Experten-Tagung über Extremismus in Beratungseinrichtungen

Wie umgehen mit Verschwörungsmythen?

Wutbürger und Verschwörungsidealisten sorgen für Schlagzeilen und haben Zulauf. Doch wie dem begegnen? Wie ein Gespräch mit solchen Menschen führen, die extreme Haltungen haben? Eine Tagung in Leipzig gab Antworten.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Demonstrant mit einer Schutzkonstruktion und einem Q für "QAnon", Zeichen einer Verschwörungstheorie / © Christophe Gateau (dpa)
Demonstrant mit einer Schutzkonstruktion und einem Q für "QAnon", Zeichen einer Verschwörungstheorie / © Christophe Gateau ( dpa )

Extremistische Haltungen und Verschwörungsmythen nehmen seit einiger Zeit erkennbar zu. Bilder davon in den Medien lösen vielfach Kopfschütteln aus. Auch Ratlosigkeit, wenn plötzlich Menschen im Freundes- und Bekanntenkreis extreme Ansichten offen äußern. Warum sagen die sowas? Warum denken die so? Und wie reagiert man darauf? In Leipzig ging dem am Donnerstag ein Fachtag der Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung nach.

Der Politikwissenschaftler Alexander Ritzmann, Mitglied des "Steering Committee" des Radicalisation Awareness Network (RAN) der Europäischen Kommission, stellte erst einmal fest, wo Extremismus beginnt: Wenn jemand gegen die Menschenwürde verstößt, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vertritt oder eine Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung anstrebt.

Und wie geschieht ein Abrutschen in den Extremismus? "Das sind dynamische Prozesse. Am Anfang steht meist Unzufriedenheit, dann kommt eine schwere Krise oder Kränkung hinzu", so Ritzmann. Wer anschließend mit Verschwörungsdenken und "Rekrutierern" eines extremen Denkens in Kontakt komme, laufe schnell Gefahr, auch Extremist zu werden.

Gemeinschaft, Sicherheit und Geborgenheit suggeriert

Die psychologische Funktion von Verschwörungsmythen und extremistischen Ideologien ist laut Ritzmann groß: Sie reduzierten Komplexität und Ungewissheiten, Projektionen auf Sündenböcke kanalisierten Angst, Neid und Aggression, Narzissmus werde befriedigt und Identität gestiftet. "Es wird Gemeinschaft, Sicherheit und Geborgenheit suggeriert - fast eine selig machende Wirkung", so Ritzmann.

Eine besondere Perspektive des Fachtags lag auf dem Umgang mit Extremismus in der Beratung. Teilnehmende aus Einrichtungen von Familien- über Sozial- bis Schuldnerberatung berichteten unisono, dass sie immer häufiger mit Klienten zu tun haben, die plötzlich extreme politische Ansichten oder Verschwörungsmythen äußern - und viele der Berater fühlen sich davon überfordert, empfinden es als schwierig, professionelle Distanz zu wahren.

Eine dunkelhäutige, junge Frau, die im Betreuten Wohnen einer Diakonie-Einrichtung im Erzgebirge arbeitet, sagt unumwunden: "Ich tue mich schwer, wohlwollend zu beraten, wenn ich mit rassistischen Äußerungen konfrontiert werde. Und manche wollen auch keine Beratung mit mir - wegen meiner Hautfarbe."

Die Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der Erzdiözese München und Freising, Margret Schlierf, rät in solchen Situationen: "Man kann das aktiv zum Thema machen, nachfragen und schauen, ob dabei eine Entwicklung und Wendung entsteht." Manchmal sei es aber auch sinnvoll, den Berater zu wechseln. "Wenn die extremen Äußerungen so das Gesprächsklima belasten, dass die eigentliche Beratung nicht mehr möglich ist, sollte man abbrechen."

Konfrontative Gegenrede ist kontraproduktiv

Auch Ritzmann hat Empfehlungen für die Beratung. Erstens: Eine konfrontative Gegenrede ist kontraproduktiv: "Das können Sie vergessen, das triggert Ihr Gegenüber nur, sofort in eine massive Verteidigungshaltung zu gehen." Wichtig sei auch das Timing: "Wenn sich extreme Versprechen und Projektionen nicht erfüllen, entstehen irgendwann auch Zweifel daran - dort kann Beratung ansetzen." Hilfreich sei oft, das Umfeld der Person näher kennenzulernen.

Insgesamt gehe es darum, Alternativen anzubieten und mit zu entwickeln. Zudem rät Ritzmann, sich Unterstützung zu holen, etwa beim Bundesverband Mobile Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus oder bei EXIT Deutschland, die Ausstiegsprogramme für Extremisten anbieten.

Der Theologe und frühere DDR-Bürgerrechtler Frank Richter kann nachvollziehen, dass die gegenwärtige gesellschaftliche Umbruchsituation zunehmend Menschen verunsichere und diese nach einfachen Erklärungsmustern suchten, weil sie die vielen Mehrdeutigkeiten nicht mehr aushielten. "Wichtig ist, dass wir beieinanderbleiben und immer wieder austarieren, was geht", so Richter, der als parteiloser Abgeordneter für die SPD im Sächsischen Landtag sitzt. "Außerdem: In solchen Umbruchsituationen brauchen die Menschen seelische Stabilität. Die Gesellschaft braucht dafür Ressourcen und muss schauen, wo sie zu finden sind."

 

Quelle:
KNA
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