Warum die Linken noch mehr Trennung von Kirche und Staat wollen

"Wir haben nichts gegen Religion"

Ein Blick ins Wahlprogramm macht deutlich: Die Linken wollen das komplette System der Kooperation von Kirche und Staat abschaffen. Warum, erklärt der religionspolitische Sprecher der Partei, Raju Sharma, im domradio.de-Interview.

Die Linke (dpa)
Die Linke / ( dpa )

domradio.de: Wenn man Ihr Wahlprogramm liest, könnte man den Eindruck bekommen, Sie hätten etwas gegen Kirche und Religion. Stimmt der Eindruck?

Sharma: Nein, überhaupt nicht. Wir haben nichts gegen Kirchen und Religion. Wir setzen uns bloß dafür ein, dass der Staat und die Kirchen institutionell konsequent voneinander getrennt sind. Wir finden genau das wichtig, auch damit Religionsfreiheit im positiven Sinne gelebt werden kann, weil wir meinen, dass Religionsfreiheit nur dann gegeben ist, wenn sich der Staat neutral gegenüber Kirchen und Glaubensgemeinschaften verhält.

domradio.de: Es gibt ja Länder mit einer strikten Trennung von Staat und Kirche, Frankreich zum Beispiel. Gibt es da Vorteile gegenüber dem deutschen System?

Sharma: In vielfältiger Weise. Frankreich kennt ja auch nicht das System der Kirchensteuer. Die steht zwar nicht im Mittelpunkt unserer Forderungen, aber wir finden es in gewisser Weise inkonsequent, wenn der Staat für die Kirchen die Mitgliedsbeiträge eintreibt. Das macht er ja auch nicht für Vereine, politische Parteien oder Gewerkschaften. Das ist einfach ein Bruch mit dem Anspruch des Grundgesetzes, nach dem Kirche und Staat voneinander getrennt sind. Man muss es nicht genauso machen wie in Frankreich, aber Ansätze davon sind durchaus wünschenswert.

domradio.de: Aus den Kirchensteuermitteln werden viele Jobs finanziert. Nach dem Staat sind die Kirchen der größte Arbeitgeber in Deutschland. Wie sollte das nach Abschaffung der Kirchensteuer, wie von Ihnen gefordert, aufgefangen werden?

Sharma: Die Jobs, die die Kirche zur Verfügung stellt, werden ja nicht vorrangig durch Kirchensteuern finanziert. Die Kirchen sind ein ganz wichtiger Arbeitgeber, in der Pflege, in Kitas, in Krankenhäuser leisten die Kirchen einen wichtigen Auftrag. Aber dafür bekommen sie wie andere Träger auch Geld.

domradio.de: Sie wollen im Prinzip den Sonderstatus der Kirchen komplett aufheben. Es geht um den Gottesbezug im Grundgesetz, in ihrem Wahlprogramm steht, sie wollen Blasphemie-Gesetz und Feiertagsgesetze überprüfen lassen. Was versprechen Sie sich davon?

Sharma: Die von Ihnen angesprochenen Forderungen stehen auch in unserem Programm, aber nicht im Mittelpunkt. Uns geht es vorrangig darum, dass wir das Sonderrecht der Kirchen im Bereich des Arbeitnehmerrechts und des Kündigungsschutzrechts auf den Prüfstand stellen, weil wir finden, dass es nicht angehen kann, dass 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen weniger Rechte haben als andere Mitarbeiter. Nicht nur der Pastor, sondern auch die Putzfrau, die im Moment, weil sie bei der Kirche angestellt ist, nicht die gleichen Rechte hat. Das finden wir ungerecht. Es ist aber auch richtig, dass wir das Blasphemie-Gesetz auf den Prüfstand stellen wollen. Es gibt im Strafgesetzbuch einen Strafstandbestand, nach dem in Deutschland noch niemand verurteilt wurde! Zwar schon angezeigt, aber noch nicht verurteilt. Und wir sind der Auffassung, dass man in weiten Bereichen den Schutz der religiösen Empfindungen der Menschen auch anders sichern kann, durch andere Strafstandbestände, wie beispielsweise durch Beleidigung, so wie es in der Vergangenheit auch schon geschehen ist.

domradio.de: Sie sind die einzige Partei mit so einem radikalen Forderungskatalog, was Religions- und Kirchenpolitik angeht. Ist das denn überhaupt mehrheitsfähig?

Sharma: Bei uns war es das. Wir haben zwar auch bei uns engagierte Christen und Gläubige anderer  Religionsgemeinschaften. Dennoch herrscht bei uns Konsens über die Vorstellung, dass wir Staat und Religionsgemeinschaften streng institutionell getrennt haben wollen. Für diesen Ansatz muss man nicht kirchenfeindlich oder antireligiös sein, dieser Ansatz ist auch in der Gesellschaft mehrheitsfähig.

domradio.de: Sehen Sie an einer Stelle Übereinstimmung mit anderen Parteien. Was glauben Sie mit welcher Partei können Sie darüber verhandeln?

Sharma: Mit Sicherheit. Wir haben in dem Bereich zwei große Gesetzesinitiativen eingebracht: Eine zum Kirchenarbeitsrecht, die zwar abgelehnt wurde, bei der man aber eine große Diskussionsbereitschaft feststellen konnte. So ähnlich ist es bei unserem Ansatz zur Ablösung der Staatsleistungen, die von den Ländern an die Kirchen gezahlt werden. Auch hier gab es in den anderen Parteien Offenheit. Und ich bin ziemlich sicher, dass der Druck aus den Ländern zunehmen wird.

Das Gespräch führte Matthias Friebe.


Quelle:
DR