DOMRADIO.DE: Sie sind seit vergangenem Jahr Präsident des Ökumenischen Rates der Kirchen. War das für Sie eine Umgewöhnung, die Ökumene jetzt ein bisschen breiter zu denken?
Heinrich Bedford-Strohm (Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen / ÖRK): Nein, das war für mich keine Umgewöhnung, denn ich bin ja seit Jahrzehnten im Weltkirchenrat engagiert. Aber auch in Deutschland ist Ökumene für mich immer sehr viel mehr gewesen als die evangelisch-katholische Ökumene. Deswegen sage ich aber auch gerne immer "Weltkirchenrat" statt "Ökumenischer Rat der Kirchen", weil die weltweite Dimension hier das Besondere ist, dass es 352 Kirchen aus allen Kontinenten der Erde sind.
Deswegen spielt nicht nur die konfessionelle Frage eine Rolle, sondern auch das, was gerade jetzt in dieser so gespaltenen Welt so wichtig ist. Wie kann diese Welt zu einer Einheit finden? Wie können wir als Kirchen Zeichen der Einheit auch für die Welt sein? Deswegen ist das eine Dimension der Ökumene, die für mich jedenfalls immer zum Kern gehört.
DOMRADIO.DE: Was sind für Sie denn Gruppierungen, Richtungen oder Ansätze beim Thema Ökumene, die uns vielleicht nicht auf den ersten Blick bewusst sind?
Bedford-Strohm: Zunächst mal ist es so, dass die großen Traditionen wie die römisch-katholische Kirche, die anglikanische Kirche, die protestantischen Kirchen und die orthodoxe Kirche eine zentrale Bedeutung haben und noch mal ganz unterschiedliche Ausformungen in den verschiedenen Kirchen weltweit haben.
Mit der römisch-katholischen Kirche verbindet uns sehr viel. Sie ist Mitglied der Kommission "Glaube und Kirchenverfassung" des Ökumenischen Rates der Kirchen. Sie ist aber nicht Vollmitglied des Weltkirchenrats. Wir sind aber in engem Austausch. Es sind immer auch Gäste aus der römisch-katholischen Kirche dabei.
Wir erleben, dass die pfingstkirchlichen Gruppen in der Welt zunehmen. Wir haben jetzt begonnen, alte Grenzen zu überwinden. Diejenigen unter den Pfingstkirchen, die nicht nach Gut-Böse-Schemata oder simplen Antworten gehen, sondern theologisch basiert sind und mit uns ins Gespräch kommen, die nähern sich immer mehr auch an den Weltkirchenrat an. Wir haben da ganz spannende Gespräche.
Insofern zeigt sich hier auch, dass es eine Verlagerung vom Norden in den Süden im Weltkirchenrat gibt. Das ist für uns ganz wichtig, dass wir auch als Kirchen in Europa diese weltweite Dimension der Christenheit deutlicher wahrnehmen, die nämlich wächst.
Unser Problem, dass die Säkularisierung auch dazu führt, dass weniger Menschen Mitglied der Kirche sind, lässt uns manchmal denken, das sei weltweit auch so. Das Gegenteil ist der Fall.
DOMRADIO.DE: In Amsterdam wurde der Weltkirchenrat vor 75 Jahren gegründet. Es war kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Grundidee war, dass Kirchen weltweit für den Frieden statt für den Krieg eintreten sollen. Hat denn der ÖRK da sein Ziel verfehlt? Denn wirklich friedlich ist es ja nicht in der Welt.
Bedford-Strohm: Das ist eine bleibende Aufgabe, jetzt ganz besonders schmerzlich durch den Ukraine-Krieg. Gerade hat der Zentralausschuss mit 150 Delegierten aus allen Kontinenten in Genf getagt. Wenn wir da zusammen sind, wird auch sehr deutlich, dass die Verengung der Frage Krieg und Frieden auf Europa und auch auf die Ukraine von den Menschen aus aller Welt so nicht mitgetragen werden kann. Da geht es vielmehr um die Überwindung der Gewalt überall.
Wenn wir über die Militärkosten des Krieges in der Ukraine sprechen, dann schwingt hier immer mit, was das für die Menschen in anderen Teilen der Welt bedeutet. Der Getreidepreis steigt durch die Auseinandersetzung und natürlich werden auch Unsummen für das Militär verwendet, die eigentlich dringend für Entwicklung gebraucht würden.
Trotzdem hat der Weltkirchenrat in aller Klarheit gesagt: Die russische Invasion ist ein illegaler und ein unmoralischer Krieg, ohne dass die russisch-orthodoxen Delegierten das blockiert hätten. Das war ein gewichtiges Zeichen.
Von dieser Basis her versuchen wir auch wegen der weltweiten Verantwortung Friedensinitiativen zu starten, die die Tür vielleicht wenigstens ein Stück weit öffnen können, damit endlich die Militärlogik überwunden wird und wir über Wege raus aus der Gewalt nachdenken können.
