Die Pilgerschaft als Weg zu Gott hat ihre Wurzeln tief in der Vergangenheit. Doch heute brechen viele Menschen auch aus ganz anderen Gründen zu heiligen Orten auf, sagen Theologen und Soziologen. Und: Den typischen Pilger gibt es nicht.
Während der Pilgerweg ins spanische Santiago de Compostela von immer mehr Menschen bevölkert wird, erreichen die Traditionswallfahrten längst nicht mehr die Millionen Teilnehmer wie noch in der Nachkriegszeit, sagt Prof. Martin Lörsch, Geistlicher und Pastoraltheologe an der Universität Trier. Doch trotz abnehmender Kirchenbindung sind es in Deutschland immer noch Hunderttausende, die sich dorthin aufmachen.
Hinter dem Pilgern stecke eine für alle drei Weltreligionen grundlegende Idee, erläutert der katholische Theologe und Historiker Thomas Lentes vom Exzellenzcluster Religion und Politik an der Uni Münster: Die Vorstellung, auf der Reise zu sein - zu einem Sehnsuchtsziel im Jenseits oder ganz konkret zu einem heiligen Ort - sei Grundlage vieler religiöser Texte und präge so das Christentum bis heute.
Etabliertes Ritual der Buße und des Gebets
Im Zuge des Mittelalters entstand eine vielfältige Landschaft der Wallfahrtsorte: Man huldigte den Gräbern der Heiligen, baute Kapellen um Orte, an denen dem Glauben nach Wunder erwirkt wurden. Wallfahrt wurde zum etablierten Ritual der Buße und des Gebets, so Lentes. Mit der Moderne setzte ein Perspektivwechsel ein: "Spiritualisierung statt Materialisierung", nennt Lentes das. Heute gehe es auf der Reise immer auch um inneres Erleben, zunehmend weniger darum, Heiligenbildnisse oder Reliquien zu sehen.
Der Religionssoziologe Markus Gamper von der Universität Köln kommt zu einem ähnlichen Befund: "Während Buße und Gebet früher Motive waren, die stark auf das Jenseits ausgerichtet waren, finden wir bei heutigen Pilgern viel öfter Motive, die auf das Diesseits zielen", sagt er. Was heute für viele zähle, sei, sich selbst zu finden, auszusteigen, zu entschleunigen. Vom weiterhin andauernden Boom des Pilgerns auf dem Jakobsweg könne die traditionelle Wallfahrt allerdings eher nicht profitieren: "Auch wenn es sicherlich viele Hybridtypen gibt, haben sich da zwei ganz unterschiedliche Formen herausgebildet: Geht es bei dem Pilger stärker um den Weg mit all seinen Erlebnissen, Erfahrungen und Härten, bleibt beim Wallfahrer das Ziel das Ziel."
Auf dem Jakobsweg treffe man daher häufiger auf Spaßpilger, Sportfans und kulturinteressierte Touristen. Wer auf Wallfahrten geht, stelle öfter religiöse Motive in den Mittelpunkt, sei im Schnitt älter und kirchennäher. "Natürlich sind hier auch die Erlebnisse, die Busfahrt, das Singen, der Austausch, das Stück Kirschtorte wichtig. Das Bildnis der Mutter Gottes zu sehen, ist aber der Hauptansporn des Durchschnittswallfahrers", sagt Gamper. Die Schnittmenge zwischen beiden Gruppen? Spiritualität, sagt der Theologe Lörsch. "Menschen sehnen sich nach übersinnlichen, außeralltäglichen Erfahrungen" - auch jene, die mit Kirche nicht viel zu tun hätten. Und das lasse sich auch an den klassischen Wallfahrtsorten wie Lourdes, Kevelaer oder Trier feststellen: "Es finden sich auch dort zunehmend mehr Pilger, die allein der Ausstrahlung und Energie solcher Orte wegen kommen."