DOMRADIO.DE: Seit knapp einem Monat sind Sie Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe. "Der Etat für das Entwicklungsministerium würde um 150 Millionen absinken", hat Entwicklungsminister Müller kritisiert. Deutschland verfehle dann das Ziel der Vereinten Nationen, 0,7 Prozent des Haushalts für Entwicklungshilfe auszugeben. Ist die Kritik des Ministers berechtigt?
Claudia Lücking-Michel (Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe und Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Ja, unbedingt. Ich bin sehr froh, dass der Entwicklungsminister öffentlich so darauf aufmerksam macht. Es ist nicht nur das Ziel der Vereinten Nationen, sondern es ist eine Verpflichtung, zu der sich die Bundesregierung schon vor langer Zeit selbst verpflichtet hat. Dieses Ziel, 0,7 Prozent des Haushalts für Entwicklungshilfe auszugeben, haben wir bislang einmal erreicht. Das war 2016. Dann haben wir uns kurz gefreut und gedacht – auf dem Level geht es weiter. Doch dann mussten wir feststellen, dass im nächsten Jahr die Quote wieder gesunken ist. Und mit dem, was jetzt im Entwurf vorgesehen ist, würde die Quote weiter sinken.
DOMRADIO.DE: Wie steht es denn Ihrer Meinung nach um die deutsche Entwicklungshilfe? Unter Minister Müller hat sich die Strategie schon sehr geändert, oder?
Lücking-Michel: Ich bin sehr froh, denn Entwicklungsminister Müller hat dafür gesorgt, dass überhaupt das Thema wieder in die Öffentlichkeit rückt. Er hat in der ersten Amtszeit mit seinen Sonderinitiativen "Kampf gegen Hunger" und "Fluchtursachenbekämpfung" klar deutlich gemacht, dass wir uns fokussieren müssen. Das hat er gemacht, indem er jetzt auch den Schwerpunkt auf Afrika legt. Das ist gut, wir müssen da etwas tun. Und er ist in seinen Ansätzen zu unterstützen.
DOMRADIO.DE: Auf EU-Ebene waren die Ausgaben für Entwicklungspolitik ebenfalls Thema diese Woche. Hier geht es vor allem darum, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die Gelder sollen dafür um 26 Prozent auf 123 Milliarden Euro erhöht werden. Glauben Sie, dass mehr Geld in dem Bereich den Menschen dann wirklich weiterhilft?
Lücking-Michel: Also mehr Geld ist gut, denn ohne Geld kommt man auch nicht weiter. Aber Geld allein verändert auch nichts. Das haben wir in den letzten Jahren immer wieder gesehen. In allen Feldern der Entwicklungspolitik geht es auch darum, gute Konzepte zu haben.
DOMRADIO.DE: Geleakte Dokumente zeigen, dass Geld aus der Entwicklungszusammenarbeit in die Abwehr von Flüchtlingen umgeleitet werden sollte. Was denken Sie ist dran an dem Vorwurf?
Lücking-Michel: Das kann ich selber nicht beurteilen. Die Grenze ist sozusagen fließend. Was ist Abwehr, und was ist dafür, dass die Menschen vor Ort und in ihrer Heimat Lebensperspektiven haben und sich nicht entscheiden, aufzubrechen?
DOMRADIO.DE: Heute wird Ihr Vorgänger als Geschäftsführer der AGEH in der Kölner Kirche Sankt Severin verabschiedet. Sie werden im gleichen Zug heute als Nachfolgerin eingeführt. Was steht für Sie als erstes an?
Lücking-Michel: Ich werde mich erst mal damit beschäftigen, was das Team dort alles auf die Reihe gestellt hat. Ich möchte die AGEH mit ihren Aufgaben besser kennenlernen. Dann geht es aber auch sehr bald darum, den Ansatz aufzugreifen, den mein Vorgänger, der langjährige Geschäftsführer Michael Steeb, selbst gelegt hat. Alle verbinden mit dem Gedanken "Entwicklungshilfe und Entwicklungshelfer" – "Wir aus dem Norden gehen in Länder des Südens".
Uns kommt es in Zukunft darauf an, zu sagen, "Nein, genauso kommen Menschen aus dem Süden in den Norden." Wir sind eine globale Lern- und Solidargemeinschaft. Wenn wir an den großen Themen Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit im Sinne der Enzyklika "laudato si" von Papst Franziskus etwas verändern wollen, dann können wir das nur gemeinsam. Das läuft unter dem Stichwort "Weltdienst".
Das Interview führte Tobias Fricke.