Natürlich sind die Schubladen bekannt. Muslimische Männer sind Macho-Typen, die laut sind und Frauen übergriffig anmachen. Obwohl wir alle in unserem Bekanntenkreis akademisch geprägte Freunde haben, die muslimisch aufgewachsen sind, sich zu ihrer Religion bekennen und aufgeklärt damit umgehen – bleibt das Bild des muslimischen Clanführers in einer patriarchal geprägten Sippe prägend.
Wie spannend ist es da, Sineb El Masrar zu treffen, eine muslimische Publizistin, die einen tiefen Blick in die Seele muslimischer Männer geworfen hat.
Sie hat viele Interviews mit muslimischen Männern geführt. In ihrem Buch 'Muslim Men – Wer sie sind, was sie wollen' portraitiert die Autorin den 31jährigen Sexarbeiter, der unter seinen Kunden auch homosexuelle Imame hat, den kriminellen Jugendlichen, aber auch den beruflichen Überflieger und erfolgreichen Geschäftsmann oder den akademisch gebildeten muslimischen Mann, der nach westlichen Maßstäben in einer gleichberechtigten Ehe lebt.
"Obwohl man sagen muss, dass bei vielen muslimischen Familien, Männern aber auch Frauen, das Patriarchat tatsächlich sehr stark vorherrscht", räumt die Autorin im DOMRADIO.DE Interview ein.
Kritik am patriarchalen System gilt als Gotteslästerung
Die muslimische Männerherrschaft werde dabei häufig religiös legitimiert. Wer daran Kritik übe, dem werde gleich gesagt, er spiele mit seiner Kritik den Rechtspopulisten Argumente zu oder er werde sogar als Gotteslästerer beschimpft, erklärt Sineb El Masrar: "Wo patriarchale Strukturen, die religiös legitimiert werden, kritisiert werden, wird man gleich in die Ecke eines Religionskritikers gestellt. Das führt in vielen muslimischen Familien – und die müssen noch nicht einmal reaktionär sein – dazu, dass der Kritiker als Gottesleugner verächtlich gemacht wird", sagt Sineb El Masrar.
Bei aller Aufgeklärtheit und Emanzipation, die es auch unter Muslimen in Deutschland gibt, beobachtet die Autorin besonders in Moscheegemeinden einen 'Rollback'. Muslime fliehen in alte traditionelle Lebensformen, weil die Freiheit und die komplexe Lebenswelt der Moderne sie überfordert.
"Deswegen ordnen sie sich lieber dem System unter, was sie kennen", sagt sie, "wo sie die Regeln auch beherrschen. Andere können mit Freiheit überhaupt nicht umgehen und behaupten, zu viel Freiheit mache eben nicht glücklich und man kehre doch besser zu den traditionellen Rollen zurück".
Druck auf die radikalen Meinungsführer ausüben
Das traditionelle patriarchale Rollenverständnis, das besonders von radikal muslimischer Seite gepredigt wird, möchte die Autorin mit ihrem Buch aufbrechen, denn - und auch das hat Sineb El Masrar in ihren Gesprächen mit muslimischen Männern festgestellt - nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer sind häufig mit dem althergebrachten Rollenbild unzufrieden.
Diesen Frauen und Männern müsse man Gesprächsangebote machen, sagt die muslimische Autorin, und auf die 'Closed Shops' der Moscheegemeinden müsse mehr gesellschaftlicher und politischer Druck ausgeübt werden. "Wenn wir diesen Druck eben nicht auf die Gemeinschaften und bestimmte Akteure ausüben, die sich als Meinungsmacher und Vertreter der Muslime gerieren, dann wird sich natürlich auch innerhalb dieser Gruppierungen nichts ändern", ist Sineb El Masrar überzeugt.
Dabei gehen die extremen muslimischen Gruppen oft geschickt vor, erzählt die Autorin. Da gebe es attraktive Angebote in sozialen Brennpunkten, Fußball für Jugendliche oder Mittagstische für Mittellose. Und dann wird mit den sozialen Angeboten auf einmal ein extremes muslimisches Weltbild verkauft.
Rollenbilder überwinden - Gegenwind aushalten
Sineb El Masrars Buch 'Muslim Men - Wer sie sind, was sie wollen' gibt einen vielschichtigen Einblick in die Welt muslimischer Männer. Sie verklärt oder beschönigt nichts und macht dem Leser klar, dass sich bei der Überwindung von Vorurteilen und bei der Integration beide Seiten bewegen müssen.
Nach ihrem Buch 'Muslim Girls' ist 'Muslim Men' ein wichtiges Buch - für nicht muslimische Leser, um besser zu verstehen, welche muslimischen Rollenbilder es gibt und wie sie funktionieren und für alle muslimischen Männer eine Aufforderung, tradierte patriarchale Rollenbilder zu überdenken. "Es gehört Mut dazu, auch einmal den Gegenwind auszuhalten", sagt die Autorin.
"Noch sind sehr viele Muslime zaghaft, dieses Selbsbewusstsein auch an den Tag zu legen, herauszugehen, sich zu trauen, diese Dinge differenziert anzusprechen, weil man auf der einen Seite schnell von rechten Gruppen instrumentalisiert wird und gleichzeitig aus der eigenen Gemeinschaft als Nestbeschmutzer ausgestoßen wird. Da braucht es ein sehr gesundes Selbstbewußtsein, diesen Gegenwind auch auszuhalten und zu sagen, das ist der richtige Weg, wir werden das schaffen, wir müssen uns vernetzen und in ein paar Jahren tragen wir dann die Früchte".
Das Interview führte Johannes Schröer.