Wie viel Christliches steckt im Minimalismus?

"Simpel und doch herausfordernd"

Jesus war Minimalist, sagt die Autorin Annette Edenhofer. Das zeige sich etwa in den Miniregeln der Bergpredigt. Was am Minimalismus christlich ist und wie diese Grundhaltung ganzheitlich bereichern kann, erklärt sie im Interview.

Autor/in:
Elena Hong
Ein Kreuz an einer Wand / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Kreuz an einer Wand / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Spätestens seit dem Aufräum-Ratgeber von Marie Kondō ist der Minimalismus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Sie haben zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen das Buch "War Jesus der erste Minimalist? - Einfach großzügig leben" geschrieben. War er wirklich der erste Minimalist?

Prof. Annette Edenhofer (Professorin für Religionspädagogik an der katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und Mitautorin des Buches "War Jesus der erste Minimalist? - Einfach großzügig leben"): Ich glaube, es ist eine gute Nachricht, sagen zu können, dass er ein besonderer Minimalist war, aber nicht der erste. Sehr wahrscheinlich ist dies Gautama Buddha, der bekehrte Prinz, der drei Versuche unternommen hat, sich von seinem Reichtum zu lösen.

Dessen großes Gier-Thema, das man in Hingabe transformieren soll, nimmt Jesus in gewisser Weise wieder auf, indem er klarmacht, dass Reichtum eher in Beziehungsfähigkeit liegt. Von daher sind sich die beiden relativ ähnlich und können sich religionsgeschichtlich auch eine Menge geben.

Vieles gemeinsam? Buddha und Jesus / © beachlane (shutterstock)
Vieles gemeinsam? Buddha und Jesus / © beachlane ( shutterstock )

Christus heißt ja gesalbt, aber das Adjektiv "christos" heißt auch rechtschaffen, etwas gerecht machen. Auf Beziehungen bezogen ist es das, was eine Beziehung leib-seelisch gerecht macht. Auf Kleidung bezogen sind das Kleider auf Körpern, die gewaltfrei versuchen in Beziehung zu kommen und auch niemanden ausschließen.

Was ist Minimalismus?

Einfaches Leben (von simple living) oder freiwillige Einfachheit (von engl. voluntary simplicity; auch LOVOS von engl. lifestyle of voluntary simplicity) bezeichnet einen Lebensstil, für den das Prinzip der Einfachheit zentral ist. Ein solches Leben kann sich beispielsweise durch die freiwillige Reduzierung des Besitzes – bekannt als Minimalismus – oder den Versuch der Selbstversorgung auszeichnen.

Maxime des Minimalismus: Weniger ist mehr (shutterstock)
Maxime des Minimalismus: Weniger ist mehr / ( shutterstock )

Wenn Buddha und Christus ins Gespräch zu bringen sind und auch andere gerechte Menschen, ist das eine gute Nachricht, denn katholisch heißt ja "allen". Darin liegt genuin ein Netzwerkgedanke und weniger ein Abgrenzungstraditionalismus.

DOMRADIO.DE: Ist Minimalismus denn etwas christliches? Und wenn ja, warum?

Edenhofer: Ja, vielleicht von der Klarheit der Botschaft her. Der Exportschlager dieser jüdischen Reformbewegung, die gar keine eigene Religion werden sollte, war ja zu sagen: Liebe und tue, was du willst. Das ist ein Zitat von Augustinus und nichts von Jesus.

Aber Jesus war jemand, der guckte, wie es möglich ist, dass die zehn Gebote umgesetzt werden. Das ist sein jüdischer Job als Prophet, den er nicht selbst gewählt hat, den er aber unter dem Druck der Römer annimmt, weil es immer schiefer wird in der Gesellschaft.

Angesichts von Missverständnissen und Kollaboration mit den Unterdrückern fragt er sich, wie kann man unter Stress die zehn Gebote halten? Da braucht man Institutionen, Verabredungen und man braucht ein paar Minimalregeln – das ist die Bergpredigt. 

Annette Edenhofer (Professorin für Religionspädagogik in Berlin und Mit-Autorin des Buches "War Jesus der erste Minimalist?")

"Ich soll Menschen leben lassen und sie segnen, ihnen Gutes wünschen. Kognitiv simpel, aber oft herausfordernd."

Nächstenliebe, das hatten wir mal theologisch gedacht, sei eine super Turnübung. Nächstenliebe meint aber auch Feindesliebe und auch bei selbstgewählten Partnerinnen und Partnern kommt man an die Schatten und muss durch Abwehr hindurch und Beziehungsfähigkeit halten.

Viele wählt man ja gar nicht selbst, etwa in Arbeitsteams, in Schulklassen und so weiter. Die stressen einen. Da ist die Idee dranzubleiben, dass die Aversion nicht macht, dass ich jemanden vernichten will. Ich kann Abstand halten, ich kann mich verabschieden, wenn das nicht gut geht. Aber ich soll Menschen leben lassen und sie segnen, ihnen Gutes wünschen.

Das ist kognitiv etwas ziemlich Simples. Es ist nur existenziell oft herausfordernd, wenn man an Leute denkt, die einem echt auf die Nerven gehen. Und die haben wir ja nun alle, denke ich mal. 

"Schenken ist ein Akt der Nächstenliebe" / © skvalval (shutterstock)
"Schenken ist ein Akt der Nächstenliebe" / © skvalval ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie beziehen den Minimalismus dabei aber nicht auf das Materielle in erster Linie, oder?

Edenhofer: Na ja, doch. Ich würde sagen, die Bibel ist eigentlich kein asketisches Buch. Darin würde sich, glaube ich, die Jesus-Idee von der Buddha-Idee, die ja tatsächlich auf Askese hinaus geht, ein Stück weit unterscheiden.

