Wie eine Stadt im Sauerland die Passion Jesu nachspielt

"Das Oberammergau Westfalens"

Passionsspiele gibt es nicht nur in Oberammergau: Alle zehn Jahre bringen Laienschauspieler in Hallenberg das Leiden und Sterben Jesu auf die Bühne. Dafür proben sie vier Mal in der Woche und lassen sich Monate vorher Bärte wachsen.

Autor/in:
Michael Althaus
Darsteller, darunter Hauptdarsteller Philipp Mause (m.) als Jesus, proben für die Aufführung der Passion Jesu in Hallenberg / © Rita Maurer (KNA)
Darsteller, darunter Hauptdarsteller Philipp Mause (m.) als Jesus, proben für die Aufführung der Passion Jesu in Hallenberg / © Rita Maurer ( KNA )

Berge, Wiesen, Fachwerkhäuser - das sauerländische Hallenberg wirkt wie ein Ort aus dem Bilderbuch. Wer in diesen Tagen durch die zweitkleinste Stadt Nordrhein-Westfalens spaziert, trifft ungewöhnlich viele Männer mit langen Bärten und Haaren. Der Grund: Im Sommer spielen die Hallenberger - wie alle zehn Jahre - auf ihrer Freilichtbühne das Leiden und Sterben Jesu nach. Seit Ende Februar laufen die Proben, viele Mitspieler lassen sich schon seit Monaten die Haarpracht wachsen. Nach der Premiere am 4. Juni folgen 21 weitere Aufführungen, zu denen insgesamt rund 30.000 Besucher erwartet werden.

An einem Hang oberhalb des 2.500-Seelen-Orts in einem ehemaligen Steinbruch liegt die Bühne. "Da kommt der Esel hin", sagt Regisseur Uwe Bautz und deutet auf eine Wiese nahe des Theaters. "Und das Pferd. Das brauchen wir ja auch."

Die Proben laufen

Noch finden die Proben nicht auf der Open-Air-Bühne statt, sondern in einem Nebenraum. Bautz packt eine Bibel und das Textbuch aus. An diesem Abend steht eine Szene an, in der die jüdischen Hohepriester über den weiteren Umgang mit Jesus beraten. "Ihr Herren, ihr kennt das Ärgernis, das Pharisäern, Sadduzäern, Schriftgelehrten - kurz uns allen - von diesem Menschen Jesus kommt", legt der Anführer Kaiphas los. Neun weitere Priester stehen um ihn herum und starren ihn an. "Lasst euch Gesten einfallen! Traut euch was!", ermuntert sie Bautz - und muss nach dem nächsten Durchgang gleich wieder bremsen: "Jetzt müsst ihr aufpassen, dass ihr euch nicht zu Tode reagiert." Alle müssen lachen.

Rund 30.000 Besucher zu Passionsspielen im Sauerland erwartet

Im hochsauerländischen Hallenberg finden in diesem Sommer wieder Passionsspiele statt. Premiere auf der dortigen Freilichtbühne ist am 4. Juni um 15.30 Uhr. Danach sind bis Anfang September 21 weitere Aufführungen geplant. In dem 2.500-Einwohner-Ort werden insgesamt rund 30.000 Besucher erwartet, wie Bühnensprecher Georg Glade der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. Zur Premiere hätten sich der emeritierte Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker sowie weitere Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angekündigt.

Flyer der Freilichtbühne Hallenberg mit der Ankündigung der Passion Jesu, am 4. April 2023 in Hallenberg. / © Michael Althaus (KNA)
Flyer der Freilichtbühne Hallenberg mit der Ankündigung der Passion Jesu, am 4. April 2023 in Hallenberg. / © Michael Althaus ( KNA )

Im bis heute katholisch geprägten Hallenberg hat man sich 1950 anlässlich eines vom Papst ausgerufenen Heiligen Jahres versprochen, alle zehn Jahre die Leidensgeschichte nachzuspielen. Eigentlich wäre es 2020 wieder so weit gewesen. Coronabedingt wurde die Aufführung jedoch auf dieses Jahr verschoben.

