Wegen eines Stücks Wald kocht der Kaschmirkonflikt erneut hoch

Hexenkessel zwischen Indien und Pakistan

Die Geschäfte sind verrammelt seit 54 Tagen. Der Raghunath-Markt mit seinen über 300 Läden war früher der beliebteste Einkaufsplatz in Jammu, der Tempelstadt im nördlichsten Teil Indiens.
Doch vor den eisernen Verschlägen spielen die Händler Karten. Die Geschäfte bleiben zu - aus Protest. Stein des Anstoßes: ein 40 Hektar großes Stück Wald in Kaschmir, der zwischen Pakistan und Indien umstrittenen Region.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

"Wir wollen das Land zurück, ganz einfach!", sagt Chaman Lal, dessen Friseurladen seit Wochen keinen Kunden mehr gesehen hat. Die Straßen sind fast menschenleer, Betriebe und Schulen sind zu. Jammu ist mehrheitlich hinduistisch, das benachbarte Kaschmir-Tal hingegen muslimisch. Seit fast zwei Monaten wechseln sich in Jammu und Kaschmir, dem indischen Bundesstaat an der Grenze zu Pakistan, Proteste und Gegenproteste, Ausgangssperren und Blockaden ab.

Der Grund für die Gewalt mutet erst mal harmlos an: Im Juni übergab die Regierung etwa 40 Hektar Wald an der Straße zum Amarnath-Schrein an einen Verein, der darauf Unterkünfte für Hindu-Pilger errichten wollte. In dem etwa 140 Kilometer von der kaschmirischen Sommerhauptstadt Srinagar entfernte Heiligtum bildet sich jedes Jahr zwischen Juli und August eine riesige Eissäule, die als Zeichen für den Gott Shiva angebetet wird. Um die 400.000 gläubige Hindus pilgern jedes Jahr zum Schrein. Die Übergabe des Landes an den Verein brachte die Muslime auf. Als der Landtransfer rückgängig gemacht wurde, protestierten die Hindus.

Die schwerste Gewaltwelle seit fast 20 Jahren
Das indische verwaltete Kaschmir erlebt derzeit die schwerste Gewaltwelle, seit dort vor fast 20 Jahren der Aufstand gegen Indien begann. Hoffnungen auf Frieden sind in weite Ferne gerückt. Es wird sogar befürchtet, dass Jammu und Kaschmir entlang der religiösen Fronten zerfällt. Mindestens 21 Menschen sind in der vergangenen Woche ums Leben gekommen, die meisten davon im Kaschmir-Tal, als die Polizei Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffnete. Ein Ende des Aufstandes der überwiegend muslimischem Bevölkerung ist nicht in Sicht. Die Stimmung ist so explosiv, dass liberale Kommentatoren bereits offen fordern, Indien solle sich von Kaschmir trennen.

Weil Demonstranten aus Jammu die einzige Zufahrtstraße nach Srinagar in Kaschmir blockierten, beschlossen kaschmirische Obsthändler, deren Waren auf Lastwägen und Feldern verrotten, am 16. August die Grenzlinie zu Pakistan zu durchbrechen. Sie wollten ihre Früchte auf dem Markt in Muzaffarabad verkaufen. Die Straße ist seit über 61 Jahren gesperrt. Als die Polizei den Konvoi stoppte, kam es zu blutigen Ausschreitungen. Dabei wurde auch der als moderat geltende Separatistenführers Sheikh Aziz erschossen.

Auch die labile Situation in Pakistan schürt den Konflikt
Die Regierung in der Hauptstadt hat die gefährliche Lage lange nicht richtig wahrgenommen. Das nutze die größte Oppositionspartei, die hindunationalistische BJP, um den Konflikt weiter anzuheizen.
Spätestens im Mai 2009 sind Parlamentswahlen.

Auch die labile Situation in Pakistan schürt den Konflikt. Immer öfter kommt es zu Schusswechseln zwischen pakistanischer und indischer Armee an der Waffenstillstandsgrenze. Kurz vor seinem Rücktritt leistete sich der frühere pakistanische Präsident Pervez Musharraf einen erneuten Affront: "Kaschmir schlägt im Herzen jedes Pakistani", sagte er und stieß Indien vor den Kopf. Neu Delhi wird zunehmend ungeduldig mit dem Nachbarn. Die Regierungsdelegationen, die zwischen beiden Ländern hin- und herreisen, um den Weg für einen Dialog zu ebnen, haben noch nichts ausrichten können - die Gewalt geht weiter.