Warum es vernünftig ist, an Gott zu glauben

Wahn oder Wahrheit?

An Ostern wird die Auferstehung von Jesus gefeiert - aber "braucht" der moderne Mensch noch diesen Glauben, die Vorstellung von Erlösung? Welche Gründe für Gott kann man überhaupt noch anführen? Ein neues Buch gibt Antworten.

Gott schuf den Menschen - oder eher umgekehrt? (shutterstock)
Gott schuf den Menschen - oder eher umgekehrt? / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: “Gibt es Gott wirklich?” So lautet ein neues Buch beim Herder-Verlag, dass Sie mit einer Kollegin und zwei Kollegen aus der Theologie geschrieben haben. Da geht es um die Frage nach der Existenz Gottes aus mehreren Blickrichtungen. In dem Buch ist die Rede von Gottesbeweisen. Kann man Gott tatsächlich beweisen wie bei einem physikalischen Experiment?

Dr. Sarah Rosenhauer (Theologin und Projektleiterin des Forschungsprojekts "Pneumatischer Materialismus" am Institut für Kath. Theologie der HU Berlin): Nein, das kann man natürlich nicht, denn Gott ist ja kein Gegenstand, den wir sinnlich erfahren können, also den wir riechen, schmecken, fühlen können, und entsprechend können wir ihn auch nicht mit Instrumenten oder Methoden erfassen, die auf solche Gegenstände ausgerichtet sind. Daraus können wir aber nicht schließen, dass es Gott nicht gibt, sondern es handelt sich schlicht um unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche.

Sarah Rosenhauer

"Gott ist kein Gegenstand, den wir sinnlich erfahren können, also den wir riechen, schmecken, fühlen können, und entsprechend können wir ihn auch nicht mit Instrumenten oder Methoden erfassen"

DOMRADIO.DE: Wie meinen Sie das?

Dr. Sarah Rosenhauer, Theologin / © privat (privat)
Dr. Sarah Rosenhauer, Theologin / © privat ( privat )

Rosenhauer: Wir sind, glaube ich, durch unser naturwissenschaftlich-technisches Weltbild sehr gewohnt, dass wir vor allem das als richtig und als wahr erachten, was wir durch Fakten belegen können und durch experimentelle Beweise stützen können oder was, grob gesagt, evidenzbasiert ist. Und für viele Bereiche der Wirklichkeit ist das auch sehr wichtig. Man denke zum Beispiel an den Bereich der Technik, der Medizin oder auch historischer Ereignisse, Stichwort Fake News etc.. Da ist es wichtig, dass man darauf achtet, dass Erkenntnisse durch Beweise gestützt und durch Fakten belegt sind.

Sarah Rosenhauer

"Die Frage, was man tun soll oder welchen Wert eine Wirklichkeit hat, ist keine Frage, die man dadurch beantworten kann, dass man bestimmte Experimente macht."

Ich glaube, es ist aber trotzdem auch sehr wichtig, dass es viele relevante Dimensionen von Wirklichkeit gibt, die man experimentell nicht erfassen kann. Man denke etwa an den Bereich des Guten oder des Wahren oder Schönen oder den Bereich der Werte, des Werts der Wirklichkeit oder eben die Frage nach Gott. Wenn man zum Beispiel die Frage nach dem Guten nimmt, also die Frage, was man tun soll oder welchen Wert eine Wirklichkeit hat, dann ist das keine Frage, die man dadurch beantworten kann, dass man bestimmte Experimente macht.

Zum Beispiel die Frage, welchen Wert ungeborenes Leben hat, ob es gut ist, ungeborenes Leben gesetzlich zu schützen. Das ist eine Frage, auf die man keine Antworten bekommt, wenn man bestimmte Experimente macht, wenn man untersucht, wie ein Embryo beschaffen ist. Die Frage richtet sich nicht auf die Beschaffenheit des Embryos, sondern danach, welchen Wert wir diesem Leben beimessen und wie wir diesen Wert ungeborenen Lebens ins Verhältnis setzen zu dem Wert des körperlichen Selbstbestimmungsrechts der Mutter.

DOMRADIO.DE: Und wie kann man dann die Frage nach Gott beantworten?

