Ein weiß-blauer Himmel wie auf den Tourismus-Prospekten strahlt über der bayerischen Landeshauptstadt. Am Sonntagvormittag kurz vor elf Uhr stehen Touristen aus aller Welt am Marienplatz, um dem gleich beginnenden Glockenspiel im Rathausturm zu lauschen. Auf den ersten Blick scheint alles wie immer - wären da nicht die sechs Fahnen der Stadt, Bayerns und Deutschland an der Fassade des neugotischen Baus. Sie tragen Trauerflor, wie überhaupt alle Flaggen auf Halbmast gesetzt sind.
Der Amoklauf eines 18-Jährigen, der am Freitagabend kurz vor 18 Uhr im Olympia-Einkaufszentrum neun Personen tötete und 27 verletzte, bevor er sich selbst umbrachte, hat Spuren hinterlassen. Nach einer Nacht im Ausnahmezustand ist die Stimmung in der Stadt auch am Sonntag noch gedämpft, die Polizei nach wie vor stark präsent. Vor der Mariensäule, wo mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI. schon zwei Päpste beteten, liegen Blumen und brennen Kerzen. "Im Gedenken an die Opfer vom 22.7.2016" ist auf einem Blatt zu lesen. In noch größeren Lettern steht dort: "Liebe ist stärker als Hass."
Feiern abgesagt
Als Bilderbuch-Paradies, wo Tradition, Frömmigkeit und Feiern zusammengehört, hätte sich die Weltstadt mit Herz an diesem Sonntag wieder präsentieren wollen. "500 Jahre Bayerisches Reinheitsgebot" galt es zu feiern. Bayerische Brauereigespanne wären durch die Altstadt gezogen hin zum Odeonsplatz. Dort war am Freitagnachmittag das Festival des Bayerischen Brauerbunds eröffnet worden. Stände und Bierbänke standen einladend für Besucher übers Wochenende bereit.
Doch wie alle anderen Festivitäten wurde auch diese abgesagt - aus Respekt vor den Opfern.
Gottesdienst im Alten Peter
Trotzdem stattgefunden hat der dazu angesetzte Gottesdienst im Alten Peter. Dafür hatten sich aus den fünf noch Bier brauenden bayerischen Klöstern Weltenburg, München und Andechs, Scheyern, Ettal und Mallersdorf deren Äbte und Vertreter eingefunden. Eigentlich sollte das Polizeiorchester die für Blasinstrumente geschriebene "Gambrinus-Messe" spielen, stattdessen gab es eine ruhige lateinische Feier mit Orgel. "Ein frohes Fest hatte begonnen, doch dann hat sich vieles verändert" sagt der Weltenburger Abt Thomas Maria Freihart. Nun gelte es den Schmerz vor Gott zu tragen.
In de Predigt spricht der Abt von München und Bonifaz, Johannes Eckert, aus, was viele Menschen umtreiben mag nach den Bildern aus Orlando, Nizza, der Türkei, Würzburg und nun München: "Was ist los mit dieser Welt?" Er zitiert den vor 40 Jahren gestorbenen Münchner Kardinal Julius Döpfner (1913-1976): "Erst wenn wir uns dem Dunkel stellen, wird uns das Licht geschenkt." In diesem Vertrauen gelte es für die Opfer und Angehörigen, aber auch für den Täter und seine Familie zu beten, "weil wir ausnahmslos alle auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind".
Offene Türen
Einige Kirchen wie die Jesuitenkirche Sankt Michael zeigten bereits am Freitag ihre Fürsorge. Nachdem die Nachricht von der Schießerei und von drei flüchtigen Tätern über Smartphones die Runde gemacht hatte, liefen die Leute aus dem Gotteshaus. Eine Familie griff nur noch ihr Kind und ließ den Buggy samt großer Einkaufstüte zurück. Nun steht er in der Sakristei und wartet auf seine Besitzer.
Als in der Nacht auch noch der Nahverkehr eingestellt worden war, klingelten an die 40 Leute beim Pfarrzentrum der Jesuiten und baten um Zuflucht. Mit seinem Mitbruder Karl Kern kümmerte sich Gunnar Bauer um die Gäste: "Wir haben den Leuten Essen gebracht und Wasser." Die einen hätten die Ereignisse weiter auf ihren Handys verfolgt, mit anderen fingen die Ordensleute zu beten an. Schnell sei klar geworden, dass die Sache länger dauere und so stellten die Jesuiten Decken und Kissen zur Verfügung. Die gute Nachricht von der Entwarnung gegen 2 Uhr konnte Pater den Gästen nicht mehr überbringen: "Die haben alle geschlafen."
Am Samstagabend boten die Jesuiten eineinhalb Stunden der Einkehr mit Orgelmusik und meditativen Texten. "Vieles können wir nur schweigend verkraften", sagte Pater Kern im Schein der Osterkerze. Hätten dies doch auch die vor der Kirche postierten Pegida-Leute an diesem Abend einmal getan.
Zeichen der Hoffnung setzen
Vertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland haben mit Bestürzung auf den Amoklauf in München reagiert. Es komme nunmehr darauf an, dagegen "Zeichen der Hoffnung, des Friedens und des Zusammenhalts" zu setzen, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Wochenende. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, würdigte zugleich die Hilfsbereitschaft der Menschen. "Nicht die Angst, sondern diese Zeichen der Hoffnung und Zuwendung sollen unser Herz füllen."
Der Münchner Kardinal forderte eine Atmosphäre des Vertrauens, des Respekts und der Solidarität. "Wenn wir nicht immer neu lernen - so verschieden wir sind in Traditionen, Weltanschauungen, Religionen und Konfessionen - miteinander und füreinander zu leben, werden die Terroristen und Gewalttäter weiterhin die Saat der Angst, der Gewalt und des Hasses ausstreuen. Dagegen werden wir als Christen aufstehen." Bedford-Strohm, der auch bayerische Landesbischof ist, unterstrich: "Die, die Angst verbreiten wollen, werden nicht den Sieg davontragen. Wir werden ihnen diesen Triumph nicht gönnen."
Auch Papst Franziskus und Altpapst Benedikt sind betroffen
Auch Papst Franziskus zeigte sich betroffen von den Ereignissen in München. Er nehme "Anteil an der Trauer der Hinterbliebenen und bekundet ihnen seine Nähe in ihrem Schmerz", heißt es in einem von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin unterzeichneten Telegramm an Marx. Darin spricht der Papst allen, die von dem Attentat betroffen sind, sein Mitgefühl aus und dankt den Rettungs- und Ordnungskräften für ihren "umsichtigen Einsatz".
Sein Vorgänger Benedikt XVI., als Joseph Ratzinger von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising, trauert ebenfalls um die Opfer. Der emeritierte Papst bete für "die unschuldigen Opfer und drückt den Angehörigen sein Beileid und seine Nähe aus", zitieren italienische Medien am Samstag Erzbischof Georg Gänswein, den Privatsekretär von Benedikt XVI.