Wie kann gutes Zuhören gelingen?

"Wertschätzung des Gegenübers ist die Grundvoraussetzung"

Wäre diese Welt eine bessere, wenn man einander nur gut zuhören würde? Und ist Zuhören eine Haltung oder eine Kunst, die sich erlernen lässt? Für das geistliche Gespräch jedenfalls sei Zuhören unabdingbar, findet Weihbischof Puff.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Weihbischof Ansgar Puff spricht mit einem Kind.  / © Beatrice Tomasetti (DR)
Weihbischof Ansgar Puff spricht mit einem Kind. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Herr Weihbischof, die Geistlichen Begleiter des Synodalen Ausschusses haben vor der dritten Sitzung an diesem Wochenende ihre Ämter niedergelegt. Dem Vernehmen nach gab es einen Dissens über das Selbstverständnis der Moderatoren und ihrer Methode, die Ihnen durchaus vertraut sein dürfte...

Ansgar Puff (Weihbischof in Köln): Das "Gespräch im Heiligen Geist" – und ich vermute, dass das die Form war, die beim Synodalen Ausschuss eingeübt werden sollte – hat eine bestimmte Methodik. Ein Teilnehmer spricht für eine oder zwei Minuten, danach ist eine Minute Stille, bevor der nächste Teilnehmer spricht. So wird der Austausch zu einem gegenseitigen Zuhören und zum Versuch, die anderen Gesprächsteilnehmer zu verstehen. Die Moderatoren eines solchen "geistlichen Gesprächs" haben darüber hinaus immer die Möglichkeit, den Gesprächsverlauf dann für einen Moment des Schweigens und der Stille zu unterbrechen, wenn die Debatte so hitzig wird, dass man nur noch aufeinander einredet, ohne zu hören, was der andere sagt. Ich kann nicht einschätzen, was die Geistlichen Begleiter bewogen hat, ihren Auftrag für den Synodalen Ausschuss zurückzugeben, aber so ist die Form des "Gesprächs im Heiligen Geist", und ich persönlich schätze diese Methode sehr. 

Übrigens habe ich kürzlich entdeckt, dass sie vom heiligen Ignatius stammt und er diese Form des Austauschs schon Mitte des 16. Jahrhunderts dem Konzil zu Trient empfohlen hat. Das Hören ist für uns Christen konstitutiv: Denn – wie Paulus sagt – "der Glaube kommt vom Hören!"

DOMRADIO.DE: Jedenfalls hebt Papst Franziskus stets die Bedeutung des Zuhörens für den Dialog hervor. Begegnung, Zuhören und Sprechen seien das "Triptychon" guter Kommunikation, sagt er. Was macht einen guten Zuhörer aus?

Ansgar Puff

"Zuhören hat enorm viel mit einer Haltung zu tun, für die man sich aktiv entscheiden kann."

Puff: Ein guter Zuhörer bringt dem Gegenüber eine große Wertschätzung entgegen, vielleicht sogar Neugierde und den Wunsch, den anderen wirklich in der Tiefe verstehen zu können. Diese Wertschätzung, dieses "Du bist mir wichtig, ich möchte verstehen, was Du mir sagen möchtest" ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich das Gegenüber öffnen kann. Vom russischen Clown Popov wird ja erzählt, dass er immer, bevor er die Arena betrat, leise zu sich selbst sagte: "Ich liebe euch alle." Und diese Haltung spürte man bei seinem ganzen Auftritt; darum flogen ihm die Herzen zu. Bei einem guten Zuhörer ist das ähnlich. Im Herzen sagt er zu seinem Gegenüber: "Ich liebe alles, was Du sagen wirst." Und diese Haltung spürt sein Gegenüber; das eröffnet ihm die Möglichkeit zu sprechen. Zuhören hat also enorm viel mit einer Haltung zu tun, für die man sich aktiv entscheiden kann.