Rosenhauer: Ich würde sagen, dass es sowohl in der Frage nach dem Guten als auch in der Frage nach Gott um Dimensionen geht, die man experimentell nicht beweisen kann. Und trotzdem würde man sagen, dass es Dimensionen von Wirklichkeit sind, die eben trotzdem sehr relevant sind und wo es nicht irrelevant ist, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten.

Das Mittel der Wahl sich dem anzunähern, ist aber nicht das Experiment, sondern das Mittel der Wahl wäre die Vernunft. Denn mit der Vernunft fragen wir nicht danach, wie die Wirklichkeit ist, sondern wie sie sein soll.

Sarah Rosenhauer

"Mit der Vernunft fragen wir nicht danach, wie die Wirklichkeit ist, sondern wie sie sein soll."

DOMRADIO.DE: Und wenn ich da noch mal einhaken kann, wie wichtig ist dann dieser Gebrauch der Vernunft, um Gott zu "beweisen"?

Rosenhauer: Es ist meine und die Überzeugung der Mitautoren des Buches, dass man durch die Vernunft gute Gründe angeben kann, warum es vernünftig ist, an Gott zu glauben. Die können niemals die Qualität oder den Status eines Beweises haben, sondern es sind eben Gründe, mit denen man sich auseinandersetzen kann, für die man vernünftige Gegengründe finden kann, für die man Argumente liefern kann usw..

Das heißt, in der Frage nach Gott oder dem öffentlichen Teil der Frage nach Gott bewegt man sich im Raum der Gründe und wenn man nach den physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit fragt etc., dann würde man sich im Bereich der experimenteller Beweise bewegen und die haben beide ihre Berechtigung.

DOMRADIO.DE: Sie schauen in dem Buch auf die religiöse Erfahrung, um zu fragen, ob es vernünftig ist, an Gott zu glauben. Dann fragen wir auch diesmal erst mal grundsätzlich. Was ist eine religiöse Erfahrung? Muss die immer groß und dramatisch sein?

Rosenhauer: Das ist eine Frage, über die schon lange diskutiert wird und lange ist man davon ausgegangen, dass religiöse Erfahrungen vor allem an äußeren Kriterien zu bemessen sind. Das heißt im Fall von besonders pointierten Erfahrungen, im Fall von Wundern zum Beispiel: Die sind dann wirklich Wunder, beziehungsweise sie gehen auf ein Wirken oder Handeln Gottes zurück, wenn sie Naturgesetze durchbrechen. Wenn man sie immanent nicht erklären kann. Von dem Verständnis, das religiöse Erfahrungen vor allem an bestimmte äußere Kriterien -, also das Durchbrechen, von Naturgesetzen bindet, ist man heute weitgehend abgerückt.

Das hat verschiedene Gründe, auch philosophische Gründe, etwa dass man sich von einer unkritischen Metaphysik abgekehrt hat, die Etablierung eines modernen Weltbildes, das davon ausgeht, dass die Welt kausal geschlossen ist, also dass es keine Interventionen von außen gibt in diese kausale Geschlossenheit der Welt hinein. Das hat aber auch theologische Gründe. Ganz abgekürzt gesagt, würde die Annahme eines interventionistischen Gottes, das heißt eines Gottes, der von außen in die Naturgesetze, in die Eigengesetzlichkeit der Welt eingreift, das Theodizee-Problem verschärfen.

DOMRADIO.DE: Theodizee ist die Frage, warum Gott all das Unheil in der Welt zulässt. Warum wäre das hier ein Problem?

Feier der Osternacht im Kölner Dom  / © Nicolas Ottersbach  (DR)
Feier der Osternacht im Kölner Dom / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Rosenhauer: Weil man vor die Frage gestellt wäre, warum greift Gott an bestimmten Stellen in den Weltlauf ein, wirkt Heilungswunder, lässt Menschen bestimmte außergewöhnliche Visionen oder Auditionen haben und lässt an anderen Stellen ganz viel geschehen: Genozide, Naturkatastrophen, die tausende Menschen das Leben kosten. Das geht nicht richtig zusammen!

DOMRADIO.DE: Ein Wunder in der heutigen Theologie würde man nicht so beschreiben, dass ich jetzt zum Beispiel bete, dass jemand gesund wird und er wird dann gesund, weil Gott eingegriffen hat?