Theater gibt es jeden Sommer

Wegen seiner Passionsspiele wird das sauerländische Städtchen manchmal auch das "Oberammergau Westfalens" genannt. In dem bekannten oberbayerischen Ort wird ebenfalls alle zehn Jahre das Leiden und Sterben Jesu aufgeführt. Anders als die Oberammergauer spielen die Hallenberger jedoch jeden Sommer Theater. In den passionsfreien Jahren stehen Komödien oder Musicals auf dem Programm.

Mitspielen darf bei der sauerländischen Passion jeder. Auch die Religionszugehörigkeit ist nicht entscheidend. So ist in diesem Jahr auch ein Muslim unter den insgesamt rund 160 Darstellern. Viele von ihnen gehören seit Kindertagen zum Ensemble; teils sind ganze Familien dabei. Für die meisten zählt vor allem das Gemeinschaftserlebnis. Geprobt wird an vier Abenden in der Woche.

Jesus-Darsteller wird vom eigenen Vater ausgeliefert

Hauptdarsteller Philipp Mause - mit 32 Jahren im besten Jesus-Alter - gehört seit seinem zweiten Lebensjahr zur Spielschar. "Ich bin schon als Kind im Bollerwagen über die Bühne gerollt worden", erzählt er. 2018 mimte er den Freddy in "My fair Lady", ein Jahr später den Seppel in "Kohlhiesels Töchter".

Vor seiner aktuellen Rolle hat Mause Respekt: "Jesus hat ohne Widerspruch seinen Tod hingenommen. Diese geistige Haltung darzustellen ist eine Herausforderung." Zur Vorbereitung hat er unter anderem ein Jesus-Buch gelesen. "Das hat mir geholfen zu verstehen, wie die Menschen damals gelebt und gedacht haben."

Mauses Vater Helmut spielt den Hohepriester Kaiphas und ist damit in einer schwierigen Lage: Er muss seinen eigenen Sohn den Römern zur Verurteilung ausliefern. "Das wird mir schwerfallen", meint der 63-Jährige. "Aber auf der Bühne muss man das alles ausblenden."

Textvorlage von 1980 wurde angepasst

Regisseur Bautz, der als einziger hier bezahlt wird und zuvor unter anderem an Theatern in Bielefeld und Leipzig tätig war, kam vor anderthalb Jahren eigens wegen der Passion nach Hallenberg. "Die Arbeit mit den Laienschauspielern, die tagsüber ganz anderen Arbeiten nachgehen, macht mir Spaß", sagt der 61-Jährige. "Es kommen sehr viel mehr Geschichten der Menschen auf die Bühne." Rund zweieinhalb Stunden soll seine Inszenierung dauern.

Uwe Bautz, Regisseur der Passion Jesu in Hallenberg / © Michael Althaus (KNA)
Uwe Bautz, Regisseur der Passion Jesu in Hallenberg / © Michael Althaus ( KNA )

Die Aufführung der biblischen Geschichte hält der Theatermann für zeitgemäßer denn je - und verweist auf die Kriege sowie auf Ungerechtigkeit und Hunger in der Welt. "Wir erleben in unserer Gesellschaft eine merkwürdige Zerrissenheit. Da ist es gut, sich wieder in die alten Geschichten zu vertiefen."

Die Textvorlage, die 1980 von einem Hallenberger geschrieben wurde, hat Bautz etwas angepasst. Antisemitische Anspielungen hat er gestrichen. Und die Figur des Judas versucht er neu zu interpretieren: "Ich will ihn nicht als Super-Bösewicht darstellen, der für Geld schlimme Dinge macht, sondern eher als einen ungeduldigen Menschen, der schnell eine politische Entscheidung herbeiführen will. Eine Art verratenen Verräter."

Quelle:
KNA