Warum gerade der Advent zunehmend auch Nachbarn verbindet

Sehnsucht nach verlorener Gemeinschaft

Advent ist beides: Geschenke kaufen, Weihnachtsmenu planen, To-Do-Listen des Jahres beenden, aber auch Plätzchen backen und sich auf Weihnchten einstimmen. In dieser Zeit wächst auch oft die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Nähe.

Autor/in:
Angelika Prauß
Nachbarschaftshilfe durch Einkaufen / © Roland Weihrauch (dpa)
Nachbarschaftshilfe durch Einkaufen / © Roland Weihrauch ( dpa )

In der Adventszeit rücken die Menschen gerne zusammen - beim Feierabendglühwein mit Kollegen auf dem Weihnachtsmarkt, bei Kaffeerunden oder Plätzchenbacken mit der Familie oder Freunden. 

Vielerorts organisieren Kirchengemeinden "Lebendige Adventskalender", bei denen Menschen vom 1. bis 24. Dezember symbolisch ihre Haustüren öffnen, um sich auf Weihnachten einzustimmen. Aber auch unter Nachbarn scheint in diesen vorweihnachtlichen Tagen ein neues Miteinander zu entstehen. 

Traditionen verbinden

Beispiel Bonn. Im Ortsteil Dottendorf ist die kleine Tradition vor fünf Jahren entstanden. Immer abends um 18 Uhr trifft man sich reihum in Vorgärten oder vor der Haustür - "damit man drinnen nicht so viel Arbeit hat", erklärt Organisatorin Sabine Wollenweber. 

Im Licht von Feuerschalen, Fackeln und Kerzen, bei Glühwein, Tee, Kinderpunsch und Plätzchen oder auch mal Schnittchen kommen die Leute aus dem "Dorf" zusammen. "Es gibt immer eine nette Geschichte, und es wird gesungen", erklärt die 49-Jährige, die sich gerne so auf das Weihnachtsfest vorbereitet.

Inspiriert von ähnlichen Initiativen in anderen Bonner Stadtteilen wurde Wollenweber aktiv. "Wir sind so ein nettes Dörfchen, man kennt sich sowieso - wollen wir das nicht auch machen?", fragte sie sich. Genügend Gastgeber zu finden, war für sie nie ein Problem. Durch Mundpropaganda verbreite sich die Idee. 

Schließlich sei der Aufwand gering, findet die Organisatorin. Angedacht seien "eigentlich 20 Minuten, damit Familien mit Kindern wieder rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sind". Meist werde es aber länger, "weil es so schön ist".

Nicht selten stoßen auch Passanten dazu, die auf dem Heimweg von der Arbeit sind. "Sicher muss man erstmal eine Hemmschwelle überwinden. Kann ich da einfach hingehen?", kennt Wollenweber die Bedenken. "Aber einmal ausprobiert und man verliert die Hemmung." Inzwischen beteiligen sich auch der Kindergarten und der evangelische Pfarrer an der nachbarschaftlichen Aktion.

"Social cocooning"

Bonn ist mit solchen Initiativen kein Einzelfall. Auch wenn noch Datenmaterial fehlt, beobachtet auch der Regensburger Kulturanthropologe Gunther Hirschfelder das Phänomen. Ein Grund seien die "Sehnsuchtsbilder", die dabei aktiviert würden. 

Der Advent wecke "eine große Sehnsucht nach dem Analogen", so der Volkskundler. Gerade in der adventlichen Dunkelheit und Kälte "wollen wir den direkten Kontakt zu Menschen - menschliche Wärme als Reflex auf äußere Kälte".

Hirschfelder spricht vom "social cocooning", einer Art gemeinschaftlichen Rückzugs ins Private. Er sieht das als "logischen Reflex auf gesellschaftliche Prozesse", die oft von Vereinzelung "mit Medien und virtuellen Freunden" geprägt sei. Im Advent nehme man sich zudem eine kollektive Auszeit "vom permanenten Fasten und gesund Leben".

Sinnverschiebung des Advents

Dabei beobachtet Hirschfelder, dass sich der Advent eher zu  einem "spätherbstlichen Dekorationsmotiv" entwickelt habe und weniger im Sinne von "Ankunft" und der Vorbereitung auf das Geburtsfest Jesu Christi begangen werde. "Derjenige, um den es eigentlich geht, steht zunehmend im Schatten", bemerkt der Wissenschaftler auch mit Blick auf viele Weihnachtsmärkte.

Für den Freiburger Soziologen Sacha Szabo geht es in der Advents- und Weihnachtszeit vor allem um die Sehnsucht, sich der Familie und auch der Religion und Tradition neu zu versichern. "Der Mensch sucht Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist uns verloren gegangen." 

Hier setzen für Szabo die nachbarschaftlichen Adventstreffen an - sie stärken das Gemeinschaftsgefühl, man kommt unverbindlich und ungezwungen mit alten und neuen Nachbarn ins Gespräch. 

Stärkung des "Wir-Gefühls"

Ähnlich wie Advents- und Weihnachtsmärkte seien solche informellen Zusammenkünfte sehr wichtig für die Identität einer Gemeinschaft, eines Dorfes, einer Nachbarschaft. In einer kleinen Gruppe werde ein "Wir-Gefühl" gefunden. 

Schließlich sei der Mensch "in seiner biologischen Verfasstheit ein Gruppenwesen". Weil traditionelle Formen wie Vereine und Kirche nach Beobachtung Szabos an Attraktivität verlieren, suchten und fänden Menschen andere Formen - wie die adventlichen Treffen mit Nachbarn.

"Durch Besinnlichkeit wird Sinn geschaffen." Gerade solche kleinen Traditionen gäben ein Stück "Halt und Sicherheit" und seien ein Gegenpol zum oft als krisenhaft wahrgenommenen Alltag. Umso bemerkenswerter findet es der Soziologe, wenn eine solche Form von Sinnstiftung "nicht formell initiiert ist, sondern aus der Gruppe selbst entsteht".

Gemeinschaft lässt Sorgen und Stress vergessen

Selbst säkular eingestellte Menschen empfinden laut Szabo den Advent oft als besinnlich. Wer sich dann mit lieben Menschen treffe, sei "für einen Moment aus der sorgenvollen Gegenwart rausgezogen und erlebt das Gefühl von einem immerwährenden Jetzt". 

Vor Weihnachten gebe es auch das große Bedürfnis, "den Stress zu vergessen". Es geht zudem ein Jahr zu Ende, profane Dinge müssen erledigt werden. "Menschen möchten da bewusst ein Ereignis schaffen, das sie jenseits der Sorgen für einen kurzen Moment innehalten lässt."

Fragen und Antworten zum Advent

Was bedeutet das Wort Advent?

Advent kommt vom lateinischen "adventus" und bedeutet "Ankunft". Für Christen ist der Advent die Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Jesu auf Erden, die an Weihnachten gefeiert wird. In den Gottesdiensten werden häufig Texte aus dem Alten Testament verwendet, die die Ankunft des Erlösers prophezeien.

Ist der Advent heute noch Fasten- oder Bußzeit?

Symbolbild Adventskranz in einer Kirche / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Adventskranz in einer Kirche / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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