Rosenhauer: In weiten Teilen der Theologie wäre man aus den genannten philosophischen und theologischen Gründen sehr vorsichtig, Gottes Wirken an die Durchbrechung von Naturgesetzen zu binden, sondern man würde religiöse Erfahrung und göttliches Wirken so verstehen, dass sie im Einklang stehen mit der Eigengesetzlichkeit der Welt und der Freiheit der Menschen. Entsprechend bindet man sie stärker an die subjektive Deutung des Gläubigen, also an die Frage danach, wie wir bestimmte Ereignisse deuten und als was wir sie deuten.

Sarah Rosenhauer

"Religiöse Erfahrungen können auch ganz leise und bescheiden daherkommen und eigentlich ganz 'alltäglich' sein"

Vor diesem Hintergrund können religiöse Erfahrungen ganz unterschiedlich sein. Es kann sich um außergewöhnliche oder um große Erfahrungen handeln, Konversionserfahrungen, die unser Leben schlagartig ändern und die uns auf einmal alles: uns selbst, die Welt, die Wirklichkeit als Ganze ganz anders wahrnehmen lassen - sei es durch die Geburt eines Kindes, durch den Tod eines nahen Angehörigen oder  andere traumatische Lebensumbrüche.

Familie beim Spaziergang (dpa)
Familie beim Spaziergang / ( dpa )

Aber religiöse Erfahrungen können auch ganz leise und bescheiden daherkommen und eigentlich ganz "alltäglich" sein - sei es ein Spaziergang durch den Frühlingswald, der uns auf einmal mit einem Gefühl der Dankbarkeit für die Schönheit der Schöpfung erfüllt und für die Schönheit des Lebens. Oder sei es eine Erfahrung, dass sich in einer Situation der inneren Enge und der Gefangenschaft, in der wir das Gefühl haben, dass wir in Alternativlosigkeit verstrickt sind, plötzlich ein Gefühl der Befreiung einstellt, dass sich wieder neue Perspektiven öffnen, ohne dass wir sagen könnten: Das geht jetzt auf ein bestimmtes Machen von uns zurück oder auf ein bestimmtes Planen oder ein bestimmtes Denken, also dass wir ein Geschenk der Befreiung erfahren oder die Erfahrung der Liebe, in der wir über uns hinauswachsen.

Das alles können Erfahrungen sein, die religiös gedeutet werden, also Gotteserfahrungen. Und ich denke, die Beispiele machen deutlich, dass letztlich die Deutung, ob eine Erfahrung religiös ist oder nicht eindeutig nicht zu treffen ist. Man könnte die von mir genannten Erfahrungen auch immer so deuten, dass es sich um Schicksal handelt. Also, dass ein Mensch stirbt und ich dadurch mein Leben neu deute, das kann Schicksal sein. Es kann auch Zufall sein. Oder dass man ein ganz starkes Gefühl hat im Zusammensein mit jemanden, das kann man auch durch Hormone erklären. Es gibt immer alternative Erklärungsmöglichkeiten und ich glaube, aus dieser Uneindeutigkeit, was die Deutung von Erfahrungen angeht, kommt man nicht raus,

DOMRADIO.DE: Und ein wichtiger Punkt ist ja auch der religiöse Wahn, den kennt ja eigentlich auch jede Religion. Gibt es sowas wie Kriterien, wo man eine Gotteserfahrung von einer Wahnvorstellung halbwegs unterscheiden kann?

Sarah Rosenhauer

"Wenn eine Erfahrung dem Leben dient, wenn sie ein Mehr an Lebendigkeit erschließt, dann kann es sein, dass sie von Gott kommt. Wenn sie es nicht tut, dann ist es sicher nicht von Gott."

Rosenhauer: Es gibt auf jeden Fall ein langes Bewusstsein dafür, dass die Deutung von Erfahrungen, vor allem religiöser Erfahrung ein sehr fehleranfälliges Unterfangen ist. Und entsprechend gibt es auch von biblischen Zeiten an und wahrscheinlich schon lange davor, Traditionen der Unterscheidung der Geister: Von den Propheten über Paulus zu spirituellen Handreichungen aus der Geschichte bis heute in den verschiedensten Ausformungen.

