domradio.de: Sie hat uns schöne Zeilen hinterlassen, wie zum Beispiel: "Von der Tiefe bis hoch zu den Sternen überflutet die Liebe das All, sie ist liebend zugetan allem, da sie dem König, dem Höchsten, den Friedenskuss gab." Hildegard von Bingen war Äbtissin, Dichterin, Komponistin und Verfasserin naturheilkundlicher Schriften. Nach welcher Hildegard suchen denn die Menschen, die nach Bingen reisen am häufigsten?
Thomas Zimmermann (studierter Kunsthistoriker und Stadtführer in Bingen): Das ist tatsächlich so unterschiedlich, wie sie selbst gewesen ist. Es gibt viele Menschen, die herkommen, um sie als Theologin und Missionarin erfahren zu wollen. Es gibt aber auch Besucher, die sich aus historischem Interesse mit ihr beschäftigen. Heute ist sie vor allem aber als Autorin von Natur- und Heilkundeschriften gefragt.
domradio.de: In Bingen gibt es auch einen Garten, der nach ihrer Kräuterkunde geschaffen ist. Gibt es bestimmte Regeln, nach denen der aufgebaut ist?
Zimmermann: Dieser Garten ist dem Historischen Museum angeschlossen, in dem es eine Hildegard-Abteilung gibt. Der Garten folgt verschiedenen Aspekten ihrer Heilkunde: Er ist also nicht angelegt, wie ein typischer mittelalterlicher Kräutergarten, sondern es gibt verschiedene Beete, die jeweils verschiedenen Aspekten nachgehen.
Es gibt zum Beispiel ein Beet, das zeigt, dass es bei Hildegard Pflanzen gegeben hat, die gegen das tägliche Leid – die Volkskrankheit Nummer Eins damals, Hautkrankheiten, hervorgerufen durch die hygienischen Bedingungen - gewirkt haben. Da findet man etwa Thymian, die Klette, aus denen man Umschläge gegen Hautausschläge und Geschwüre gemacht hat. Es gibt aber auch, was damals wohl schon sehr fortschrittlich gewesen ist, ein Beet mit Kräutern für Frauen: Denn Hildegard ist eine der ersten Autorinnen, die sich auch damit beschäftigt. Damals war es zum Beispiel manchmal schwierig, Kinder auf die Welt zu bringen und auch damit hat Hildegard sich im Rahmen ihrer Pflanzenkunde auseinandergesetzt.
domradio.de: Muss es denn schon ein ganzer Garten sein, oder kann man sich das Wissen der Hildegard auch in Pflanzenkübeln in die heimische Stadtwohnung holen?
Zimmermann: Es gibt verschiedene Pflanzen, die durchaus auch in Blumenkästen oder Kübeln Zuhause gehalten werden können. Da sind wir schnell bei den typischen Küchenkräutern, wie zum Beispiel Basilikum. Hildegard sagte, Basilikum mit Honig zu mischen, das helfe gegen Fieber. Auch die Römer wussten schon, dass das Öl der Pflanze verdauungsfördernd wirkt.
domradio.de: Abgesehen vom Kräutergarten im Museum: Wie viele konkrete Spuren von Hildegard gibt es in Bingen noch?
Zimmermann: Ihr eigenes Kloster, das sie hier Mitte des 12. Jahrhunderts gegründet hatte, ist im 30-jährigen Krieg untergegangen; die Schweden haben das niedergebrannt. Die Ruinen, die noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts Bestand hatten, mussten dem Eisenbahnbau weichen. Tatsächlich ist also materiell von Hildegard in Bingen nicht mehr viel vorhanden.
Wir haben aber das Museum mit der sehr schönen Abteilung von ihr. Außerdem haben wir an der Stelle, an der ihr Kloster stand, das Rupertsberger-Gewölbe. Das ist ein Kellergewölbe, in dem sich die Rupertsberger-Gesellschaft mit der Wirkung von Hildegard beschäftigt. Dann gibt es noch die Rochus-Kapelle, in der es einen großen Hildegard-Altar gibt. Der zeigt aber eher die Rezeption Hildegards im 19. Jahrhundert. Und wir haben das Hildegard-Forum, das anlässlich ihres 900. Geburtstages gebaut worden ist. Dort ist auch noch ein Kräutergarten angeschlossen; der gleicht aber eher einem mittelalterlichen Garten.
Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.