domradio: Haben Tiere eine Seele?
Hagencord: Die Frage ist ja schon abgründig, denn zunächst mal stellt sich die Frage: Was meinen Sie, wenn Sie Seele sagen? Die zweite Dimension, die damit zusammenhängt, ist die biblische. Spricht die Bibel auch von der Seele der Tiere. Zum ersten: Was meinen Sie denn, wenn Sie von einer Seele sprechen?
domradio: Das Spirituelle, das, was wir mit Worten nicht fassen können.
Hagencord: Dann sind Sie schon sehr nah am biblischen Bild der Seele. Und wenn man einen biblischen Autor fragen würde, ob Tiere eine Seele haben, würde er das gar nicht verstehen. Denn die Bibel denkt gar nicht in dem Dualismus von Leib und Seele. Die Bibel sagt, dass alle Geschöpfe - Menschen und Tiere - Seele sind. Das ist das Interessante. Wenn man in die Schöpfungsberichte schaut, sieht man: Mensch und Tier sind Seele, damit betonen die Autoren das, was Sie auch sagen, dass in allem, was lebt, ein Geheimnis vorhanden ist, das man nicht in Begriffe fassen kann. Viele meinen, wenn sie Seele sagen, eigentlich Bewusstsein. Also Selbstbewusstsein, eine Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen, womöglich eine Erfahrung, die verarbeitet wird. Damit ist man dann aus dem biblisch-theologischen Sprachspiel in einem wissenschaftlichen. Und eben bei der Frage: Haben Tiere denn ein Bewusstsein? Und diese Frage muss man noch mal differenziert anders beantworten.
domradio: Und wie?
Hagencord: Je nach Status in der Evolution sind Tiere sehr nahe bei uns in der Frage, ob sie ein Bewusstsein haben. Denken Sie an die großen Menschenaffen, denken Sie an Delphine. Bei anderen - so genannten primitiveren Lebensformen - sieht das dann schon anders aus. Nur: Auch da liefert uns die Wissenschaft auch täglich neue Überraschungen, wenn man von Bienen und Ameisen hört, dass sie über etwas wie ein kollektives Bewusstsein verfügen. Dann stellt sich schon die Frage, ob man daran festhalten kann, dass nur der Mensch ein Bewusstsein hat. Ich bin der Meinung, dass man auch Darwin so verstehen muss, dass nichts vom Himmel gefallen ist, sondern dass alles, was uns Menschen ausmacht, Vorstufen, Vorformen im Tierreich hat und dass die Übergänge fließend sind.
domradio: Also darf man seinen Hund mit in die Kirche nehmen?
Hagencord: Die Frage wäre für mich: Warum denn? Die Frage stellt sich mir auch bei so genannten Tiersegnungen. Darin spiegelt sich eine Sehnsucht der Menschen wieder, die mit einem Tier leben, dass es diese Trennung nicht gibt und dass im Grund Mensch und Tier vor Gott eine Würde haben und Tiere deshalb mit in die Kirche gehören. Aber noch mal: Wenn man vom Segen oder der Zuwendung Gottes zu Mensch und Tier spricht, dann braucht eigentlich vor allen Dingen der Mensch einen Segen. Denn der Mensch ist in die Gottferne gekommen, wenn man so will: Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies. Das Tier hat insofern Erlösung nicht nötig. Wenn ich noch mal das Bild des Paradieses bemühen darf: Der Mensch hat den Garten Eden verlassen müssen, nicht das Tier. Die Bibel schweigt sich - außer über die Schlange - aus, aber wir können annehmen, dass die Tiere noch im Garten Eden sind. Und diese Metapher bedeutet so viel wie: Die Tiere sind immer noch in der Gottunmittelbarkeit, davon redet die Bibel. Und dann ist die Frage, ob Tiere Segen brauchen mit Nein zu beantworten. Tiere brauchen einen respektvollen Umgang von uns, wir müssen uns segnen lassen. Wenn man an all die Tiere in Massenhaltungen denkt und an unser Konsumverhalten mit übermäßigem Fleischkonsum, da sollten wir um Segen bitten, um unser Verhalten zu ändern.
Warum Tiere eine Seele haben aber keinen Segen brauchen
"Das Tier hat Erlösung nicht nötig"
Haben Tiere eine Seele? Mit der Frage beschäftigte sich am Wochenende eine Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland. Dr. Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster, im domradio-Interview über den theologischen und wissenschaftlichen Blick und warum Tiere den Segen der Kirche gar nicht nötig haben.
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