DOMRADIO.DE: Wie kam der Begründer der Straßenexerzitien, Christian Herwartz, auf die Idee, Exerzitien auf lauten und belebten Straßen stattfinden zu lassen?
Elisabeth Kämmerling (Teilnehmerin, Organisatorin und Begleiterin von Straßenexerzitien): Ein Mitbruder von Christian hat ihn gefragt, ob er nicht bei ihm in seiner WG die Exerzitien machen könnte. Erstmal hat er abgelehnt. Er hat gesagt: "Erstens tauge ich nicht zum Exerzitienbegleiter. Zweitens geh doch lieber in ein Kloster. Dorthin, wo es ruhig und still ist." Dieser Mitbruder hat aber nicht lockergelassen.
Er hätte einen so deutlich inneren Impuls, es bei ihm in der Wohngemeinschaft zu machen. Christian hat dann irgendwann gesagt: "Ja, wenn du das so unbedingt willst, dann soll es wohl richtig sein".
Während der Begleitung der Exerzitien war Christian dann baff über das, was er an Gegenwart Gottes auf der Straße, in der Wohngemeinschaft und in diesen Tagen gespürt hatte.
Für die Ordensleute in der WG war die Idee der Allgegenwart Gottes immer schon sehr wichtig. So entwickelte sich in dieser Zeit die Idee der Straßenexerzitien und er wollte das ausprobieren.
Im Jahr 2000 gab es dann eine Gruppe, die das konkret ausprobieren wollte. So kam es zum ersten Kurs. Seit 2001 bin ich auch mit dabei gewesen.
Im Grunde sind die Straßenexerzitien aus der Erfahrung entstanden. Kombiniert mit der Reflexion der gemachten Erfahrungen und mit einem gläubigen Deuten und Verstehen dessen, was da in den Tagen in Berlin-Kreuzberg passiert ist.
DOMRADIO.DE: Wie funktioniert das denn dann mit der Besinnung auf der Straße, mitten in der belebten Stadt?
Kämmerling: Sowohl ins Kloster zu gehen als auch in einen stillen Besinnungsraum, hat beides seinen Sinn. Es sind Mittel, um ein Gespür für Gott zu bekommen. Das kann man nicht miteinander in Konkurrenz setzen. Es sind unterschiedliche Zugänge.
Bei den Straßenexerzitien ist es so, dass wir uns morgens mit den Teilnehmenden treffen und denen den ganzen Tag zur Verfügung geben. In dieser Zeit sollen sie der eigenen Sehnsucht folgen, nach draußen gehen und den inneren und äußeren Impulsen gleichermaßen Raum geben. Daraus entwickelt sich ein Weg.
Am Anfang steht in der Regel eine große Verunsicherung. Man weiß im Grunde gar nicht wohin: Gehe ich jetzt rechts? Gehe ich jetzt links? Zieht es mich in die Stadt? Zieht es mich auf den Friedhof? Gehe ich in ein Drogencafé? Gehe ich in ein Altenheim? Wo ist ein Ort, wo ich heute hingehen könnte?
Die große Orientierungslosigkeit oder Ratlosigkeit vom Anfang bedeutet eine größere Offenheit, hinzuhören, wo es mich denn hinzieht.
DOMRADIO.DE: Man kann sich also auch Gesprächspartner suchen?
Kämmerling: Durchaus. Es geht genau darum. Spüre ich den Impuls, eher für mich zu sein oder spüre ich den Impuls, mit einem Menschen zu sein, wie zum Beispiel einem Obdachlosen oder einem Bettler. Es ist immer ein Dialog zwischen Innen und Außen. Es geht bei allen Exerzitien darum, Gott und die Welt wach wahrzunehmen.
DOMRADIO.DE: Macht das Zeit haben den Unterschied?
Kämmerling: Ja. Ein Teilnehmer sagte mal: "Normalerweise gehe ich in meinem Cappuccino-Modus durch die Stadt. Das heißt, ich schlendre so rum und gucke, wo ich einen Cappuccino trinken und ein Teilchen essen kann".
Bei den Straßenexerzitien geht es um Langsamkeit und Achtsamkeit. Gerade nicht in die Stadt zu gehen, um zu konsumieren, sondern um wahrzunehmen, um da zu sein und die eigene tiefe Sehnsucht zu spüren.
DOMRADIO.DE: Was ist für Sie persönlich das Schöne an der Begleitarbeit?
Kämmerling: Ich mag das unglaublich gerne zu sehen, wie Menschen sich ihrer Sehnsucht stellen, zu erleben, wie Menschen reicher werden oder von sich und der Welt etwas entdecken. Diesen Reichtum und dieses "Wer sucht, der findet", wird mir in der konkreten Begleitung deutlich. Ich spüre in der Begleitung, dass etwas mit den Menschen passiert. Wie man das jetzt nennt, ob Gott oder Jesus oder sonst was, ist für mich erst mal zweitrangig. Dass Menschen es zulassen, dass ich da mitgehen darf, beglückt mich immer wieder.
Das Interview führte Dagmar Peters.