"Weg der Hoffnung" auf früherem Todesstreifen

Monumentaler "Kreuzweg"

Viele Monate schmiedete und schweißte Ulrich Barnickel. Jetzt stehen alle seine 14 Metallskulpturen am ehemals heißesten Ort des Kalten Krieges - auf dem früheren Todesstreifen am "Point Alpha" beim thüringischen Geisa. Am 3. Oktober - und damit genau 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung - wird sein ungewöhnlicher "Kreuzweg" eingeweiht.

Autor/in:
Gregor Krumpholz und Markus Nowak
 (DR)

Es erinnert an das Leid unter den kommunistischen Regimes im Osten Europas und den Widerstand dagegen. Meterlange Eisenschienen, pulverbeschichtete Rohre und haufenweise Wellblech lagerten in seiner Werkstatt im osthessischen Schlitz.



Wenn der 54-jährige Künstler ans Werk ging, wurde es ohrenbetäubend laut, stechender Geruch lag in der Luft, und es sprühten Funken. In seinem Atelier war es nur schwer vorstellbar, dass daraus die Stationen eines Kreuzwegs entstanden, der sich nun auf 1,5 Kilometer Länge erstreckt.



Nur 40 Kilometer östlich von Barnickels Werkstatt verlief vor 1989 die innerdeutsche Grenze. "Point Alpha" war der westlichste Punkt, an dem die Truppen des Warschauer Paktes denen der NATO gegenüberstanden - bis auf die Zähne bewaffnet. In den vergangenen beiden Jahren entstand dort nun der christlich inspirierte "Weg der Hoffnung" mit den 14 bis zu vier Meter hohen Eisenplastiken.



"Das Leiden Jesu eignet sich auch dafür, an die DDR-Diktatur erinnern", ist sich Barnickel sicher. Jede Station steht für begangenes Unrecht, aber auch für Hoffnung in dem untergegangenen Staat. Er wolle die biblischen Szenen in die Gegenwart holen, beschreibt Barnickel sein religiös motiviertes Werk.



Christliche Thematik in der Kunst ist ihm nicht fremd. Schon zu DDR-Zeiten rückte der gebürtige Weimarer durch religiöse Motive allegorisch gesellschaftspolitische Themen in den Fokus. 1985 bürgerte die DDR den gelernten Schmied und studierten Bildhauer aus. In Hessen fand er eine neue Heimat.



Eine Symbolwirkung haben die 14 Kreuzwegstationen aber auch für Juden, Muslime und Nicht-Gläubige, glaubt Uta Thofern, Direktorin der Point-Alpha-Stiftung, die das Denkmal in Auftrag gab. "Die Figuren sind so aussagekräftig, dass jeder seine Assoziation mit dem Thema Leiden, Diktatur, Willkür und Widerstand verbinden kann". Auch dem Katholiken Barnickel ist es dies wichtig. So ist nicht an jeder Station ein Kreuz zu sehen; stattdessen ist der rote Oberschenkel Jesu das Leitmotiv - für den Künstler ein Symbol für Fleisch und Blut.



Zudem rückte er die "Insignien der DDR-Diktatur" ins Licht. So ist in die Stuhllehne von Pontius Pilatus an der ersten Station unter dem Titel "Willkür" ein DDR-Stahlhelm eingearbeitet. Auch der Soldat, der Jesus an der zehnten Station ("Entwürdigung") seiner Kleider beraubt, trägt einen NVA-Kopfschutz. Und wenn Jesus an der dritten Station ("Zwang") das erste Mal Fall unter dem Kreuz fällt, stolpert er über eine Granathülse der DDR-Armee.



Der ungewöhnliche Kreuzweg steht in einer Rhön-Landschaft deren heutige Idylle trügt: An kaum einer anderen Stelle war die Konfrontation von NATO und Warschauer Pakt so spürbar wie am früheren US-Beobachtungsposten Point Alpha. Ein Angriff aus dem Osten hätte sehr wahrscheinlich an diesem Abschnitt der innerdeutschen Grenze begonnen und den Dritten Weltkrieg ausgelöst.



Dass nun ausgerechnet hier ein Kreuzweg entsteht, sei somit eine Allegorie auf den Eisernen Vorhang, sagt Point-Alpha-Stiftungsdirektorin Uta Thofern. Für Barnickel ist sein Werk noch weit mehr: ein Sinnbild für die gesamte DDR-Diktatur.