Autorin gibt Tipps für mehr Miteinander

"Was ist für alle gut?"

Sarah Paulsen hat eine Art Knigge für das 21. Jahrhundert geschrieben. Im Interview spricht sie über "das giftigste Kompliment aller Zeiten" und angemessenes Verhalten im Alltag sowie im "Frust-Outlet" Social Media. 

Symbolbild: Miteinander statt gegeneinander  (shutterstock)
Symbolbild: Miteinander statt gegeneinander / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was war für Sie der auslösende Moment, dieses Buch zu schreiben? 

Sarah Paulsen (Buchautorin): Henriette Kuhrt, mit der ich das Buch zusammen geschrieben habe, hat eine Kolumne in der NZZ am Sonntag, wo man Fragen stellen kann. Die Kolumne heißt "Hat das Stil?" und wir haben gemerkt, dass viele Menschen Fragen stellen zum Thema WhatsApp, zum Thema Social Media, aber auch zu anderen Themen. Wir haben gemerkt, dass es diese Regeln, die wir früher in unserer Kindheit noch gelernt haben, so nach dem Motto "One size fits all" - so macht man's und damit gut, so nicht mehr gibt. Da haben wir gedacht, dass es an der Zeit ist, ein neues Buch darüber zu schreiben. 

DOMRADIO.DE: Am Anfang stellen Sie die Frage, ob wir überhaupt noch gute Manieren brauchen. Warum? 

Paulsen: Wir würden sagen, es geht nicht so richtig um Manieren, sondern es geht darum, wie wir miteinander interagieren, wie wir uns benehmen. Zum Beispiel fehlt uns allen manchmal Rücksicht, zum Beispiel im Straßenverkehr. Und deshalb brauchen wir in manchen Situationen wieder den Rückblick darauf: Was ist für alle gut? Nicht nur: Was ist für mich gut, sondern was ist für alle Beteiligten in der Situation gut? Und wie manövriere ich mich durch eine Lage, sodass es für alle Beteiligten am besten ist? Darum geht es unserer Meinung nach beim guten Benehmen.

DOMRADIO.DE: Dass es für alle gut ist, ist auch das Gegenteil von rücksichtslosen Egotrips. Für Menschen ein gutes Wort bereit zu halten, zum Beispiel Komplimente zu machen. Aber das ist gar nicht immer gut und richtig, schreiben Sie. Wann sollten wir mit Komplimenten vorsichtig sein? 

Paulsen: Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren geändert und das finde ich auch sehr gut. Ich bin kein Anhänger des Kulturpessimismus und würde nicht sagen, alles ist schlechter geworden. Ganz im Gegenteil. Als ich jung war, war es völlig normal, dass Frauen mitgeteilt wurde, dass sie abnehmen sollten, andere Haare haben sollten. Männer durften Frauen anzügliche Komplimente machen bei der Arbeit. In der Hinsicht sind wir viele Schritte weitergekommen. Und das gilt auch für Komplimente.

Aber anderen Menschen zu sagen "Du hast abgenommen", ist das giftigste Kompliment aller Zeiten. Es war früher eine Standard-Begrüßung unter Frauen. "Gut, siehst du aus, hast du abgenommen?" impliziert aber einerseits, dass man vorher zu dick war in der Annahme desjenigen, der es sagt. Andererseits impliziert es, das schlank das einzig Vorstellbare ist. Und als drittes ignoriert es, dass manche Menschen auch abnehmen, weil es ihnen nicht gut geht und das nicht zwangsläufig jede Abnahme heißt, jemand macht eine Diät und freut sich darüber. Sondern es kann auch Liebeskummer sein, das kann eine Krankheit sein. Also wir würden sagen, der Körper des Anderen ist "off limits". Also keine Komplimente zum Körper.

Was allerdings Komplimente sind, die man immer machen kann, sind Komplimente, die man mit reinem Herzen macht. Also, wenn das Kompliment nicht gemacht wird, um jemand ins Bett oder in den neuen Gebrauchtwagen zu bringen, ist es auf jeden Fall erlaubt, Komplimente zu machen. Vielleicht so etwas wie: "Ich freue mich immer, Zeit mit dir zu verbringen. Oder "wenn du in einem Meeting hinter mir sitzt, dann weiß ich, das Meeting wird gut". Oder "Ich bewundere deine Powerpoint-Skills". Also Menschen Komplimente für das zu machen, woran sie gearbeitet haben oder eben auch einfach dafür, dass man gerne Zeit mit ihnen verbringt. 

DOMRADIO.DE: Gelten denn für Social Media-Nutzer und Nutzerinnen noch mal besondere Regeln? 

Paulsen: Also grundsätzlich sagen wir Social Media ist nicht der "Frust-Outlet" für die Mittagspause. Also nur weil ich schlecht gelaunt bin und mein Arbeitstag nicht gut gelaufen ist, sollte man nicht auf Social Media reihum rumpöbeln. Da sind andere Menschen involviert. Man sollte sich immer fragen: Das, was ich sage, würde ich das jemanden auch auf der Straße sagen? Würde ich das einer Frau sagen, wenn sie neben mir im Bus steht? Würde ich das demjenigen ins Gesicht sagen, wie dumm ich seine Ansicht finde, wenn ich ihn auf der Straße treffen würde? 

Und wenn die Antwort "Nein" ist, dann sollte man es nicht tun. Und wenn man sich denkt, wenn mein Partner, meine Partnerin oder meine Mutter das lesen würde, was ich hier schreibe, würde ich mich zu Tode schämen - dann sollte man es auch nicht schreiben. Also diesen Check mit der, ich sage mal "wirklichen Welt", den sollte man auch auf Social Media immer machen. 

DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, hat die Corona-Krise den Effekt, dass Menschen wieder mehr gutes Miteinander pflegen? 

Paulsen: Ich glaube, dass sich das Miteinander ein bisschen verändert hat. Gerade im beruflichen Kontext haben wir, glaube ich, gemerkt, dass es einerseits Sachen gibt, für die man nicht durch die Welt reisen muss. Niemand muss eine Stunde von München nach Hamburg fliegen, um seine Powerpoint-Folien zu präsentieren. Ich glaube, da können wir auch auf unser Klima und unsere Welt Rücksicht nehmen.

Was wir, glaube ich, auch alle gemerkt haben, ist es, wie wichtig es ist, die Menschen um uns zu haben und wie schön es ist, die Kollegen nicht nur im Team Call zu sehen, sondern auch in der Mittagspause. Und vielleicht hat es (Corona, Anm. d. Red.) uns allen auch etwas mehr Demut beigebracht - das ist meine persönliche Hoffnung. Dass man mit Menschen, die in Krisensituationen sind - jetzt global gesehen, aber auch in unserem Alltag - etwas mehr Nachsicht hat, nachdem man erlebt hat, wie unser Alltag von einem Virus quasi in die Knie gezwungen wurde und wie wir alle in einer bundesweiten Altags-Krise gesteckt haben. Vielleicht kann man dann mit Menschen etwas mehr Mitgefühl haben, die sich aus ganz anderen Gründen zum Beispiel auf eine Flucht begeben. 

Das Gespräch führte Katharina Geiger. 


Quelle:
DR