugekleistert werden."

Befremdlicher Kirchensprech 

Das Problem sei nur, fährt Flügge fort: "Draußen in der Gesellschaft sind nicht alle auf Konsens aus - und deswegen hört sich der typische 'Kirchensprech' gerade für Fernstehende im besten Fall befremdlich an." Nun ist es nicht so, dass Christenmenschen generell auf eindeutige Wortwahl verzichten, wenn es um Religion und Glaube geht.

Dazu genügt ein Blick ins Internet. Verstörend dabei ist allerdings, dass dafür dann allzu oft Tugenden wie die Nächstenliebe auf der Strecke bleiben. Davon konnten auch die Organisatoren des Katholikentags ein Lied singen. Rund 1.000 Kommentare erreichten die Social Media Redaktion unter Jens Albers und Ernst Mettlach gleich am ersten Tag des Glaubenstreffens, meist zur Debatte über den Ausschluss der AfD. Das Niveau: oft "allerunterste Schublade".

Hang zu Verrohung im Netz 

Anstelle von Argumenten würden Beleidigungen ausgetauscht, sagte Mettlach, der sich von Nutzern als "Agent des Antichristen" titulieren lassen musste. Buchautor Flügge beobachtet solche Phänomene "bei allem bisweilen widerwärtigen Hang zu Beleidigung und Verrohung" mit Interesse. "Sobald die Leute anonym ins Netz abtauchen, versteht man plötzlich, was sie sagen, auch wenn man das überhaupt nicht teilt."

Tipps von Wolf Schneider

Was also tun? Noch einen Moment im Internet verweilen und nach "Sprachpapst" Wolf Schneider suchen. Dieser nahm in einem Interview im "Evangelischen Sonntagsblatt für Bayern" vor drei Jahren protestantische Prediger ins Visier. Das Problem ist also ein ökumenisches, obwohl Reformator Martin Luther bekanntlich dem Volk aufs Maul schaute. Ein Tipp Schneiders: Weniger Schnörkel und Substantive.

Hiob, Hauptfigur des gleichnamigen biblischen Buches, habe gesagt: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!", so Schneider. "Er sagte nicht: 'Die Gabe durch den Herrn und die Wegnahme durch den Herrn sollte Lob auf sich ziehen.'"


Quelle:
KNA