Westfälischer Präses mahnt mehr Religionsfreiheit in der Türkei an

"Immer noch deutliche Mängel"

Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, fordert mehr Religionsfreiheit in der Türkei. Im Interview zum Abschluss einer einwöchigen Türkei-Reise bemängelt sie vor allem die fehlende Möglichkeit der Kirchen theologischen Nachwuchs auszubilden.

 (DR)

epd: Wie schätzen Sie nach ihren Gesprächen die Situation der christlichen Minderheit in der Türkei ein?

Kurschus: In Istanbul haben wir eine selbstbewusste deutschsprachige evangelische Gemeinde besucht. Wir haben im Osten des Landes hoffnungsvolle Zeichen gesehen, wie zum Beispiel die Wiederbelebung eines syrisch-orthodoxen Klosters, das hundert Jahre verwaist war. Insgesamt hängt die Situation der christlichen Minderheiten wesentlich davon ab, wie sich die Kultur der Zivilgesellschaft weiter entwickelt. Da hat sich einiges getan. Aber nach wie vor haben christliche Kirchen keinen juristischen Status.

Das bedeutet, dass sie offiziell keinerlei Rechtsgeschäfte vornehmen dürfen, keine Verträge abschließen, kein Personal einstellen, nicht einmal ein Bankkonto haben dürfen.

epd: Wie ist es aus Sicht der Kirchen um die Religionsfreiheit in der Türkei bestellt?

Kurschus: Es gibt zwar eine individuelle Glaubensfreiheit, aber die genannten Benachteiligungen beschränken die Religionsfreiheit in der Praxis. Trotz einiger Anzeichen von Verbesserung - wie etwa die Rückgabe von enteignetem kirchlichem Besitz - bleibt dies ein Grundproblem. Hinzu kommt: Die Möglichkeit, wieder theologischen Nachwuchs auszubilden, fehlt immer noch.

epd: Wie sehen Sie die Reformbewegungen wie die Gezi-Park-Aktivisten in der Türkei?

Kurschus: Solche Bewegungen sind weiterhin ein wichtiger Faktor im Wandel der politischen Kultur des Landes. Diese meist jungen Leute setzen sich mit hohen Idealen für Bürgerrechte, Meinungsfreiheit und eine menschenfreundliche Gesellschaft ein und suchen dafür einen guten Weg. Ich wünsche ihnen, dass sie den Mut nicht verlieren und ihre Kräfte zielgerichtet bündeln können.

epd: Bundespräsident Gauck sieht die Meinungsfreiheit in der Türkei in Gefahr. Wie sehr entspricht die Türkei westlichen Werten, die ja auch Grundlage der EU sind?

Kurschus: Es gibt zwar Fortschritte, aber immer noch deutliche Mängel, zum Beispiel mit Blick auf den rechtlichen Status der nichtislamischen Religionsgemeinschaften. Auch die Meinungsfreiheit ist keineswegs gewährleistet. Das wurde besonders deutlich bei dem Versuch der Regierung, Twitter und Facebook zu verbieten.

epd: Wie haben Ihre Gesprächspartner den Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck wahrgenommen?

Kurschus: Seine Rede in Ankara wurde sehr aufmerksam wahrgenommen. Er kam an als einer, der nicht mit erhobenem Zeigefinger gesprochen hat, sondern notwendige Wahrheiten beim Namen nannte. Einige fanden sogar, er wäre nicht weit genug gegangen.

Das Interview führten Holger Spierig und Ingo Lehnick.


Quelle:
epd