Wie die Darsteller für Passionsspiele gecastet werden

Wie kommen Passionsspiele zu "ihrem" Jesus?

Man findet ihn in Schulen, im Umfeld oder er wird bestimmt. Der Jesus bei Passionsspielen. Nachdem in Großenlüder der Hauptdarsteller abgesprungen ist, hat sich das DOMRADIO gefragt: Wie findet man einen Jesusdarsteller?

Jesus trägt das Kreuz bei der Premiere der Passionsspiele am 4. Juli 2023 im sauerländischen Hallenberg / © Michael Althaus (KNA)
Jesus trägt das Kreuz bei der Premiere der Passionsspiele am 4. Juli 2023 im sauerländischen Hallenberg / © Michael Althaus ( KNA )

In Oberammergau werden sie nur alle zehn Jahre aufgeführt, in Wuppertal und im hessischen Bensheim dagegen jährlich. Die Passionsspiele. Mehr denn je steht diese immer wieder neu inszenierte Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu für die Suche nach einer Antwort auf eine Welt voller Krisen und Kriege.

Was aber passiert, wenn der Jesus-Darsteller plötzlich ausfällt? So wie kürzlich in Großenlüder bei Fulda. "Neuer Jesus gesucht!", war zu lesen in sämtlichen weltlichen und christlichen Zeitungen. Die dritte Spielzeit der Passionsspiele in Großenlüder stand auf der Kippe. Stichtag: 15. August. Bis dahin muss ein neuer Christusdarsteller gefunden werden. Aber wie findet man eigentlich einen Jesus?, hat sich DOMRADIO.DE gefragt und sich deshalb umgehört.

Der Verantwortung gerecht werden

Es sei gar nicht so sehr das Problem potenzielle Kandidaten zu finden, sagt Carlo Gagliardi. Er wirkt seit 1992 bei der "Missione Cattolica Italiana" mit, die in Wuppertal die Passionsprozession veranstalten. "Aber sie müssen dieser Verantwortung und der Rolle gerecht werden", sagt er. Sie müssten sich das zutrauen. Schließlich spielten sie Jesus. Da wolle niemand religiöse Gefühle verletzen, indem man etwa schlecht spiele.

Ist die Entscheidung getroffen, trifft sich Gagliardi etwa fünfmal mit dem Laienschauspieler, um mit ihm an Gestik, Mimik, Ausdruck, Text und Aussprache zu arbeiten – er selbst spielt seit seiner Schulzeit Theater und er hat lange Zeit Christus gespielt. Letztes Jahr sei er noch für ihn eingesprungen, weil der Darsteller plötzlich "aus persönlichen Gründen nach Italien musste". Man könnte ihn um drei Uhr nachts wecken, sagt er, "der Text ist ein für alle Mal drin in meinem Kopf."

Aber nicht nur Jesus hätte eine große Rolle. Auch Maria Magdalena, seine Mutter Maria, Veronika oder Judas bekommen eine Extrabehandlung für die Vorbereitung auf die Rolle. Erst wenn die Rollen sitzen, geht es auf die Wuppertaler Straßen, wo sie für den großen Auftritt proben. "Es ist gar nicht so leicht 70 Leute zu dirigieren, wo sie herkommen, wohin sie weggehen, wo die Sicherheitsleute stehen." Und die Wuppertaler? "Die denken sich: Die Italiener, die proben schon wieder die Prozession.“ Kein Wunder, es gibt ja auch etwa 6000 Zuschauer, wenn es dann ernst wird.

Die Schulen abklappern

In hessischen Bensheim läuft es ein bisschen anders, erzählt Paolo Lippiello. Seit 2008 organisiert er die Passionsspiele dort. Bei ihnen würde der Jesus über lange Zeit seine Rolle behalten. Bevor Lippiello selbst Jesusdarsteller wurde, habe es 26 Jahre lang jemand anderes gemacht, der leider an Krebs verstarb. Wenn sie einen neuen Darsteller brauchen, klappert er die Schulen ab und fragt wer sich diese Rolle zutrauen würde. Auch mit Zeitungsannoncen seien sie schon fündig geworden. Und wer kein Jesusdarsteller wird, für den gebe es noch andere Rollen. Auch er selber habe "ziemlich lange als Räuber am Kreuz gehangen“. Besondere Voraussetzungen brauche es für die Rolle nicht. Lediglich Leidenschaft müsse man mitbringen – und wenn sich hessischer Dialekt durchschlägt, gehöre das in Bensheim einfach dazu.

Wieso so viele Italiener?

Es sind erstaunlich viele Italiener, die die Passionsspiele auf den Straßen der Bundesrepublik aufführen. Das habe mit den Gastarbeitern zu tun, die in den 50er und 60er Jahren nach Deutschland kamen, erzählt Paolo Lippiello. Sie hätten diese Tradition aus ihrer Heimat mitgebracht. Denn in Italien seien die Passionsspiele von viel größerer Bedeutung als in Deutschland. Da werden die Spiele mehrere Tage lang veranstaltet und das sei "jedes Jahr wieder ein riesengroßes Volksfest“. Eigentlich mehr als ein Fest, sagt er – man wolle der biblischen Geschichte gerecht werden. In Bensheim hätten sie mit ihrer Herangehensweise seit 40 Jahren reibungslose Abläufe gehabt.

Die Geschichte hinter den Oberammergauer Passionsfestspielen sieht ein bisschen anders aus. Es war im Jahr 1633, als die Dorfbewohner Oberammergaus ein Gelübde ablegten. Würde der liebe Gott sie von der Pest verschonen, würden die Dorfbewohner künftig alle zehn Jahre die Passion spielen. Und wenn nicht Corona, die Spanische Grippe oder der Zweite Weltkrieg den Ausnahmezustand erzwingen, halten sie den Rhythmus auch durch.

Die Regeln in Oberammergau

Christian Stückl / © Angelika Warmuth (dpa)
Christian Stückl / © Angelika Warmuth ( dpa )

Bei den Oberammergauern gibt es ein paar mehr Regeln, wer als Jesus in Frage kommt und wer überhaupt mitmachen darf. Dort haben nur die, die im Ort geboren sind oder seit mindestens 20 Jahren dort wohnen das Recht mitzuspielen. Ganz gleich ob sie Christen, Muslime, Juden oder Buddhisten sind. Das habe Christian Stückl eingeführt, sagt der ehemalige Jesusdarsteller Frederik Mayet. Er ist Pressesprecher beim Münchner Volkstheater, wo auch Stückl arbeitet. Ein gefeierter Regisseur, der zufällig auch aus Oberammergau kommt und der ganz allein entscheidet, wer die Hauptrolle bekommt. Bei knapp 1600 Darstellern ist es allerdings auch kein Problem jemanden zu finden.

Oberammergauer Passionsspiele

Die Oberammergauer Passionsspiele gehen auf ein Gelübde von 1633 zurück. Damals versprachen die Bürger des oberbayerischen Ortes regelmäßig das Leiden und Sterben Jesu auf die Bühne zu bringen, sofern niemand mehr an der Pest sterben sollte. An Pfingsten 1634 wurde dafür erstmals die Bühne bereitet, über den Gräbern der Pesttoten. Ab 1680 ging die Gemeinde dazu über, die Aufführungen alle zehn Jahre stattfinden zu lassen.

Das Passionstheater in Oberammergau / © footageclips (shutterstock)
Das Passionstheater in Oberammergau / © footageclips ( shutterstock )
Quelle:
DR