DOMRADIO.DE: Seit vier Wochen hat die EKD eine neue Chefin. Kirsten Fehrs war Stellvertreterin von Annette Kurschus als EKD-Ratsvorsitzende, ist also nicht in diese neue Position gewählt. Wofür steht sie?
Benjamin Lassiwe (Evangelischer Journalist): Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs ist eine Theologin, die in der Hansestadt seit vielen Jahren bekannt ist und als dortige Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der evangelischen Nordkirche eine Persönlichkeit, eine Größenordnung, ein Name in der Stadt ist.
Als sie vor einiger Zeit ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, kam der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, Peter Tschentscher, und hat gratuliert.
Es kam die Präsidentin der Bürgerschaft und hat gratuliert. Es kam der katholische Erzbischof und hat gratuliert. Und selbstverständlich sieht man Frau Fehrs beizeiten auch im "Übersee Club" oder in ähnlichen Institutionen des Hamburger Bürgertums. Gleichzeitig kümmert sie sich um die Flüchtlinge auf St. Pauli und ist in der Stadt einfach präsent.
Sie ist eine Bischöfin im besten Wortsinne und hatte, wenn man ganz ehrlich ist, bei der Wahl zum Rat 2019 auch mehr Stimmen als Annette Kurschus. Der Unterschied war, dass Annette Kurschus schon im ersten Wahlgang in den Rat gewählt worden war und Kirsten Fehrs im zweiten. Aber es spricht nicht gegen ihre Beliebtheit, dass sie dieses Ergebnis dann im zweiten Wahlgang bekommen hat.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es über Hamburg hinaus aus? Wofür steht sie kirchenpolitisch?
Lassiwe: Kirchenpolitisch hat sich Kirsten Fehrs in der EKD sehr lange mit dem Thema Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs beschäftigt. Dafür gibt es einen Grund.
In der Nordkirche gab es den Missbrauchsfall von Ahrensburg. Die Nordkirche war damit eine der ersten evangelischen Landeskirchen, die in die Missbrauchsaufarbeitung im Grunde genommen hineingestolpert oder hineingestoßen worden ist.
Damals lief nicht alles perfekt. Das kann man heute in der Rückschau so sagen, bis hin zu einem eigentlich überflüssigen Rücktritt der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Aber dadurch hat man auch gelernt.
Kirsten Fehrs hat in den letzten Jahren eine Lernkurve vom Betroffenenbeirat der EKD, der spektakulär gescheitert ist, bis zum Beteiligungsforum, das es heute gibt, durchgemacht. Sie steht im Thema.
DOMRADIO.DE: Die Hansestadt Hamburg ist ein säkulares Umfeld. Das heißt, weder katholische noch evangelische Kirche sind dort eine Mehrheit.
Man sieht den katholischen Erzbischof Stefan Heße relativ häufig mit ihr zusammen. Wie ist denn da das ökumenische Miteinander?
Lassiwe: Hamburg ist eine Stadt, die auf Ökumene setzt. Das gilt nicht nur für die katholischen und lutherischen Christen in der Stadt. Das gilt auch für den interreligiösen Dialog in der Stadt. Der funktioniert.
Hamburg ist eine der ersten Regionen in Deutschland gewesen, wenn nicht sogar die erste, wo man einen gemeinsamen Religionsunterricht angeboten hat. Das kam dann irgendwann auch im Rheinland, aber in Hamburg war es früher.
Es ist auch so, dass bei der Einführung eines Bischofs oder einer Bischöfin der Nordkirche durchaus schon katholische Bischöfe aus Hamburg mitgewirkt haben. Ich denke da auch an den verstorbenen Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der ein großer Freund der Ökumene und des Dialogs war.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle wird denn die Ökumene für Kirsten Fehrs als EKD-Ratsvorsitzende spielen?
Lassiwe: Als amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland nimmt Kirsten Fehrs natürlich am Kontaktgesprächskreis mit den deutschen Bischöfen teil. Sie ist das Gesicht des Protestantismus, das man mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf dem Erfurter Katholikentag an vielen verschiedenen Stellen sehen wird. Und es ist auch nicht ganz ausgeschlossen, dass in absehbarer Zeit mal eine Reise in den Vatikan anstehen wird.
DOMRADIO.DE: Ihr Vorvorgänger Heinrich Bedford-Strohm war in Rom relativ präsent und hatte von seiner Seite einen relativ intensiven Kontakt mit dem Papst gepflegt. Annette Kurschus hatte es in ihrer Amtszeit nicht geschafft.
Erwarten Sie, dass da aus EKD-Sicht Annäherungsversuche gemacht werden?
Lassiwe: Wir reden über eine Ratsvorsitzende der EKD. Kirsten Fehrs ist im Moment "amtierende" Ratsvorsitzende. Sie hat das Amt kommissarisch übernommen. Im November nächsten Jahres findet auf der EKD-Synode eine neue Ratswahl statt.
Ein leitender Geistlicher oder eine leitende Geistliche wird dann Ratsvorsitzende oder Ratsvorsitzender. Neben Kirsten Fehrs ist noch der sächsische Landesbischof Tobias Bilz im Rat der EKD. Die dritte leitende Geistliche, Annette Kurschus, ist gerade zurückgetreten.
Nummer vier, Volker Jung aus Hessen und Nassau, wird im Laufe des Jahres in den Ruhestand treten. Da werden also zwei Mandate nachbesetzt. Deswegen spricht sehr viel dafür, dass Kirsten Fehrs Ratsvorsitzende bleibt. Ganz sicher ist es aber nicht.
Ob man eine Annäherung an den Papst und an Rom probiert? Das kann gut sein und ist gut möglich. Aber es ist eine Aufgabe eines Ratsvorsitzenden, der dann mit allen Ehren und Würden im Amt bestätigt ist.
Bis dahin gibt es ja auch noch die Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, die als Vizepräsidentin des Lutherischen Weltbundes und Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees vom Lutherischen Weltbund eine wichtige Rolle auf europäischer Ebene im Luthertum spielt und die natürlich für die Kontakte genauso zuständig ist.
DOMRADIO.DE: Aber man hört da raus, dass Sie Kirsten Fehrs relativ gute Chancen einräumen, da Sie 2019 mit einer großen Mehrheit in den Rat gewählt wurde.
Lassiwe: Es ist alles immer möglich. Synoden kann man nicht vorhersagen. Der Heilige Geist weht, wie er will. Aber wenn man strategisch denken wollte, dann wäre es sicherlich nicht ganz unklug, nicht jedes Jahr wieder zu wechseln.
Jetzt hatten wir einen Wechsel, den niemand wollte, der aber nötig wurde und der am Ende essenziell war. Jetzt haben wir eine amtierende Ratsvorsitzende der EKD. Da müsste man sich schon fragen, was der Effekt wäre, wenn sich jetzt wieder jemand Neues einarbeiten müsste.
Wenn man einen Kandidaten oder eine Kandidatin hätte, die schon für die nächste Amtsperiode in Stellung gebracht werden soll, wäre das ein diskutables Thema. Aber diese Persönlichkeit ist im Moment noch nicht zu sehen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.