DOMRADIO.DE: Seit Jahren setzen sich viele Organisationen dafür ein, wirkungsvoll den Hunger zu bekämpfen. Das Welternährungsprogramm gibt es schon seit fast 60 Jahren. Den Hunger aber gibt es noch immer. Wie kann das sein?
Sarah Schneider (Referentin für Landwirtschaft und Welternährung beim Hilfswerk Misereor): Einmal begrüßen wir natürlich sehr, dass das World Food Programme (WFP) jetzt den Friedensnobelpreis erhalten hat. Es zeigt noch einmal, wie wichtig diese Arbeit zur Bekämpfung des Hungers ist. Dass es Hunger immer noch gibt, liegt daran, dass Organisationen, wie das World Food Programme, Hunger bekämpfen, wenn er bereits da ist, und dass die Welt aber viel mehr Maßnahmen bräuchte, um Hunger vorzubeugen. Politische Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden, damit es weniger Hunger in der Welt gibt.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie zusammen mit 45 Organisationen ein Positionspapier herausgegeben, in dem Sie sagen, was anders laufen muss. Sie haben es ja kurz schon angedeutet. Was muss denn Ihrer Meinung nach passieren?
Schneider: Es müssten von der Politik viel stärker die strukturellen Ursachen von Hunger angegangen werden, zum Beispiel Armut. Menschen leiden Hunger, weil sie sich Lebensmittel nicht leisten können. Man müsste vorgehen gegen die Ausgrenzung und Diskriminierung von bestimmten sozialen Gruppen, wie zum Beispiel von Indigenen in Brasilien. Auch erhalten nach wie vor viele Landarbeiterinnen und Kleinbauern für ihre Arbeit nur Hungerlöhne. Also auch dagegen müsste man vorgehen. Und insbesondere Kleinbauern müssten Zugang zu Land und zu den nötigen Bewässerungssystemen erhalten.
Wenn man so etwas angehen würde, dann könnte man gute Voraussetzungen schaffen, dass die Menschen, die besonders von Hunger betroffen sind, vor Hunger geschützt werden.
DOMRADIO.DE: In diesem Jahr steht nun der Welternährungstag ganz besonders im Fokus, denn die Corona-Pandemie verschärft ja die Situation noch. Das klingt alles immer sehr abstrakt. Machen wir es mal an einem Beispiel klar. Wie trifft Corona zum Beispiel einen Kleinbauern in Ghana oder Haiti?
Schneider: Einmal gab es ja die Ausgangssperren in verschiedenen Ländern, wodurch dann manche Bauern nicht zur richtigen Zeit auf die Felder konnten, um auszusäen. Dadurch hatten sie dann später Ernteverluste. Dann kamen auch die Lockdowns dazu. Da wurden dann etwa lokale Märkte geschlossen oder Vermarktungsketten kamen ins Stocken. Die Händler konnten dann nicht mehr in die Dörfer, um die Waren aufzukaufen, sodass dann Kleinbauern insbesondere auf den leicht verderblichen Produkten sitzen geblieben sind oder sie zu ganz niedrigen Preisen verkaufen mussten.
DOMRADIO.DE: Wir schauen mal zu uns hier nach Deutschland. Da hört man ja oft: Jeder kann was tun. Nehmen wir mal das Beispiel der Lebensmittelverschwendung. Wenn ich hier in Deutschland Essen wegwerfe, verstärke ich damit den Welthunger oder ist das eher dann moralisch zu sehen?
Schneider: Das hat durchaus eine globale Relevanz. Auch viele Lebensmittel, die wir hier konsumieren, kommen ja auch teilweise aus dem globalen Süden. Wenn man zum Beispiel an tierische Produkte denkt: Zum Teil werden ja auch Tiere in Deutschland mit Futtermitteln wie Soja aus dem globalen Süden gefüttert. Es gibt auch Südfrüchte, die wir importieren und die dann doch immer wieder auch bei uns im Mülleimer landen. Und das sind natürlich Ressourcen wie fruchtbarer Boden und Wasser, die alle in die Erzeugung von diesen Lebensmitteln geflossen sind.
DOMRADIO.DE: Ein anderes Beispiel ist auch das Fleisch. Da hört man ja oft, Fleischkonsum ist schlecht. Sie schreiben auf Ihrer Internetseite zum Beispiel: "Dein Steak kann die Welt verändern" – wie das?
Schneider: Für die Tierhaltung wird häufig auch auf Futtermittel zugegriffen, die zum Beispiel aus Südamerika kommen. Das heißt, wir belegen dadurch einen großen Teil der Ackerfläche im globalen Süden. Das ist also Ackerfläche, die sonst für die lokale Bevölkerung für ihre lokale Landwirtschaft zur Verfügung stehen könnte. Das heißt, wenn wir uns zum Beispiel für ökologisch nachhaltig produziertes Fleisch aus Deutschland mit lokalen Futtermitteln entscheiden, dann belegen wir zumindest keine Ackerfläche im globalen Süden.
Das Interview führte Carsten Döpp.