Wenn Papst Franziskus immer wieder zum Zuhören auffordert, es mitunter ja fast anmahnt, wie wir bei der Weltsynode in Rom erleben konnten, verspricht er sich davon – glaube ich – dass zwei Dialogpartner, die diametral auseinander gehende Positionen vertreten, einander so zuhören, dass daraus mithilfe des Heiligen Geistes etwas völlig Neues entstehen kann. Das ist seine Hoffnung. Niemand soll Recht bekommen, keine Position setzt sich durch, sondern das Hören auf den jeweils anderen schafft etwas Neues, das am Ende beiden Seiten gerecht wird.

DOMRADIO.DE: Als Bischof sind Sie auf den unterschiedlichsten Ebenen permanent im Gespräch. Welche Erfahrungen machen Sie mit Zuhören? Und wie wichtig ist das für Ihre Arbeit?

Puff: Zuhören ist für mich die entscheidende Haltung und das wichtigste Werkzeug für meine Aufgabe. Dabei mache ich unterschiedliche Erfahrungen. Manchmal kann ich sehr gelassen und offen zuhören, weil eine entspannte und wohlwollende Gesprächsatmosphäre vorherrscht, in die ich mich auch persönlich gut einbringen kann. In anderen Situationen, zum Beispiel in Konfliktgesprächen, kann Zuhören mühsam werden; es kostet Kraft, so aktiv zuzuhören, dass das Gespräch in eine konstruktive Richtung gelenkt werden kann. Nach solchen Gesprächen bin ich auch ein bisschen erschöpft. 

Und schließlich gibt es auch Gesprächssituationen, zum Beispiel die berühmten Sitzungen, in denen ich ein bestimmtes Thema bereits zum fünften Mal höre. In solchen Situationen – das muss ich ehrlich zugeben – schweife ich auch schon mal ab, höre nicht mehr richtig zu und gehe mit meinen Gedanken spazieren. Dann nehme ich mir ab und an die Freiheit heraus, über etwas anderes nachzudenken. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie bei Visitationen unterwegs sind, müssen Sie sich schon allein qua Amt vieles anhören. Die Menschen sind froh, dass sie ihre Sorgen, aber auch ihren Frust endlich einmal kanalisieren können. Das ist das eine. Aber aktives, aufmerksames Zuhören ist dann sicherlich noch einmal etwas anderes und macht einen Qualitätsunterschied bei der Begegnung aus…

Ansgar Puff

"Zu einem guten aktiven Zuhören gehört auch die Entdeckung, wo das Körnchen Wahrheit im Argument des anderen verborgen ist, auch wenn mir selbst sein Argument inhaltlich überhaupt nicht zusagt.2

Puff: Immer wieder erzählen mir Menschen von Dingen, die sie belasten, oder wie sie an Grenzen stoßen. In solchen Momenten versuche ich, meine eigene Emotionalität aus dem Spiel zu lassen. Denn zu manchem habe ich auch meine persönliche Meinung. Aber in solchen Situationen geht es ja nicht um das, was mir wichtig ist, sondern darum, das Gute, was im Gesagten des anderen verborgen ist, zu entdecken und ans Licht zu bringen. Zu einem guten aktiven Zuhören gehört auch die Entdeckung, wo das Körnchen Wahrheit im Argument des anderen verborgen ist, auch wenn mir selbst sein Argument inhaltlich überhaupt nicht zusagt. Das ist eine wichtige Voraussetzung fürs Zuhören. Wenn Menschen ihre Lasten, Sorgen, Enttäuschungen und Verletzungen aussprechen können, hilft das meist ein großes Stück weiter.

DOMRADIO.DE: Unsere Welt ist laut und schnelllebig geworden. Es scheint, als hätten die Menschen die Fähigkeit, einander zuzuhören, geradezu verlernt. Jeder will sich Gehör verschaffen, den anderen noch übertönen – auch mit Hetze und Hassbotschaften – und die Medien bieten dafür inzwischen die unterschiedlichsten Plattformen an. Wird die Unfähigkeit, einander zuzuhören, nicht inzwischen sogar zu einer großen Gefahr?

