Perspektiven gefragt - zwischen Wiederaufbau und seelischer Not

Wie geht es weiter in den Hochwassergebieten?

Wochen nach der Flutkatastrophe herrscht in einigen Regionen noch immer vor allem Chaos und Verzweiflung, andere planen voller Tatendrang den Wiederaufbau. Zunehmend rücken die entstandenen Traumata in den Vordergrund.

Autor/in:
Anna Fries und Anita Hirschbeck
Malteser im Flutgebiet / © Harald Oppitz (KNA)
Malteser im Flutgebiet / © Harald Oppitz ( KNA )

Meterhohe Berge aus Schutt und Müll säumen die behelfsmäßig freigeräumten Straßen im Ahrtal. Bagger türmen immer weiteren Schrott auf - aus dem, was vor kurzem noch das Zuhause vieler Menschen war. Von Bergen an «verlorenen Erinnerungen» spricht eine Frau. Einsatzfahrzeuge bringen immer weiteren Nachschub, wirbeln den getrockneten Schlamm zu Staub auf. Ähnlich sieht es in anderen von den Wassermassen verwüsteten Gebieten aus; etwa in Swisttal, Erfstadt-Blessem oder Bad Münstereifel.

Die Flutkatastrophe Mitte Juli traf Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen besonders schlimm. Mehr als 180 Menschen starben; noch immer werden etliche vermisst. Das Wasser riss ganze Häuser, Brücken und Straßen weg, zerstörte Infrastruktur für Strom, Verkehr, Telefon, Wasser und Abwasser. Die Bilder erschütterten Menschen in ganz Deutschland und darüber hinaus. Und wer nur einmal vor Ort ist, merkt schnell, dass Fotos und Fernsehbilder das wahre Ausmaß des Leids nur in Ansätzen vermitteln können.

Lastwagenweise brachten Hilfsorganisationen gespendete Kleidung, Möbel und Lebensmittel in die betroffenen Orte. In kurzer Zeit kamen weit über 300 Millionen Euro Spenden zusammen. Nach wie vor reisen Hunderte Freiwillige in die Regionen und packen mit an. Ihre Hilfe wird wohl noch über Monate gebraucht. Mindestens.

Manche Dörfer und Stadtviertel sind inzwischen weitgehend aufgeräumt, planen sogar schon voller Tatendrang den Wiederaufbau. Andere sind noch damit beschäftigt, das Chaos zu sortieren und einen Überblick über die Schäden zu bekommen.

Wie sehr sich in den Regionen Verzweiflung und Wiederaufbau mischen, zeigen einzelne Ortschaften: Während in Swisttal-Odendorf etwa in den Straßen direkt am Orbach - eigentlich nur ein schmales Rinnsal - zerstörte Erdgeschosse und unbewohnbare Häuser das Bild prägen, sind keine 100 Meter weiter schon die Vorgärten wieder in Ordnung gebracht.

Hier Cafebesuch, da Zerstörung

Im Stadtteil Lechenich in Erftstadt tummeln sich Menschen in Cafes, in Blessem sind viele Häuser einsturzgefährdet. In Trier-Ehrang fragen Menschen sich, wie sie bald heizen sollen, während durch den Ort wieder die Busse fahren.

In Ahrweiler stehen große Tanks mit Brauchwasser in den Straßen, stapelweise Sixpacks mit Trinkwasser und zahlreiche Dixi-Klos. Am Bahnhof haben Hilfsorganisationen Zelte aufgebaut, bieten warme Mahlzeiten, Wasser, Kleidung, aber auch medizinische Versorgung sowie Tetanus- und Coronaimpfungen an-

Viele Häuser in der Altstadt sind leergeräumt, Zettel mit Kontaktdaten der Eigentümer für die Gutachter kleben an der Tür. Die Innenstadt wirkt unnatürlich ruhig. Wenige Straßen weiter Richtung Ahr dröhnen aus vielen Häusern Bohrer und Presslufthämmer, Trockengeräte brummen, Anwohner und Helfer tragen Fliesen, Wandteile und ganze Fußböden Stück für Stück nach draußen.

Was jetzt vor allem gebraucht wird, ist überall dasselbe: Zeitnah Geld und Sachspenden, verlässliche politische Zusagen, dauerhafte Hilfen für die Seele und Perspektiven, wie es weitergehen kann. Für den Wiederaufbau planen Bund und Länder einen Sonderfonds, über den noch im August entschieden werden könnte.

Trauer, Ohnmacht, Verzweiflung und Wut

Unterdessen haben sich Kommunalpolitiker und Bürger aus dem Ahrtal in einem Offenen Brief an Bund und Land gewandt. Als einen von zehn Punkten fordern sie einen Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau. Trauer, Ohnmacht, Verzweiflung und auch Wut schlagen Politikerinnen und Politikern entgegen, die sich vor Ort ein Bild der Lage machen.

Zahlreiche Privatpersonen, Initiativen und Organisationen spenden für die Betroffenen. Bisher kamen laut Deutschem Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) 358 Millionen Euro über 30 Hilfswerke, staatliche Einrichtungen und Verbände zusammen - mit weiter steigender Tendenz. Dazu gehören etwa die Aktion Deutschland Hilft (172 Millionen Euro), die Johanniter-Unfall-Hilfe (10,6 Millionen Euro) oder der Deutsche Caritasverband (9,1 Millionen Euro). Bund und Länder gaben zudem bisher 800 Millionen Euro Soforthilfen. Was die Gesamtschäden angeht, ist von zweistelligen Milliardenbeträgen die Rede - und das ist nur das Materielle.

Um der Flutopfer zu gedenken, planen die Kirchen für den 28. August im Aachener Dom einen ökumenischen Gottesdienst, zu dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet werden. Zahlreiche Kirchen initiieren Sonderkollekten, Gebete und Gottesdienste.

Millionen von den Kirchen

Auch finanziell springen die Kirchen den Menschen zur Seite. Einige katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen sagten Soforthilfen zu. Dafür gaben bisher etwa das Bistum Münster 250.000 Euro, das Erzbistum Paderborn 200.000 Euro, das Erzbistum Köln

100.000 Euro und das Bistum Trier 50.000 Euro, von denen etwa Kleidung, Lebensmittel oder Trockengeräte finanziert werden. Das Bistum Aachen kündigte einen Nothilfefonds in zweistelliger Millionenhöhe an. Auf dem Spendenkonto der Diözese Trier stehen mehr als eine Million Euro bereit. Zugleich laufen die Planungen für langfristige Hilfsangebote - finanzielle wie seelsorgerische.

Wie schwer das Hochwasser kirchliche Gebäude und Einrichtungen wie Kitas, Kliniken oder Seniorenheime beschädigt hat, lässt sich auch Wochen nach der Flut kaum benennen. Beispiele geben einen Eindruck:

Die Friedhöfe in Ahrweiler, Dernau und Schleiden-Gemünd sind massiv verwüstet, was auch Trauer und Abschiednehmen weiter erschwert. Aus zahlreichen Kirchen und Pfarrhäusern schaufelten Helfer tonnenweise Schlamm. Vielerorts prüfen Gutachter noch die Schäden. Danach wird sich zeigen, welche Kosten auf die Bistümer zukommen, ob alle Gebäude saniert werden können oder manche aufgegeben werden müssen.

Neben der Akuthilfe stellen sich die Hilfskräfte auf einen langfristigen Einsatz vor Ort ein. "Wir rechnen mit bis zu zwei Jahren", sagt zum Beispiel Dariush Ghobad von Caritas international. Der Malteser Hilfsdienst hat als langfristige Hilfe ein Programm "Fluthilfe 21" ins Leben gerufen.

Psychosoziale Nachsorge und Seelsorge

Auch die psychosoziale Nachsorge kann nach Einschätzung von Experten Jahre dauern. Kaum vorstellbar, was etwa jeder neue Starkregen bei vielen Menschen auslöst. "Da kommen sofort Erinnerungen, Bilder hoch - und neue Angst", sagt ein Mann, der in Ahrweiler unter einem Vorsprung Schutz vor dem Regen sucht, seinen Namen aber nicht veröffentlicht sehen möchte. Die Flutnacht habe er auf seinem Hausdach ausgeharrt, während Bäume und Autos vorbei schwammen: "Die Wassermassen, das rauschte unglaublich laut. Das geht nicht mehr aus dem Kopf."

Erst wenn die unmittelbaren Gefahren vorbei und die gröbsten Trümmer beseitigt sind, kämen oft Traurigkeit, Ängste und Traumata an die Oberfläche, erklärt Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper.

Seelsorger - seit der Flut im Dauereinsatz - und professionelle Therapeuten arbeiten Konzepte für die kommenden Monate aus. Als Entlastung für Kollegen vor Ort springen im Bistum Trier etwa 90 Seelsorgerinnen und Seelsorger ein. Denn auch die Helfer brauchen Hilfe. An keinem gehen die Einsätze spurlos vorüber.

"Ich habe Angst vor dem Moment, wo nichts mehr zum Schippen da ist, wo Warten angesagt ist, die Menschen Zeit haben zum Denken und zum Sprechen", sagt auch der katholische Priester Heiko Marquardsen.

Jeden Nachmittag dreht er eine Runde durch Ahrweiler, fragt nach, wie es den Menschen geht. Viele funktionierten, räumten auf, arbeiteten Tag und Nacht, sagt er. Ein Trompeter habe diese Routine kürzlich unterbrochen und auf dem Platz vor der Kirche Sankt Laurentius "Großer Gott wir loben dich" und "Tochter Zion" gespielt. "Da hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Leute hatten Tränen in den Augen", erzählt Marquardsen.

Auch der Trierer Bischof Stephan Ackermann ist sich sicher, dass die seelische Bewältigung der Katastrophe einen ganz langen Atem braucht.

Wie einige seiner Kollegen, darunter der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck und der rheinische Präses Thorsten Latzel reiste er in betroffene Gemeinden und sagte den Menschen Unterstützung zu. Aktuell und auf lange Sicht müsse sich die Kirche vor allem der "Sorge um die verwundeten Seelen" widmen, ist auch Kardinal Woelki überzeugt.


Freiwillige Helfer im Hochwassergebiet / © Harald Oppitz (KNA)
Freiwillige Helfer im Hochwassergebiet / © Harald Oppitz ( KNA )

Zerstörter Friedhof / © Harald Oppitz (KNA)
Zerstörter Friedhof / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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