DOMRADIO.DE: Das Moskauer Patriarchat mit Patriarch Kyrill, der aktiv den Angriffskrieg von Wladimir Putin in der Ukraine unterstützt, ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen. Es gab sogar einen Antrag auf Ausschluss aus dem Weltkirchenrat, der dann aber abgelehnt wurde. Wie geht man mit so einem Fall um?
Bedford-Strohm: Ich glaube, es wäre falsch, die russisch-orthodoxe Kirche jetzt auszuschließen. Genau das Gegenteil muss der Fall sein, dass wir in allen gesellschaftlichen Gruppen, wo es Verbindungen nach Russland gibt, gerade ins Gespräch kommen. Das ist natürlich für uns als Weltkirchenrat ganz besonders der Fall.
Wir müssen sehen, dass wir der Putin-Propaganda auch etwas entgegensetzen können, dass andere Informationen nach Russland reinkommen, dass wir die zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten zu nutzen versuchen, um endlich aus dieser schrecklichen Gewalt herauszukommen.
Generalsekretär Jerry Pillay und ich haben mit einer kleinen Delegation deswegen eine Reise nach Kiew unternommen, um mit den beiden ukrainisch-orthodoxen Kirchen, die miteinander rivalisieren und in Konflikt sind, ins Gespräch zu kommen und einen runden Tisch zu organisieren, an dem die russisch-orthodoxe Kirche dann auch teilnimmt. Wir haben das für die letzte Oktoberwoche vor.
Wir wissen noch nicht, ob es gelingen wird, aber es ist grundsätzlich von den Kirchen eine Offenheit erklärt worden, sodass wir gerade als Weltkirchenrat, die wir da ein Stück weit von außen kommen, aber mit den Kirchen verbunden sind, vielleicht eine besondere Möglichkeit haben, die verfestigten ideologischen und theologisch oft begründeten Gegensätze zu überwinden.
Uns verbindet das Bekenntnis zu Jesus Christus. Und das muss am Ende stärker sein als all diese Gegensätzlichkeiten.
DOMRADIO.DE: Sie vertreten nicht die katholische Kirche. Seit 1965 gibt es ein gemeinsames Gremium. In verschiedenen Gremien des ÖRK arbeiten auch katholische Vertreter mit. Wie sieht denn im Jahr 2023 das Miteinander zwischen Weltkirchenrat und katholischer Weltkirche aus?
Bedford-Strohm: Das ist ein sehr freundschaftliches Miteinander. Ich habe als einen meiner ersten Antrittsbesuche zusammen mit Generalsekretär Jerry Pillay auch Papst Franziskus besucht. Wir haben ihm unsere Friedensinitiative in der Ukraine vorgestellt. Er hat es sehr unterstützt. Er hat ja selbst auch eine Initiative gestartet.
Wir wollen das nicht gegeneinander, sondern miteinander und parallel versuchen und vielleicht auch irgendwann zusammenzuführen. Das ist ein absolut gemeinsames Unterfangen.
Auch die Flüchtlingspolitik ist etwas, was mich ganz persönlich mit Papst Franziskus in unseren Impulsen, die wir da in die Öffentlichkeit hinein geben, intensiv verbindet. Da gibt es ganz viele freundschaftliche Verbindungen. Der Papst hat am 70. ÖRK-Geburtstag beim Ökumenischen Zentrum in Genf eine wichtige Predigt gehalten. Patriarch Bartholomaios, das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, hat jetzt im Juni, als wir die 75 Jahre schon mal gefeiert haben, während des Zentralausschusstreffens gepredigt, sodass hier auch in den Spitzen der großen Konfessionen eine ganz große Verbundenheit zum Ausdruck kommt.
Unser Programmwort für die nächsten acht Jahre, in denen ich Vorsitzender des Weltkirchenrates bin, heißt "Ökumene des Herzens". Das heißt, dass wir innerlich im Herzen, im gemeinsamen Bekenntnis zu Jesus Christus eng verbunden sind. Von daher wollen wir aber auch als Kirchen institutionell näher zusammenkommen.
DOMRADIO.DE: Würden Sie sich denn in weiteren 75 Jahren oder vielleicht auch früher schon wünschen, dass die katholische Kirche mal Mitglied im Weltkirchenrat wird?
Bedford-Strohm: Natürlich wünsche ich mir, dass alle institutionellen Grenzen, die es noch zwischen den Konfessionen gibt, überwunden werden. Insbesondere aber auch, dass eine Gemeinsamkeit im Empfang des Abendmahls, der Eucharistie möglich wird. Ich wünsche mir, dass dies so bald wie möglich möglich wird.
Nicht dass die unterschiedlichen Traditionen einfach in eine Soße gerührt werden. Das ist ein großer Reichtum unserer konfessionellen Traditionen. Aber sie führen alle auf den einen Herrn Jesus Christus hin, und sie dürfen sich nie an die erste Stelle setzen, sondern sie müssen immer als Türen hin auf dem Weg zu Jesus Christus verstanden werden.
Das heißt natürlich auch, dass es kein Gegeneinander mehr geben darf, sondern dass wir alle gemeinsam diesen Herrn Jesus Christus bezeugen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.