In einem Pfarrhaus im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach wird gewerkelt. Nähmaschinen rattern über braunes Sackleinen, auf Taschentuchpäckchen kleben flinke Hände Sticker: "Katholische Kirche Bad Kreuznach Heilig Kreuz ... wir probieren Neues aus" steht darauf. Ein Kreuz und ein Heißluftballon sind abgebildet. Das Neue ist, dass die Kirchengemeinde zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder im Fastnachtsumzug der Stadt mitgeht. 20 katholische Heißluftballonfahrerinnen und -fahrer werden am Karnevalssamstag mit Körben um die Hüfte und Ballon über dem Kopf durch die Straßen ziehen.
Dahin, wo die Menschen sind
"Wir wollen nicht hinter dicken Kirchenmauern warten, dass die Leute zu uns kommen, sondern dahin, wo die Menschen sind", sagt die Pfarrgemeinderatsvorsitzende Tine Harmuth, "und die sind am Fastnachtssamstag auf der Straße". Die Initiatorin der Aktion will den Menschen zeigen, "dass Kirche mehr ist als das, was man überall so mitkriegt". Dazu passend ist das Motto rund um die luftgefülltenFlugobjekte: "Die Kersch am End, die Luft is raus, doch mir probiere Neies aus", heißt es im Dialekt. Geworfen werden 5.000 mit der Botschaft beklebte Taschentuchpäckchen.
Seit Jahrzehnten wird in der Pfarrei Fastnacht gefeiert. "Feiern haben wir Katholiken im Blut", sagt Tine Harmuth und lacht. Dass es auch in den Kirchen Fastnachtsaktivitäten gibt, ist nicht so bekannt, vermutet sie. Wenn die Ehrenamtlichen zusammen mit Pfarrer, Kaplan und Diakon in ihren bunten Kostümen durch die Stadt laufen, wollen sie nicht einfach nur Spaß haben und als Kirche in ihrer Heimatstadt präsent sein. Tine Harmuth sieht auch einen gemeinsamen Auftrag von Karneval und Kirche: "Beides sollte bunt sein, vielfältig, und den Menschen Lebensfreude geben."
Familiär und ehrenamtlich
Von München bis zum Münsterland, in vielen Kirchengemeinden Deutschlands ist Fasching, Karneval und Co. familiär und ehrenamtlich geprägt. Hier feiern die Messdiener, da bietet eine Pfarrausschuss einen Krapfennachmittag für Senioren an. Vieles sorgt für Freude und Geselligkeit und läuft unter dem Radar des organisierten Karnevals, wie er insbesondere in den Hochburgen üblich ist.
In Erfurt wird am Karnevalswochenende "CWCC-Olé" gerufen, wenn die Kirchen Sankt Crucis und Sankt Wigbert zu ihrer Karnevalssitzung rufen. In diesem Jahr unter dem Motto "Möhren, Cruwi, Bohnen, der Eintopf wird sich lohnen", geht es nicht nur um Gemüse. Die Erfurter nehmen an zwei Abenden mit je rund 120 Gästen die Zusammenlegung ihrer Pfarrgemeinden aufs Korn. Seit 44 Jahren gibt es die Sitzungen.
Mit Prinzenpaar und Tanz
Markus Schneider und seine Crew kümmern sich um den Rahmen und um Programmpunkte. Büttenreden über politische, familiäre oder pfarreiinterne Themen gehören genauso dazu wie Musikalisches – manchmal komme auch das Erfurter Prinzenpaar. Bis zu vier Stunden Programm stellen die Erfurter katholischen Narren auf die Beine, danach gibt es Tanz. Die Gäste seien verkleidet, Abordnungen anderer Gemeinden seien genauso dabei wie Gäste, die mit Kirche nichts am Hut haben.
Viele kämen immer wieder. "Das Besondere bei uns ist, denke ich, dass wir durch unseren christlichen Hintergrund nicht verletzend und bloßstellend sind. Wir wollen vom Niveau nicht unter eine gewisse Grenze kommen", sagt Schneider. Das heiße aber nicht, "dass wir uns nichts trauen und nicht kritisch sind".
Schneider ist mit Gemeinde-Fasching in Nordthüringen groß geworden. "Feiern können katholische Pfarrgemeinden in der Regel ganz gut", heißt es in der thüringischen Diaspora genauso wie in Rheinland-Pfalz. Der kirchliche Karneval in Erfurt sei zu DDR-Zeiten entstanden. "In der DDR war das etwas, was einfach gut tat. Man hat sich da irgendwie freier gefühlt", beschreibt Schneider.
Mit Pappnas am Altar
Im Rheinland sind an den tollen Tagen die Verbindungen zwischen Karneval und Kirche besonders eng. Der Bonner Pfarrer Bernd Kemmerling feiert in mehreren Kirchen seiner katholischen Pfarreiengemeinschaft Bonn-Melbtal Karnevalsgottesdienste, auch in Mundart. Mit roter Pappnas' steht er am Altar, gesungen werden kölsche Hymnen wie beispielsweise der "Stammbaum" der Bläck Föös. "Mir all, mir sin nur Minsche, vür'm Herjott simmer glich", heißt es darin. Vor Gott sind wir alle gleich. "In so einem Gottesdienst nimmt man sich zum Schunkeln in den Arm, es werden Brücken geschlagen", beschreibt Kemmerling die Atmosphäre der närrischen Messen.
Gehört Karneval denn in den Gottesdienst? "Wenn Menschen sich aufmachen und Freude suchen, dann können wir als Kirche die Tür aufmachen und sagen: 'Hier könnt ihr eine Freude finden, die nicht Aschermittwoch vorbei ist'", so Kemmering. Gott sei in allen Lebenslagen gegenwärtig. "Weil der Mensch Gott am Herzen liegt, gibt es auch das, was Menschen Freude macht", sagt Kemmerling. Außerdem sei für Christinnen und Christen die Botschaft: "Gott nimmt mich an, so wie ich bin. Und das ist die Grundlage dafür, dass ich auch über mich und meine Schwächen lachen kann, die werden ja oft Karneval auf die Schippe genommen."
Dialekt bringt Gefühl Heimat
Ein besonderes Erlebnis sind für den Pastor seine Karnevalsmessen in Mundart. "Wenn ich Dialekt rede, öffne ich vor allem für ältere Menschen einen Raum der Heimat, der Vertrautheit", sagt Kemmerling. "Es gibt Sachen, die man im Dialekt ganz anders ausdrücken kann als in Hochdeutsch – und so ergibt sich auch die Möglichkeit, die Frohe Botschaft besser zu verstehen und davon berührt zu werden". Nur die Wandlung spricht der Pfarrer auf Hochdeutsch. In die Mundartmessen kämen Menschen, die er sonst nie sehe. "Sie finden wohl im Dialekt einen Ausdruck der Nähe der Kirche und des Glaubens", beschreibt er.
Auch in Bonn organisieren viele Ehrenamtliche Pfarreisitzungen, gehen in Stadtteil-Umzügen mit, bringen Menschen zusammen. "Es soll nie daran scheitern, dass jemand ein Eintrittsgeld nicht bezahlen kann", sagt Kemmerling. Er selbst tritt bei einer Pfarrei-Sitzung seit 25 Jahren im Männerballett auf. "Da geht es nicht nur ums Tanzen, sondern auch darum, Menschen zusammenzuführen". Kirche wie auch Karneval seien Gemeinschaft. Und eine Kernbotschaft von beidem ist für den Pfarrer der rheinischen Grundsatz "Et hätt noch immer jot jejange" – mit Gelassenheit, Humor und Hoffnung auf das Leben zu blicken.