Jesus wird vorgeworfen, mit den Fressern und Säufern zu sein und darin ist er Minimalist, weil er die Menschlichkeit des Menschen hochhält und es nicht daran festmacht, wie jemand performt. Die Mitmenschlichkeit, die Verbindung ist es. Und da lässt er es auch krachen. Um das Glück des Netzwerkens, des sich verbinden Könnens, sind Materialien recht – was ja wirklich in einer verfeindeten Welt der Ungleichheit nicht trivial ist.

Annette Edenhofer (Professorin für Religionspädagogik in Berlin und Mit-Autorin des Buches "War Jesus der erste Minimalist?")

"Jesus hält die Menschlichkeit des Menschen hoch und macht es nicht daran fest, wie jemand performt."

Das Buch "Haben zum Sein" von Erich Fromm - den ich als Exegeten bezeichnen würde - war auch mal so eine Bibel, die jeder gut fand. Da wird deutlich gemacht, wenn man zu viel Materialien akquiriert und darauf fokussiert ist, wird es sehr wahrscheinlich schwierig, Beziehungsfähigkeit an erste Stelle zu stellen.

Das meint das biblische Wort "Ihr könnt nicht beides haben, den Glauben und den Mammon". Das ist die Minimalforderung des Evangeliums, würde ich sagen. Das Material deflektiert, es steht dafür - ich glaube, die empirische Sozialpsychologie bestätigt das - wie schutzbedürftig wir sind. Es ist ja nicht nur das Fest an schönen Materialien, sondern ich brauche ganz viel Status-Konsum, um im Spiegel der sozialen Beziehung meiner sicher zu sein.

Das dickere Auto, der schickere Ring, das kann auch durchaus diskret und muss nicht vulgär sein. Aber es sagt aus, dass ich dem Leben, so nackt wie uns der liebe Gott geschaffen hat, gar nicht so traue, sondern dass ich noch etwas drumherum brauche.

Von daher, finde ich, sollte man schöne Materialien feiern und großzügig mit Lust nutzen. Sie sind ein Fest der Schöpfung. Ich kann sie vielleicht auch mal über-nutzen, aber nicht auf Dauer. Man sollte das Materielle auch als Beziehungs-Gefährder sehen, wenn es auf die Gier-Schiene kommt.

Symbolbild Reichtum / © mongione (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Im Minimalismus geht es um Ordnung. Hat die innere Ordnung eines Menschen auch etwas mit seinem Äußeren zu tun?

Edenhofer: Ja, ich vermute schon. Das Christentum ist da trotzdem eine Zumutung. Deshalb sind traditionell katholische oder traditionell christliche Menschen immer im Stress. Denn die hätten gern, dass ganz bestimmte äußere Formen ein klarer Ablese-Mechanismus für die innere Haltung sind.

Und genau das kann man nicht tun. Es gibt vielleicht Leute, die nach außen gar nicht so überzeugend wirken, weil sie gerade nicht asketisch sind, aber vielleicht in ihrem Vorstand einen an ihrer Stelle richtig guten Job machen, um mehr Gerechtigkeit zu stiften. Aber die fahren dann vielleicht mit einem 7erBMW und es wäre bigott, die zu verurteilen.

Annette Edenhofer (Professorin für Religionspädagogik in Berlin und Mit-Autorin des Buches "War Jesus der erste Minimalist?")

"Man kann nicht am Bruttosozialprodukt oder am Privaten ablesen, wie es geistlich bestellt ist."

Umgekehrt gibt es wahrscheinlich viele SUVs und BMWs, die aus dem, was ich vorhin Angst vor Kontrollverlust genannt habe, durch die Straßen fahren und auch so eine geistliche Ordnung durcheinanderbringen. Ja, das würde ich schon sagen. Aber man kann es nicht so simpel machen und am Bruttosozialprodukt oder am Privaten klar ablesen, wie es geistlich bestellt ist.

Die Aufräum-Expertin Marie Kondo  (shutterstock)

Vielleicht noch ein paar Worte zur Ordnung: "To kondo" (abgeleitet von der Aufräum-Expertin Marie Kondo, Anm. d. Red.) hört sich ja richtig schick an. Ich würde sagen, da ist der Stachel im Fleisch und die christliche Gegenrede auf jeden Fall klar.

"To kondo" hat so was von "Ich entledige mich aus dem Stress, den mir mein super Besitz macht, ich bin aufgeräumt, well beeing, well feeling". Und das mache ich dann auch mit den Leuten. Der nervt ein bisschen und der kann ein bisschen näher ran auf mein Schachbrett.

Ich bin jetzt mal böse: Man könnte sagen "to kondo" ist ein Riesen Selbstbefriedigungsprojekt, was ich nach dieser primären Ordnung nicht in den Dienst nehmen lassen muss. Es soll für mich klar aufgeräumt werden, ein gutes Gefühl geben.

Das Christentum oder andere Traditionen der Gewaltfreiheit, auch solche ohne Gott, machen sich die Mühe, sich von Menschen stressen zu lassen, weil sie da sind. Sie gucken, wie kann es dir und mir gut gehen? Wie kann es meinem Inneren und in der sozialen Situation ein Lifting up geben?

Das ist schon wirklich etwas ganz anderes, obwohl es da natürlich eine Schnittmenge gibt. Vielleicht sieht ein schönes Zimmer im Tagungskloster Seeon genau so aus, wie Marie Kondo sich das gedacht hat.

Das Interview führte Elena Hong. 

Quelle:
DR