DOMRADIO.DE: Wir stellen uns Gott immer allmächtig vor. Dass er seinen Sohn zu uns schickt als gewöhnlichen Menschen, das ist schon ein Glaubensgeheimnis. Aber warum stirbt Jesus dann am Kreuz?
Dr. Daniel Minch (Theologe und Lehrstuhlvertreter am Seminar für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster): Die kürzeste Erklärung ist, dass sein gewaltsamer Tod die Folge davon war, wie er lebte, wie er mit seinen Mitmenschen umgangen ist. Er hat die Macht- und Sozialstrukturen seiner Zeit in Frage gestellt. Und das wurde von den Mächtigen als Bedrohung empfunden.
DOMRADIO.DE: Die Kirche nennt diesen Kreuzestod ein Heilsereignis. Wie kann denn in so einem brutalen Tod Heil liegen?
Minch: Das ist natürlich vor allem in unserer Zeit eine schwierige Frage. Denn Begriffe wie Sühne oder Opfer sind relativ schwierig für uns zu verstehen. Warum ist es also ein Heilsereignis? Erstens, weil es zeigt, wer Jesus ist. Im Markusevangelium ist der Hauptmann bei der Kreuzigung derjenige, der außerhalb des Jüngerkreises als erster erkennt, dass Jesus Gottes Sohn ist. Und es ist ein Heilsereignis, weil Jesus Gottes Wille tut. Er lebt konsequent das, was Gott von uns will.
Wir sprechen oft von Gottes Allmacht. Allmacht ist aber für Gott komplett anders konzipiert als bei uns. Es gibt sozusagen keine Konkurrenz zwischen der Macht Gottes und dem Handeln der Geschöpfe. Für Gott bedeutet Allmacht, Mensch zu werden, ohne zu verlieren, was es bedeutet, Gott zu sein. Und das heißt auch, verletzbar und verwundbar zu sein. Und Jesus ist als Mensch verletzbar und verwundbar geworden, aber in ihm tritt Gott in die Geschichte ein und verwandelt sie. Das Kreuz zeigt, wer Jesus ist, in Kontinuität mit seinem Leben, und damit, wer Gott für uns ist.
DOMRADIO.DE: Sie haben schon gesagt, das war Gottes Wille. Jetzt könnte man ja nun auch sagen: Was ist das für ein Gott, der seinen eigenen Sohn opfert? Können Sie uns das erklären?
Minch: Die Frage ist natürlich: Wollte Gott, dass Jesus am Kreuz so einen gewaltsamen Tod erleidet? Die meisten der Theologen und Theologinnen heute werden sagen: Nein, das war nicht Gottes Wille, dass er so stirbt. Aber das war etwas, was Menschen ihm angetan haben. Was Gottes Wille war, war, dass Jesus die endgültige Erlösung durch Gott erfahrbar für alle in der Gesellschaft macht. Und das hat sein Freundeskreis und die Nachfolgerinnen und Nachfolger definitiv und endgültig erfahren: Heil und Erlösung von Gott. Gott hat versprochen zu kommen, uns zu retten. So kam Jesus als Mensch zu uns. Jetzt müssen wir aber damit umgehen und uns fragen, was das bedeutet.
An einem bestimmten Punkt sah Jesus, dass seine Botschaft für ihn gefährlich wurde, aber er schwankte nicht. Die verschiedene Mächte, vor allem die Römer, wollten keinen politische Widerstand haben.
Und jemand, der konsequent von Gottes Reich spricht, wurde als politische Drohung angesehen, auch wenn seine Botschaft nicht ausdrücklich politisch gemeint war. Und das hat zu Jesu Tod direkt geführt. Gottes Wille war, dass Jesus nicht von diesem Weg abweicht. Jesus war entschlossen, an seinem Weg festzuhalten und seinen Lebensstil und die Botschaft von der Erlösung beizubehalten und weiter zu verbreiten. Gott wollte also, dass er sein Leben konsequent fortführt, aber nicht, dass er einen so gewaltsamen Tod stirbt.
DOMRADIO.DE: Dennoch klingt es ja für uns Menschen heute merkwürdig, wenn man hört: Jesus ist für unsere Sünden gestorben. Ist er wirklich für unsere Sünden gestorben?
Minch: Da gibt es verschiedene Wege, das zu verstehen. Was Jesus ermöglicht hat durch sein Leben, Tod und Auferstehung ist der Zugang zu Gott. Das wird als Erneuerung des Bundes zwischen Gott und Israel und Gott und der Schöpfung verstanden. Der Kern dieses Bundes ist, dass Gott die Treue gegenüber Israel hält, auch im Tod. Jesus als Vermittler dieses neuen Bundes ermöglicht, dass nicht nur Israel Zugang zu Gott hat, sondern die ganze Welt und die ganze Menschheit. Es ist in diesem Sinn eher universalistisch angedacht und wurde so von vielen frühchristlichen Gemeinden verstanden.
Wer vergibt nun die Sünden? In den hebräischen Schriften kann nur Gott die Sünden vergeben. Und wie kommen wir zu Gott? Entweder durch den Bund und dem Gesetz Israels oder jetzt durch Jesus. Und Jesus ermöglicht es, dass alle Menschen diesen Zugang zu Gott haben können, dass also Gott Sünden vergeben kann und die Menschheit geheilt und gerettet werden kann.
DOMRADIO.DE: An Ostern feiern wir ja die Auferstehung Jesu. Und ich merke immer wieder, es gibt manchmal Versuche, dass man das alles nur symbolisch versteht. Wie kann man sich denn Auferstehung vorstellen? Ist Jesus wirklich zu den Lebenden zurückgekehrt?
Minch: Ja! Gott hat das letzte Wort in der Geschichte. Durch die Auferstehung zeigt Gott, dass der Tod nicht das Mächtigste in unserem Kosmos ist. Auf der kosmischen Ebene, wenn wir das aus einer evolutionären Perspektive betrachten, sehen wir, dass der Tod eigentlich notwendig ist, um neue Lebensarten zu erschaffen. So funktioniert die Evolution.
Was Gott in der Auferstehung zeigt, ist, dass der Tod nicht final ist. Nichts geht verloren. Auch der Kosmos wird transformiert und gerettet werden. Und das hat auch natürlich einen gewissen Einfluss, wie wir mit der Schöpfung umgehen, denn auch sie ist Teil von Gottes Heils- und Transformationsverheißung.
Auferstehung würde ich also nicht nur 'symbolisch' verstehen. Auferstehung hat eine Wirkung auf die Geschichte. Auf einer eher persönlichen Ebene, wurde Jesus als Lebendiger von seinen Freunden erfahren und sie haben ihn als denselben Mensch, als dieselbe Person erkannt und nicht nur als Vision, Erscheinung oder reines Symbol.
Das Interview führte Mathias Peter.