Binnen Sekunden verwandelten Schnellfeuergewehre und Sprengsätze die Pfingstfreude in der katholischen Franziskus-Kirche in ein grausames Massensterben. Bis zu 100 Menschen kamen am Sonntag bei dem brutalen Überfall in der südwestnigerianischen Stadt Owo ums Leben, darunter Kinder und Schwangere.
Videoaufnahmen aus der Kirche zeigen Chaos und Blutlachen überall. Noch nie ist so weit im Süden Nigerias ein derart schweres Attentat auf ein christliches Gotteshaus verübt worden, weit weg von den Gebieten der islamistischen Terrormiliz Boko Haram im Nordosten. Umso drängender stellt sich die Frage: Wer waren die Täter? Darüber gibt es bislang nur Spekulationen.
Warnung vor schnellen Schuldzuweisungen
"Christen und Muslime haben bisher in diesem Teil des Landes friedlich zusammengelebt, teilweise sogar in denselben Familien", berichtet Bettina Tiburzy, Nigeria-Expertin des katholischen Hilfswerks missio. Sie warnt im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vor schnellen Schuldzuweisungen entlang religiöser und ethnischer Grenzen. Konfliktpotenzial gebe es in dem Land zuhauf. "Es wäre nicht das erste Mal, dass interessierte Kreise durch Attentate das Chaos schüren, um den Staat unter Druck zu setzen." Am effektivsten funktioniere diese Strategie, indem man Christen und Muslime gegeneinander aufstachelt; beide machen jeweils etwa die Hälfte der 206 Millionen Nigerianer aus.
Eine Erklärung für den Anschlag in Owo könnte der alte Konflikt zwischen meist muslimischen Fulani-Hirten und überwiegend christlichen Bauern - Nomaden gegen Sesshafte - um Land und Wasser sein. Davon geht auch der zuständige Bischof von Ondo aus, Jude Arogundade. Zuvor hatte der Gouverneur des Bundesstaates, ein Katholik, die teils militanten Fulani mit ihrem Vieh aus den Wäldern vertrieben. Owo ist Berichten zufolge der Heimatort des Gouverneurs.
"Falls die Täter Fulani waren, mag der religiöse Unterschied zwar den politischen Konflikt befeuert haben und die vollbesetzte Kirche als leichtes Anschlagsziel gewählt worden sein. Aber der eigentliche Hintergrund des mörderischen Verbrechens ist der Kampf um knappe Ressourcen infolge des Klimawandels, bei wachsendem Bevölkerungsdruck", bilanziert die Nigeria-Referentin des katholischen Hilfswerks Misereor, Gabriele Huber, im KNA-Gespräch.
Kein Krieg des Islam gegen das Christentum
Ähnlich sah es nach dem Massaker auch der nigerianische Kardinal John Olorunfemi Onaiyekan. Von einem "Krieg des Islam gegen das Christentum" könne keine Rede sein, sagte er der Presseagentur Kathpress. Allerdings sieht er die Regierung sehr wohl in der Pflicht, Kirchen besser vor Mördern und Extremisten zu schützen. Das gelte aber auch für Moscheen, in denen Menschen zu Opfern "derselben Attentäter" würden, so der Kardinal, offenbar mit Blick auf Gewalt von Boko Haram gegen gemäßigte Muslime in den nördlicheren Landesteilen.
Sicher ist derzeit nur, dass Unsicherheit und Misswirtschaft in ganz Nigeria während der Regierungszeit von Präsident Muhammadu Buhari weiter wuchern. Dabei war er 2015 mit dem Versprechen angetreten, Terror, Kriminalität und Korruption zu bekämpfen. "Entführungen um Lösegeld sind inzwischen eine landesweite Epidemie. Buhari hat zwar Boko Haram im Norden geschwächt; aber die Kriminalität grassiert, und gegen die Korruption lässt er jeden Willen vermissen", so missio-Expertin Tiburzy.
Wie geht es in Nigeria weiter?
Zumindest will sich der Präsident mit seiner verfassungsmäßigen zweiten Amtszeit begnügen und das Zepter nach den Wahlen 2023 abgeben. Ob sein Nachfolger dysfunktionale Regierungsführung und Filz der politisch-wirtschaftlichen Eliten aufbrechen kann, hänge sehr von den Kandidaten ab, sagt Tiburzy ohne allzu viel Hoffnung in der Stimme.
Während von der Regierung nach dem Pfingst-Attentat einmal mehr geölte Betroffenheitsfloskeln kamen, hält es Misereor-Referentin Huber aber für ein gutes Zeichen, dass das mörderische Pfingstattentat in Nigerias Zivilgesellschaft für großes Entsetzen und starke Reaktionen sorgte. Künstler und NGOs pochten auf eine Zukunft ohne Gewalt und Perspektivlosigkeit - ein Feld, auf dem es für Christen und Muslime genug zu tun gibt.