DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Gedenken an Lisa-Maria Kellermayr am gestrigen Abend erlebt?
Toni Faber (Dompfarrer Wiener Stephansdom): Es war eine wirklich besinnliche Zeit. Es war Stille am Stephansplatz, trotz der tausenden Menschen, die mit Kerzen sich versammelt haben. Wir haben bewusst auf jede Rede, auf jedes Konzert, auf jede Wortmeldung verzichtet. Die Menschen haben sich versammelt und in Stille eine Kerze angezündet und dann den Glocken des Domes gelauscht. Das Festgeläut hat drei Minuten geläutet und dann die Totenglocke eine Minute. Dort, wo oft Argumente die Menschen nicht erreichen, hat diese Stille, dieser Friede, dieses eindrucksvolle Zeichen für Toleranz und Nächstenliebe vielleicht mehr bewirkt als viele Reden.
DOMRADIO.DE: Also bewusst keine konkreten Forderungen oder Vorwürfe?
Faber: Ganz bewusst, weil Menschen angesichts einer solchen Tragödie nicht unbedingt die richtigen Worte finden können, wir das Totengedenken für Lisa-Maria Kellermayr wachhalten wollten und gleichzeitig die Menschen zur Besinnung aufrufen wollten. Nicht unbedingt zum Umdenken. Oft sind Argumente nicht die richtigen Instrumente, um Menschen von Gewalt und von Hasspostings abzuhalten, sondern dieses Innehalten, dieses ganz Bewusste war, glaube ich, ein deutlicheres Zeichen. Und wir, die wir zu Tausenden da am Stephansplatz waren, waren tief berührt und bewegt. Und ich glaube, es war so besser.
DOMRADIO.DE: Wer ist denn alles hingekommen zum Stephansplatz?
Faber: Es sind viele Ärzte gekommen, weil die Ärztekammern dazu aufgerufen hatten. Es waren Junge und Alte, es waren wirklich bewegte Gesichter, betroffene Seelen hier versammelt, auch viele Politiker. Wirklich tausende Menschen, die hier äußerst bewegend mehr als mit vielen Worten und viel Musik ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht haben und sich gestärkt haben. Sie haben innegehalten, sind zur Besinnung gekommen und vielleicht gelingt es nicht nur mit Argumenten, Hass und Impfgegnern beizukommen, sondern mit so einem stillen Gedenken besser.
DOMRADIO.DE: Lisa-Maria Kellermayr war in Österreich im Zusammenhang mit den Impfkampagnen bekannt. Die Ärztin war massiv bedroht worden. Haben denn Polizei und Staat genug unternommen, um sie zu schützen?
Faber: Es ist eine komplizierte Rechtslage, dass man solche Dinge nicht so ohne Weiteres verfolgen kann. Der Rechtsschutz von Menschen, die beschuldigt werden, so etwas zu machen, wiegt da oft höher als das Schutzbedürfnis von Ärzten und von Krankenhausangestellten. Ich glaube, da muss sich etwas ändern. Es ist einfach fatal, wenn mir Mitarbeiter von Krankenhäusern erzählen, sie werden für ihren Einsatz für das Gemeinwohl, für die Gesundheit von Menschen, wirklich mit Hasspostings, mit tätlichen Angriffen bedroht, mit Verleumdungen.
Ich selber habe alleine nur dadurch, dass ich zum Gedenken aufgerufen habe, auch eine Handvoll von Hassmails bekommen. Es ist einfach wirklich bestürzend, zu welchen Äußerungen sich Menschen hinreißen lassen, wenn sie glauben, ihre Impf-Gegnerschaft da immer wieder aufrechtzuerhalten zu müssen. Es ist brutal, dass da wirklich ein Riss durch die Gesellschaft ausgegangen ist von Menschen, die man früher nicht solcher Dinge verdächtigt hätte.
DOMRADIO.DE: Was kann man denn tun gegen diese Form von Hass im Internet? Wie kann die Gesellschaft sich dagegen wehren?
Faber: Da braucht es durchaus Überlegungen auch gesetzestechnischer Natur. Wenn wirklich Gesundheit und Leben in Gefahr sind, sollte man den Rechtschutz der Täter und das Schutzbedürfnis der Opfer durchaus zugunsten der Sicherheit von Menschen aufrechnen. Gerade Ärzte und Menschen im Gesundheitswesen verdienen da viel mehr unseren Respekt, nicht nur Applaus damals in Corona-Lockdown-Zeiten, sondern wirklich einen größeren Schutz.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche in Österreich hat sich die ganze Zeit während der Pandemie für das Impfen eingesetzt. Im Stephansdom gab es ja auch Impfaktionen. Warum positioniert sich die Kirche hier so klar und deutlich?
Faber: Das war vom Papst, von der Glaubenskongregation, vom Erzbischof und vielen Bischöfen sehr klar, dass dort ein höheres Gut des Gemeinwohls, der Gesundheit der Welt wirklich gefährdet ist, dass wir da viele, viele andere Überlegungen wirklich hintenanstellen können. Es bestürzt mich, dass nach wie vor so viele Menschen dem nicht zugänglich sind, Argumenten nicht zugänglich sind.
DOMRADIO.DE: Wie schauen Sie in die Zukunft? Wie kann die Gesellschaft, die so gespalten ist, auch wieder zueinanderfinden?
Faber: Durch kleine Zeichen und größere Zeichen, durch gemeinsames Arbeiten, gemeinsames Beten, Innehalten und konsequenten daran Festhalten an der Nächstenliebe als große Überschrift über all das, was uns bewegt. Nur der, der wirklich beim Nächsten sich als Liebender weiß, der kann zu Recht von einer Gottesliebe sprechen. Das ist als Grundgenom uns als Christen eingeschrieben. Nächstenliebe ist nur dann wirklich glaubhaft, wenn ich sie wirklich übe. Und Gottes Liebe ist nur dann artikulierbar, wenn ich das auch am Nächsten beweise.
Das Interview führte Dagmar Peters.