DOMRADIO.DE: Das Fenster des Apostolischen Palastes ist sehr weit entfernt von der inzwischen recht überschaubaren Menge auf dem Petersplatz. Dennoch wurde das Angelusgebet des Papstes als Videobotschaft gesendet. Was, denken Sie, mag hinter dieser Entscheidung gesteckt haben?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Die Logik der Ereignisse vom vergangenen Sonntag erschließt sich mir nicht. Aber auch viele andere sind etwas verwirrt und fragen sich, was das sollte.
Es war ja der ursprüngliche Gedanke, dass der Papst den Angelus als Videobotschaft bringt, damit man nicht auf dem Petersplatz große Menschenmengen hat, die sich anstecken können. Aber wenn ich dann das Video auf den Petersplatz übertrage, dann kommt doch eine ganze Reihe von Leuten dorthin.
Da frage ich mich dann auch, was das eigentlich soll. Da ist der Sinn nicht ganz zu erschließen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, die Idee war, wenn der Papst nicht live spricht, muss ich da nicht hingehen und mit tausend anderen dann auf dem Petersplatz stehen.
Nersinger: Ich weiß nicht, was die Verantwortlichen geritten hat, eine solche Entscheidung zu treffen.
Natürlich kann man eine Videobotschaft aufzeichnen, das finde ich auch gut. Aber dann übertrage ich die nicht auf den Petersplatz, wo ja nun doch eine Reihe von Leute war. Das, was man eigentlich vermeiden wollte, ist dann doch geschehen.
DOMRADIO.DE: In Italien gelten recht strikte Maßnahmen, die für die Eindämmung des Virus sorgen sollen. Welche Maßnahmen hat denn der Vatikan getroffen?
Nersinger: Er schließt sich doch sehr stark den italienischen Vorgaben an, die sehr, sehr weit gehen. Das ist für den Vatikan und auch für die italienische Kirche sehr außergewöhnlich. Das kannte man so nicht.
Das kannte man früher auch in Zeiten von Pest und Cholera nicht. Da hat man genau das Gegenteil gemacht. Man hat natürlich darauf geschaut, dass man sich so wenig wie möglich ansteckt. Aber man hat die Kirchen offengelassen. Man hat die Prozessionen stattfinden lassen, man hat Messen gelesen.
Mir fällt spontan ein Beispiel aus dem Jahr 1867 ein. Da hatten wir eine große Cholera im römischen Umland, vor allem in Albano. Und dann ist der Kardinalbischof von Albano, der in Rom weilte, stante pede sofort nach Albano gefahren, hat sich dort zusammen mit päpstlichen Soldaten und anderen Geistlichen um die Kranken und Todgeweihten gekümmert.
Der Großteil dieser Leute, auch der Kardinal selbst, sind dann an der Cholera gestorben. Aber das zeigte doch einen starken religiösen Einfluss, den die Leute hatten, und dass es darum ging zu helfen und zu zeigen: Wir geben nicht auf.
Und wenn ich heute auch aus dem Vatikan höre, dass dort Bischöfe aus Norditalien auftauchen, dann denke ich mir, das ist doch ein wenig eine verkehrte Welt.
DOMRADIO.DE: Wusste man denn in Zeiten von Pest und Cholera schon so viel über Viren und ihre Ausbreitung?
Nersinger: Das waren Zeiten, in denen man weitaus weniger wusste und wo es noch viel gravierender war.
Natürlich kann man das jetzt nicht mit dem neuartigen Virus vergleichen und es ist schwierig zu urteilen. Aber wenn man jetzt alle Kirchen zumacht und die Messe nur hinter verschlossenen Türen abhält, da weiß ich nicht, ob das das richtige Zeichen ist. Ob da nicht auch ein bisschen christlicher Mut und christliche Initiative fehlt.
Wie gesagt, es ist schwierig zu urteilen, aber es ist doch ein starker Gegensatz zu früher.
DOMRADIO.DE Wenn sich das Virus bis April nicht eindämmen lässt, dann stehen ja möglicherweise auch die großen Papstliturgien der Kar- und Ostertage auf der Kippe. Welches Szenario halten Sie für möglich?
Nersinger: Das wissen wir alle nicht, und das können wir auch alle nicht voraussehen. Ob es dann Sinn macht, die Liturgien ohne Volk zu zelebrieren, weiß ich nicht.
Natürlich sollte man die Liturgien feiern, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass man dann eine feierliche Papstliturgie per Video überträgt, wenn der Petersdom leer ist. Das sähe doch sehr seltsam aus. Damit wäre wahrscheinlich keinem geholfen. Und das würde dann einen Eindruck erwecken, der eher kontraproduktiv ist.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.