KNA: Von Donnerstag bis Freitag fand im Vatikan die 5. Konferenz der "Santa-Marta-Group" statt. Die von Papst Franziskus 2014 initiierte internationale Gruppe von Vertretern von Kirche, Polizei, Justiz und Menschenrechtsarbeit widmet sich dem Kampf gegen Menschenhandel. Sie nahmen dieses Mal für die Deutsche Bischofskonferenz teil und waren erstmals bei einer Konferenz der "Santa-Marta-Group". Was haben Sie dabei über Deutschland gelernt?
Weihbischof Ansgar Puff (Kölner Weihbischof): Dass das Ausmaß von Menschenhandel und moderner Sklaverei viel schlimmer ist, als ich dachte. Weltweit sind 40 Millionen Menschen Opfer dieser Verbrechen, das ist die halbe Bevölkerung von Deutschland, 40 Mal die Stadt Köln, in der ich lebe. Das ist erschreckend, wie sehr wir selber davon betroffen sind. Prostitution, organisierte Bettelei, Arbeitsausbeutung, wie sie etwa in manchen Fabriken der Schlachtindustrie passiert - das ist reiner Sklavenhandel. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, wie viele engagierte Menschen an dem Thema dran sind. Das ist sehr ermutigend. Und ich bin stolz, dass die katholische Kirche dafür das Dach bietet.
KNA: In welchen Einrichtungen finden sich solche Menschen sonst noch?
Puff: Bei dem Treffen im Vatikan waren hauptsächlich Vertreter von Bischofskonferenzen, höhere Polizeibeamte, teilweise Regierungsvertreter und vor allem auch Ordensschwestern. Die machen in vielen Ländern die Arbeit an der Basis. In unserer Delegation war eine Schwester von Solwodi in Berlin, die jeden Tag mit betroffenen Frauen arbeitet.
KNA: Jeder von uns ist als Konsument Nutznießer moderner Sklaverei. Nach dem, was Sie erfahren haben - welche Konsequenzen ziehen Sie für sich persönlich?
Puff: Das ist nicht so leicht. Ich kann Lobbyarbeit machen und sagen: Jeder, der sich als Christ fühlt, darf nicht zu einer Prostituierten gehen. Viel schwieriger ist es zu sagen, du darfst keine Schnitzel mehr für zwei Euro kaufen, weil dahinter Sklavenhandel in der Fleischindustrie steckt. Die genauen Zusammenhänge sind schwer zu durchschauen, wie auch bei der Kleidung. Hilfreich wäre es, wenn gesetzlich geregelt würde, was auf Dauer an Arbeitsplätzen möglich ist und was nicht.
KNA: Gibt es eine moralische Verpflichtung für den Konsumenten, sich zu informieren?
Puff: Ja. Aber es gibt auch da ein Problem. Als Pfarrer habe ich viel mit Leuten gearbeitet, die kein Geld haben. Wenn einer Hartz IV bekommt, dann hätte ich als Bischof ein Problem damit, ihm zu sagen: Informiere dich, und wenn das Fleisch zu billig ist, dann kaufst du eben das teure Fleisch. Der kann sich dann nämlich gar kein Fleisch kaufen. Die Sache darf nicht zu einer Arroganz der Reichen werden.
KNA: Wer sich eher Teures leisten kann, was kann der tun?
Puff: Lobbyarbeit machen, Augen auf, das Thema ins Gespräch bringen. Wer mit Geld gesegnet ist, hat oft Intelligenz, Kontakte, Beziehungen - und kann diese Probleme immer wieder zum Thema machen.
KNA: Was bedeutet das Wissen um die Zusammenhänge von Menschenhandel und Sklaverei für die Kirche als Institution, die auch Investor, Arbeitgeber und ebenfalls Konsument ist?
Puff: Zum einen müssen wir als Kirche Menschenhandel noch stärker zum Thema machen. Lobby für die Opfer sein und zeigen, dass wir an deren Seite stehen. Hinzu kommen auch Anlagerichtlinien, wie wir sie etwa im Erzbistum Köln haben. Die sind nach ethischen Gesichtspunkten organisiert und werden regelmäßig überprüft. Dazu gehört, dass wir bei Firmen, die mit Menschenhandel zu tun haben, nicht investieren. Das ist völlig klar.
KNA: Wie überprüfen Sie das?
Puff: Wir haben einen Dienstleister, der sich in Anlagegeschäften bestens auskennt, und der alle zwei oder drei Monate prüft, was die machen. Wobei die Abgrenzungen manchmal schwierig sind, gerade dann, wenn Firmen nur in einem sehr geringen Ausmaß in unethischen Geschäftsfeldern tätig sind. Klar ist aber: Wir investieren nur da, wo das ethisch verantwortbar ist.
KNA: Angesichts der komplexen Probleme, von denen auf der Konferenz berichtet wurde - ist es nicht frustrierend, dagegen anzugehen, schlimmer als Sisyphos-Arbeit?
Puff: Ich glaube, dass man viel machen kann, wenn man die Geduld nicht verliert und am Ball bleibt. Dies ist politische Arbeit, die immer einen langen Atem braucht. Aber dafür ist die Kirche ja bekannt - wir denken ja in Jahrhunderten.
Das Interview führte Roland Juchem.