Ignatius von Loyola / © Morphart Creation (shutterstock)
Ignatius von Loyola / © Morphart Creation ( shutterstock )

Was mir besonders nahe ist, ist die ignatianische Unterscheidung: Die – frei nach Ignatius - ungefähr so geht: wenn eine Erfahrung dem Leben dient, wenn sie ein Mehr an Lebendigkeit erschließt, dann kann es sein, dass sie von Gott kommt. Wenn sie es nicht tut, dann ist es sicher nicht von Gott.

DOMRADIO.DE: Das ist also eine Weisheit des heiligen Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens. Eine andere alte Weisheit sagt: "Wege zu Gott gibt es so viele, wie es Menschen gibt." Was sollen denn die Leserinnen und Leser Ihres Buches von der Lektüre für sich mitnehmen?

Rosenhauer: Das Grundanliegen des Buches ist, zu zeigen, dass auch wenn man die Existenz Gottes nicht beweisen kann, es trotzdem nicht irrational ist, an Gott zu glauben; dass der Vorwurf, der von naturalistischen Zeitgenossen erhoben wird, es wäre naiv oder irrational zu glauben, so nicht haltbar ist. Man kann vernünftige, allgemein verständliche Gründe dafür angeben, warum es sinnvoll ist, an Gott zu glauben. Einigen dieser Gründe geht das Buch nach.

Was mich persönlich und meinen Beitrag im Buch betrifft, so ist es mir ein besonderes Anliegen zu zeigen, dass ein modernes, aufgeklärtes, kritisches Weltbild und der Glaube an Gott, an eine wirkliche und wirksame Gegenwart Gottes in unserem Leben nicht im Widerspruch stehen müssen. Das heißt, dass wir durchaus davon ausgehen können, dass die Naturgesetze gelten, dass wir selbst autonome und selbstbestimmte Wesen sind und trotzdem und ohne Widerspruch darauf hoffen und daran glauben können, dass Gott in unserem Leben wirksam ist, dass er nicht nur eine transzendente Größe ist, die mit unserem Leben nichts zu tun hat, sondern dass es tatsächlich Erfahrbarkeiten Gottes in unserem Leben gibt.

Sarah Rosenhauer

"Gottes Wirken in unserem Leben besteht vor allem darin, dass er uns seine Liebe erfahren lässt."

Und ich glaube, dass das dann zusammen geht, wenn wir Gottes Wirken in unserem Leben weniger als ein Bestimmen verstehen. Also Gott gibt sich uns nicht zu erfahren, indem er uns Vorschriften macht, indem er gestaltend in unser Leben eingreift, indem er uns bestimmte Wahrheiten erkennen lässt oder so, sondern ich glaube, Gottes Wirken in unserem Leben besteht vor allem darin, dass er uns seine Liebe erfahren lässt. Und Lieben bedeutet wesentlich Seinlassen, Freigeben, Freisetzen – nicht Bestimmen, Vorgeben, Manipulieren, Dominieren.

Entsprechend glaube ich, dass wir Gott, Gott als die Liebe, die er ist, vor allem erfahren in Erfahrungen der Befreiung: der Befreiung aus der Fixierung auf uns selbst, der Befreiung zu einem Mehr an Leben, einem Mehr an Beziehungsfähigkeit, einem Mehr an Liebe. Und es ist dann an uns, dieser Erfahrung die Treue zu halten, indem wir die Liebe Gottes in unserem Leben und unserer Welt wahr machen.

Das Interview führte Mathias Peter.

BUCHTIPP: "Gibt es Gott wirklich? Gründe für den Glauben – ein Streitgespräch". Mit Beiträgen von Martin Breul, Aaron Langenfeld, Sarah Rosenhauer, Fana Schiefen. Herder-Verlag, 18 Euro

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Die Theologie gehört zu den ältesten Disziplinen an den Universitäten. In Deutschland gibt es 19 Katholisch-Theologische Fakultäten und Hochschulen, an denen – neben Lehramts- und anderen Studiengängen – das fünfjährige Theologische Vollstudium (meist mit Abschluss Magister Theologie) absolviert werden kann.

Alte Bücher auf der Buchmesse / © Joachim Heinz (KNA)
Alte Bücher auf der Buchmesse / © Joachim Heinz ( KNA )
Quelle:
DR