DOMRADIO.DE: Was sind die wichtigsten Stationen in Mandelas Leben aus Ihrer Sicht?
Stefan Hippler (Langjähriger Pfarrer der katholischen Gemeinde in Kapstadt): Nelson Mandela wurde 1918 geboren, studierte, war Anwalt in Johannesburg, in Soweto. Er war Boxer, hat das Leben geliebt. Er ist dem ANC beigetreten, hat den bewaffeneten Arm des ANC gegründet, ist im berühmten "Rivonia Trial" 1968 zu lebenslanger Haft verurteilt worden und saß 27 Jahre lang im Gefängnis. 1990 ist er dann Gott sei Dank freigekommen. 1994 – bei den ersten freien Wahlen in Südafrika – wurde er dann zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gewählt.
DOMRADIO.DE: Die Vereinten Nationen haben den 18. Juli zum internationalen Nelson Mandela-Tag ausgerufen. Was hat dieser Gedenktag mit der Zahl 67 zu tun?
Hippler: Mandela hat sich quasi 67 Jahre für die Freiheit Südafrikas "aufgeopfert". Jeder Afrikaner ist deshalb an diesem Tag dazu aufgerufen, 67 Minuten sozial tätig zu werden, um das Andenken Mandelas zu ehren.
DOMRADIO.DE: Die Südafrikaner sollen also einen aktiven persönlichen Beitrag in der Gesellschaft leisten. Sie sollen Verantwortung übernehmen, und so die Welt ein bisschen besser machen, so wie Mandela es getan hat. Der Mandela-Gedenktag ist zwar international konzipiert, die Aufforderung richtet sich aber auch an die südafrikanische Gesellschaft. Warum ist das nicht ganz einfach?
Hippler: Das ist heute nicht ganz einfach, weil Nelson Mandela natürlich auch kritischer gesehen wird als damals als Präsident. Als er 1994 Präsident wurde, gab es die Hoffnung einer "Rainbow Nation" (Bezeichnung von Erzbischof Desmond Tutu für die Postapartheidsphase in Südafrika, Anm. d. Red.). Jeder hat gedacht, jetzt ist dieser friedliche Übergang von der Apartheid zu einer richtigen Demokratie geschafft. Jetzt können wir alle einpacken. Und dann hat Nelson Mandela nur eine Amtszeit gemacht und ist zurückgetreten, was sehr selten ist in Afrika.
Seine Nachfolger haben leider die Fackeln nicht weitergetragen, sondern es gab Korruptionen und viele Dinge, die schiefgelaufen sind. Deshalb überlegt man heute, gerade die jungen Generationen, ob Mandela mit seiner Versöhnungsgeschichte wirklich das erreicht hat, was man erreichen wollte und was man heute braucht.
DOMRADIO.DE: Ist es denn wichtig, dass man das, was er gemacht hat, der jungen Generation weitergibt?
Hippler: Es ist nicht nur wichtig, sondern sozusagen die einzige Chance, die Südafrika hat. Sich daran zu erinnern, dass es nur weitergehen kann, wenn alle, die zu Südafrika gehören, auch miteinander die südafrikanische Gesellschaft bilden. Es geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Wenn Schwarz gegen Weiß, Zulu gegen Xhosa oder die Buren gegen die Schwarzen angehen, wird das nie etwas werden. Südafrika muss eine Rainbow-Nation werden, sonst hat es keine Chance.
DOMRADIO.DE: Sie kennen die Menschen in Kapstadt besser als wir, werden heute viele Menschen 67 Minuten lang etwas im Sinne Nelson Mandelas tun?
Hippler: Ja, das ist ganz spannend. Obwohl es viele Kritikpunkte gibt und viele Nelson Mandela kritisch sehen: Die 67 Minuten werden fast religiös eingehalten. Das ist wie eine stille Hoffnung, die gerade junge Menschen haben. Sie wollen zeigen: Wir haben die Hoffnung nicht ganz verloren, aber wir müssen aufpassen.
DOMRADIO.DE: Was tun sie denn zum Beispiel?
Hippler: Das kommt ganz darauf an. Viele gehen in die Townships und geben Essen aus oder helfen in Sozialeinrichtungen. Vor allem viele Politiker zeigen, dass sie plötzlich sozial sind. Man kann Straßen fegen, man kann Strände aufräumen.
Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, um zu zeigen: Ich habe ein bisschen den Mandela in mir. "Zeig' den Mandela!" ist auch das Motto für diesen Tag, an Mandelas 100. Geburtstag.
Das Interview führte Dagmar Peters.