Puff: In der Tat. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: "Wenn ich Arzt wäre und man mich fragen würde, was das Wichtigste wäre, damit die Menschen gesund werden, ich zögerte keinen Moment mit der Antwort: Schafft Schweigen." Dieses "Schafft Schweigen" ist eine große Herausforderung in unserer Zeit und eine wichtige Aufgabe. Ich meine mit der Aufforderung "Schafft Schweigen" zum einen eine innere Ruhe, eine Sammlung im Inneren, die ja auch eine Voraussetzung für eine Begegnung mit Gott ist. Denn Gottes Stimme ist immer leise und ohne Stille überhörbar. 

Zum anderen bin ich der Überzeugung, dass die sozialen Medien uns zu sehr "beschallen". Jugendliche, denen ich das Sakrament der Firmung spende, sagen mir, dass sie zwischen drei und acht Stunden pro Tag bei social media unterwegs sind. Dort werden in kurzen und oft immer gleichen Statements Meinungen vertreten, die meist bar jeder Argumente oder Differenzierung sind. So entsteht zum Beispiel durch Parteien eine sehr große Einflussnahme und politische Vereinnahmung, die ich für gefährlich halte. 

Ansgar Puff

"Das Schweigen hilft uns, dass wir zu uns selbst finden und den Raum in unserem Innersten, wo wir wirklich Mensch sind und der – wie Karl Rahner sagte – mit Dingen unseres Alltags zugemüllt ist, wieder frei machen können."

"Schafft Schweigen" bedeutet daher auch, die Gefährlichkeit eines solchen Konsums zu entdecken und immer wieder Zeiten "offline" zu gehen. Das Schweigen hilft uns, dass wir zu uns selbst finden und den Raum in unserem Innersten, wo wir wirklich Mensch sind und der – wie Karl Rahner sagte – mit Dingen unseres Alltags zugemüllt ist, wieder frei machen können. Erst wenn wir bei uns selbst sind, können wir auf andere zugehen und ihnen zuhören.

DOMRADIO.DE: Würde im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass es, wenn wir einander mehr zuhören würden, weniger Angst vor dem Fremden gäbe und auch insgesamt weniger Konflikte?

Puff: Unbedingt, da stimme ich Ihnen vollkommen zu.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, erst wenn wir still werden, können wir im Lärm unserer Tage die Stimme Gottes in unserem Leben hören. Haben Sie eine Empfehlung, wie sich das – gerade jetzt im Advent – einüben lässt?

Puff: Machen Sie ein kleines Experiment: Setzen Sie sich am Abend vor den brennenden Adventskranz – an diesem Sonntag können Sie ja die dritte Kerze anzünden. Löschen Sie das Licht, schalten Sie alle Medien ab! Schließen Sie die Augen und nehmen Sie sich vor, 15 Minuten lang nichts zu tun, einfach im Kerzenschein und Dunkeln auf Ihrem Stuhl zu sitzen und zu schweigen! In Ihrem Inneren werden viele Dinge laut. Wahrscheinlich wird Ihnen durch den Kopf gehen: Was muss ich noch alles tun? Was habe ich heute vergessen? Sollte ich jetzt nicht besser aufspringen und noch schnell dies oder jenes erledigen? 

Widerstehen Sie diesen Versuchungen! Diese Gedanken gehen weg. Danach werden Sie in eine Tiefe gelangen, in der Sie sich zufrieden und glücklich fühlen. Wenn Sie nach diesen 15 Minuten mit Ihrem Alltag weitermachen, wird er ein wenig anders sein als vorher. Das Schweigen erlöst die lauten Momente unseres Lebens.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti. 

Ansgar Puff

Es war eine lange Suche. Radikale Vorbilder haben ihn angezogen, darunter Charles de Foucaud oder Franzikus. Er hat in Brudergemeinschaften in Obdachlosensiedlungen gewohnt, auf der Baustelle gearbeitet, Sozialarbeit studiert und später seine Heimat in der Gemeindearbeit gefunden.

Ansgar Puff wurde am 8. Januar 1956 in Mönchengladbach geboren und am 26. Juni 1987 von Weihbischof Walter Jansen zum Priester geweiht. In seiner anschließenden Kaplanszeit wirkte er in verschiedenen Kölner Pfarreien. 1996 wechselt er als Leitender Pfarrer nach Düsseldorf. 

Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR