In die monatelange Auseinandersetzung um die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln hat sich nun Papst Franziskus mit einem ungewöhnlichen Schritt eingeschaltet. Er schickt zwei Visitatoren zur Kontrolle in Deutschlands mitgliederstärkste Diözese, wie die Apostolische Nuntiatur in Berlin am Freitag mitteilte. Am Abend bezeichnete Kardinal Rainer Maria Woelki diesen Schritt in einem Video als "gut und richtig für die Aufarbeitung und die Folgen".
Kardinal Anders Arborelius aus Schweden und der Rotterdamer Bischof Johannes van den Hende sollen sich in der ersten Junihälfte "vor Ort ein umfassendes Bild von der komplexen pastoralen Situation im Erzbistum Köln verschaffen". Außerdem sollen sie untersuchen, ob der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und die Kölner Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff beim Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs "eventuelle Fehler“ gemacht haben.
Kardinal Woelki unterstützt die Visitation
Woelki sagte in einer ersten Reaktion, er werde die Visitatoren "mit voller Überzeugung in ihrer Arbeit unterstützen. Alles, was der konsequenten Aufarbeitung dient, begrüße ich." Im Video ergänzte er: "Sie können eine Situation wie im Erzbistum Köln nach der unabhängigen Untersuchung nicht aus Rom, aus der Ferne genau erfassen. Wer auch immer sich an das Thema Aufarbeitung heranmacht, tritt allen auf die Füße."
Der Blick von außen durch die Visitation könne "wertvolle Hinweise" geben, was bei der Aufarbeitung schiefgelaufen und was noch zu tun sei, so der Kardinal. Ihm liege weiterhin am Herzen, mit den Menschen im Erzbistum stärker in den Dialog zu kommen, was zurzeit nicht ganz einfach sei.
Laien und Betroffene begrüßen den Schritt
Positiv kommentierten auch Vertreter von katholischen Laien und Missbrauchsbetroffenen die Untersuchung. Gespräche müssten dabei auch mit Betroffenen und deren Umfeld geführt werden, forderte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Nur so könnte die Visitation zu einem weiteren wichtigen Schritt zu mehr Transparenz, aber auch zu mehr Befriedung zwischen der Kirche und Betroffenen werden. Mit Blick auf andere Bistümer sprach Rörig von einem möglicherweise wichtigen Impuls.
Der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, sprach von einer "guten Entwicklung". Er ermutigte die Betroffenen, nun ihre Sichtweise vorzubringen, damit der Vatikan ein "vollständigeres Bild" bekomme.
Auch die Sprecherin der Reforminitiative Maria 2.0 im Rheinland hofft darauf, "dass die Visitatoren einen offenen Blick haben und alle Stimmen in diesem Bistum hören".
Der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Köln, Tim-O. Kurzbach, lud Kardinal Arborelius und Bischof van den Hende zur kommenden Sitzung des Gremiums am 16. Juni ein, um die Stimmen der Laien zu hören. "Die Anordnung der Visitation unterstreicht, dass auch in Rom verstanden wird, dass im Erzbistum Köln unter der Leitung von Kardinal Woelki der Kontakt zwischen Gemeinden und Bistumsleitung schwer geworden ist." Der Diözesanrat lässt seine Zusammenarbeit mit Woelki wegen der strittigen Missbrauchsaufarbeitung seit Ende Januar ruhen.
Dechanten: "Zur Seite stehen bedeutet Loyalität und Kritik"
Die 14 führenden Geistlichen im Erzbistum Köln, die sich in einer E-Mail kritisch über die Missbrauchsaufarbeitung geäußert haben, sprachen von einer Chance. Die Stadt- und Kreisdechanten würden Woelki wie bislang beratend zur Seite stehen, sagte der Sprecher der Gruppe, der Wuppertaler Stadtdechant Bruno Kurth. "Aber zur Seite stehen bedeutet ja Loyalität und auch Kritik und das offene, ehrliche Wort."
Der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken hofft, dass mit der Visitation Glaubwürdigkeit zurückgewonnen wird. Das bedürfe nicht nur der Bereitschaft der Bistumsleitung, Verantwortung zu übernehmen, sondern auch der Offenheit aller im Erzbistum, die Zukunft konstruktiv und im Miteinander zu gestalten, sagte er der KNA. Dabei müsse tabulos über Gründe und Lösungsansätze für die vorliegende Krise gesprochen werden. Eine Visitation könne aber nur ein erster Schritt sein, dem ein langer Prozess der Aufarbeitung und Konsolidierung folgen werde.
Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine sagt in einem Statement über die Untersuchung: "Die Visitation eröffnet die Möglichkeit, dass mit einem klaren und unbefangenen Blick von außen auf die Missbrauchsaufarbeitung und auf die pastorale Situation im Bistum geschaut wird.“ Im Gespräch mit Woelki habe er, wie auch die anderen Stadt- und Kreisdechanten, in offenen Worten "über meine Wahrnehmung der augenblicklichen Situation im Stadtdekanat und in der Öffentlichkeit gesprochen", so Kleine. Ihn erreichen immer wieder Anfragen und Zuschriften, in denen Gläubige, aber auch viele Haupt- und Ehrenamtliche ihre Sorgen, ihre Kritik und ihr Leiden an der aktuellen Lage ausdrücken.
Kölner Domkapitel begrüßt die Visitation
Unterdessen begrüßte auch das Kölner Domkapitel die Anordnung der Apostolischen Visitation durch Papst Franziskus. Dompropst Guido Assmann erklärte am Wochenende, das Gremium stehe ebenso wie die einzelnen Kapitulare "den Visitatoren selbstverständlich zum Gespräch zur Verfügung". Man werde die Untersuchung im Gebet um Einheit und Frieden begleiten. Zum Kölner Metropolitankapitel gehören Priester oder Bischöfe des Erzbistums. Zu ihren Tätigkeit zählt die Seelsorge an der weltbekannten gotischen Kathedrale und die Verwaltung ihrer Güter. Außerdem haben sie das Recht, im Fall einer Vakanz aus einer Dreierliste des Papstes einen neuen Erzbischof zu wählen.
Seit mehr als einem Jahr wird im Erzbistum Köln um die öffentliche Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle durch Geistliche gerungen. Dabei geht es auch um die Frage, inwiefern hohe Amtsträger Missbrauchstäter geschützt und Fälle vertuscht haben. Auch Woelki werden Vorwürfe gemacht, obwohl ihn ein Aufarbeitungsgutachten des Strafrechtlers Björn Gercke juristisch entlastet. Dennoch wird seit Wochen immer wieder über neue Details rund um Fälle aus dem Gercke-Report diskutiert. Kritiker werfen Woelki vor, sich zu sehr auf juristische Fragen zurückzuziehen und zu wenig moralische Verantwortung zu übernehmen.
Zwei Gutachten und ihre Einschätzung
Ende 2020 wurde dem Kardinal erstmals angelastet, in einem Missbrauchsfall an Vertuschung beteiligt gewesen zu sein. Woelki wandte sich deshalb im Dezember an Papst Franziskus. Der Papst solle prüfen, ob er als Kölner Erzbischof eine Pflichtverletzung nach dem Kirchenrecht begangen habe, so Woelkis Absicht damals. Auch Laienvertreter vom Kölner Katholikenausschuss und die Protest-Initiative Maria 2.0 im Rheinland hatten Papst Franziskus um sein Eingreifen gebeten und unter anderem eine Visitationsreise eines Vatikanvertreters angeregt. Bislang gab es aus dem Vatikan keine offizielle Antwort auf diese Anfragen.
Der Mitte März veröffentlichte Gercke-Report weist hohen Amtsträgern im Erzbistum Köln - darunter ehemalige Generalvikare und Erzbischöfe - mindestens 75 Pflichtverletzungen zwischen 1975 und 2018 nach. Demnach sind die Würdenträger Verdachtsfällen nicht nachgegangen und haben sich nicht um die Betroffenen gekümmert. Nach Veröffentlichung des Gutachtens boten der Hamburger Erzbischof Stefan Heße sowie der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp Papst Franziskus ihren Rücktritt an. Beide waren früher als Generalvikare in Köln tätig. Heße werden elf und Schwaderlapp acht Pflichtverletzungen angelastet. Woelki hingegen wird im Report sowohl unter kirchen- als auch strafrechtlichen Gesichtspunkten entlastet.
Eine zuvor aufgrund "methodischer Mängel" nicht veröffentlichte Untersuchung der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl wurde im März zur Einsicht für Journalisten und Interessierte freigegeben. Auch dieses Gutachten sieht keinerlei Pflichtverletzungen bei Woelki.