Wie geht die Kirche mit Social Media um?

"Ich würde mir wünschen, dass die Kirche ganz vorne mitmacht"

Sie bringen neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen: Die sozialen Medien sind überall präsent. Auch die Kirche nutzt sie. Und sie könnte sie noch viel mehr nutzen und sich einbringen, sagt der Medienethiker Alexander Filipović.

Ein Priester nutzt sein Handy / © Stefano Dal Pozzolo (KNA)
Ein Priester nutzt sein Handy / © Stefano Dal Pozzolo ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es hat gerade ein Urteil gegeben, das bundesweit für Empörung gesorgt hat. Nach Entscheidung des Berliner Landgerichts sind die Hasskommentare gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast im Internet nicht strafbar. Was für ein Licht wirft das auf die Ethik in neuen Medien?

Prof. Dr. Alexander Filipović (Professor für Medienethik am Institut für Ethik und Sozialphilosophie (IES) der Hochschule für Philosophie in München): Offenbar haben wir Schwierigkeiten damit, in den sozialen Medien mit Anstand miteinander zu kommunizieren. Ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich an den sozialen Medien selbst liegt, oder ob es an anderen Dingen liegt, zum Beispiel an fehlender Selbstkontrolle oder an einer gewissen Enthemmung von den Menschen. Aber sicher, die Beschimpfung, also die Hass-Sprache, und die Zerstörung eines würdigen Miteinanders sind sicherlich ein Zeichen der Zeit.

DOMRADIO.DE: Kirche macht auch mit bei dem Thema "Soziale Medien". Was ist da die Herausforderung, wenn die Kirche sich damit beschäftigt und auch teilnimmt?

Filipović: Ich würde tatsächlich das Urteil darüber, ob die sozialen Medien und die digitale Welt gut und richtig sind, erst einmal davon trennen, ob die Kirche das selbst benutzt und nutzen darf. Natürlich hat die Kirche auch eine ethische Aufgabe, im Grunde genommen Salz der Erde zu sein, also auch die Kommunikation unter den Menschen zu verbessern und für ein würdiges Miteinander zu sorgen und einzustehen.

Das ist ihre Aufgabe. Aber auf der anderen Seite nutzt sie selber die Medien - und zwar alle Medien: Print, Hörfunk und eben auch die sozialen Medien, Instagram, TikTok und was nicht noch alles. Und das soll sie, glaube ich, jetzt erst einmal auch mutig tun und zwar ohne Angst. Denn ich glaube, dass die Veränderung unserer Kommunikationskultur nur dadurch gelingen wird, dass man selber mitmacht.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade gesagt: Die Kommunikation muss besser werden. Wie denn? Und inwiefern, wenn es die sozialen Medien betrifft?

Filipović: Die Kirche hat selbst die Aufgabe, diesen Kanal einfach zu nutzen, und zwar für ihre ureigene Aufgabe, nämlich das Weitergeben und Erzählen des Evangeliums, also die frohe Botschaft weiterzugeben. Und ich wüsste nicht, dass die Kirche jemals irgendwie Angst hatte, sich da neuer Mittel zu bedienen.

Und so sollte es eigentlich auch mit den digitalen Mitteln sein. Und wenn man mal ein bisschen guckt, dann gibt es ja durchaus auch viele Projekte und viele Ideen der christlichen Kirchen, vor allen Dingen in Deutschland, wie man das Netz gut nutzen kann.

DOMRADIO.DE: Wenn man jetzt aber mal guckt wie die Nutzer die sozialen Medien nutzen - besonders Instagram oder Snapchat: Die betreffen ja das Bild des Menschen mit den ganzen Selfies und wie die Leute sich darstellen. Hat sich hier die menschliche Selbstwahrnehmung oder das Menschenbild als solches vielleicht geändert?

DOMRADIO.DE: Da gehe ich ganz fest von aus, dass sich das Menschenbild ändert. Ich glaube, mit jeder neuen technischen Möglichkeit verändert sich immer das Bild des Menschen, manchmal ein bisschen und manchmal auch viel. Wir haben jetzt Möglichkeiten, uns selber darzustellen. Wir haben die Möglichkeit, uns Profile zu machen, uns selber ins Bild zu setzen, unser Bild, was die Leute von uns haben, zu gestalten.

Das hatte man früher auch schon, aber in einer ganz anderen Weise und mit weniger Auswirkung vielleicht. Vielleicht war das auch alles intuitiver. Aber ich glaube nicht, dass das von sich aus erst mal schlecht ist. Wir müssen aufpassen, wie wir die Dinge benutzen.

Ich glaube, Social Media und die ganzen digitalen Technologien haben ein unglaubliches Potenzial für Solidarität, Gerechtigkeit, Miteinander und auch für Demokratie. Und es kommt letztlich auf die Menschen an, die sich darum sorgen, wie dort kommuniziert wird. Und jede Christin und jeder Christ kann da mitmachen und soll das sozusagen zum Besten nutzen.

DOMRADIO.DE: Dann wagen wir doch mal einen Ausblick: Wenn alles gut läuft, wo wird denn die Kirche in Zukunft mit ihrer Medienarbeit stehen?

Filipović: Ich würde mir wünschen, dass die Kirche ganz vorne mitmacht, auch bei innovativen Projekten und Produkten. Ich könnte mir vorstellen, dass es unangenehm ist für die Kirchen, dass plötzlich andere Akteure - wie zum Beispiel Unternehmen oder Marken - Geschichten vom glückenden Leben, vom gelingenden Leben, von der Suche nach Sinn erzählen und uns dort Angebote machen.

Das ist doch das ureigene Feld der Kirchen. Ich glaube deswegen, dass, wenn - gerade im Bereich Innovation - das Voranschreiten, das Ideen ausprobieren, die Dinge zu nutzen, um die frohe Botschaft auf innovative Weise weiterzugeben, gelingt und da eine Dynamik entstehen würde von digitalen innovativen Projekten im Raum der Kirche, dann könnte ich mir vorstellen, dass Kirche sehr viel präsenter ist in den sozialen Medien und im ganzen digitalen Bereich.

DOMRADIO.DE: Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann besteht die Gefahr, dass die Leerstellen von anderen Leuten gefüllt werden, wenn die Kirche da nicht voranschreitet?

Filipović: Ja, so wird es sein. Ich glaube, die Leute sehnen sich nach Sinngeschichten. Sie sehnen sich nach einer Bedeutung, nach den größeren Fragen, nach Antworten auf die größeren Fragen oder auch nach Räumen, wo sie ihre großen und tiefen Fragen stellen können.

Und wenn die Kirche nicht zur Stelle und nicht vor Ort ist, dann werden das andere Akteure übernehmen. Das muss nicht immer schlecht sein. Aber warum sollte die Kirche diesen Bereich freiwillig preisgeben?

Das Interview führte Heike Sicconi.


Professor Alexander Filipović (Institut für Ethik und Sozialphilosophie (IES) der Hochschule für Philosophie in München) / © N.N. (privat)
Professor Alexander Filipović (Institut für Ethik und Sozialphilosophie (IES) der Hochschule für Philosophie in München) / © N.N. ( privat )
Quelle:
DR