"Eine verschleierte Frau ist wie eine Perle in ihrer Muschel", sagt ein islamisches Sprichwort. Islamkritikern gilt der Schleier dagegen als Inbegriff der Entrechtung der Frau. Immer wieder beschäftigt das Kopftuch die Justiz. Den einen gilt das Stück Stoff als selbstverständlicher Ausdruck der Religionsfreiheit. Aber nicht nur lärmende Islamfeinde sehen es als aufdringliches Banner des Fundamentalismus und der Unterdrückung der Frau. Am Dienstag urteilt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über zwei Fälle, in denen Musliminnen wegen ihres Schleiers gekündigt wurde.
Doch wie kam das Kopftuch überhaupt in den Islam? Worauf fußt seine Verbreitung? Alle Rechtsschulen des Islam zählten die Verhüllung zu den Glaubenspflichten der Frau, betonen islamische Gelehrte. Sie stützen sich vor allem auf drei Koranstellen - die jedoch verschieden interpretiert werden können.
Grundlagen im Koran
In Sure 24, Vers 31 ergeht die Aufforderung, dass Frauen "ihren Schleier (chimar) über ihren Busen ziehen" sollen. Zur Zeit Mohammeds waren die Kleider arabischer Frauen so weit ausgeschnitten, dass ihre Brüste zu sehen waren. Der Vers propagiert keine Pflicht zur Verschleierung des Gesichts. Die Verhüllung der Brüste in der Öffentlichkeit ist auch nach westlicher Kleidersitte selbstverständlich. Mancher Arabist übersetzt "chimar" im Übrigen nicht mit "Schleier", sondern mit "Schal".
Sure 33, Vers 53 bestimmt, dass die männlichen Gäste Mohammeds nur getrennt durch einen hidschab, einen Vorhang (nicht Schleier), zu den Frauen des Propheten sprechen dürfen. Die Vorschrift, die womöglich nur Mohammeds Wunsch nach Privatsphäre für seine Gattinnen betraf, deuteten viele Koranexegeten später als Befehl für eine strikte Geschlechtertrennung und Isolierung der Frau. Heute bezeichnet das arabische Wort "hidschab" alles, was Blicke fernhält, insbesondere weite Kleidung zur Verdeckung weiblicher Körper.
Sure 33, Vers 59 fordert die gläubigen Frauen auf, "dass sie etwas von ihrem Gewand über sich ziehen. So ist gewährleistet, dass sie (als anständige Frauen) erkannt und nicht belästigt werden". Im arabischen Original ist nicht explizit von der Bedeckung des Kopfes die Rede. Der überlieferte Anlass der Offenbarung zeigt zudem, wie sehr er an seine Zeit gebunden ist: Denn zuvor hätten Männer irrtümlich eine Gruppe Musliminnen für Sklavinnen gehalten und sexuell belästigt. Heute, so islamische Feministinnen, sollten aber nicht Bekleidungsvorschriften, sondern Strafgesetze vor sexueller Gewalt schützen.
War der Prophet Mohammed für Verschleierung?
Keinen Zweifel an der Pflicht zur Verhüllung lässt die sunna, die überlieferten Berichte (Hadithe) über Aussprüche und Handlungen Mohammeds: Nicht mehr solle von einer Frau zu sehen sein als Gesicht und Hände, soll er gesagt haben. Laut anderen Überlieferungen ist die Frau für Mohammed ein sündiges, verführerisches Wesen, das mit seinen Reizen den Mann vom rechten Weg abbringt. Einer Frau, die ihr Haus verlässt, komme der Teufel entgegen, heißt es. Kaum wundert es, dass die Mehrzahl der Höllenbewohner laut einem Hadith angeblich weiblich ist.
Vieles spricht aber dafür, dass solche Äußerungen dem Religionsgründer von einer frauenfeindlichen Gelehrtenschaft nachträglich in den Mund gelegt wurden. Verschleierung und Verbannung der Frau aus der Öffentlichkeit wurden so vermeintlicher Wille Gottes. Seit der Reislamisierung der 1970er und 80er Jahre in den meisten islamischen Ländern beherrscht der Schleier dort wieder das Straßenbild, in einigen wie Iran und Saudi-Arabien ist er gesetzliche Pflicht.
Kritik um den Kult
Aus Sicht von Feministinnen und Islamkritikern reduziert der Schleier die Frau auf ihre Sexualität und nimmt ihr die Möglichkeit, gleichberechtigt am sozialen Leben teilzunehmen. Dem liege zudem ein archaisches Männerbild zugrunde, wonach der Mann beim Anblick einer unverschleierten Frau zwanghaft in den Triebmodus verfällt.
Muslime halten dagegen, der Schleier sichere der Frau ihre sexuelle Würde. Viele Musliminnen betonen, sie empfänden den Schleier als Schutz vor männlichen Zudringlichkeiten und seien stolz ihn zu tragen. Untersuchungen zeigen aber auch, dass in den Familien und islamischen Gesellschaften oft sozialer Druck und Konformismus dahinter stehen.