DOMRADIO.DE: Wie viel religiöses Wissen ist noch vorhanden? Viele wissen vielleicht gar nicht mehr, was ein Kreuzzeichen ist oder wie es geht. Wo muss man da anfangen?
Irmgard Momber (Religionslehrerin und Schulleiterin der Johanniter Gemeinschaftsgrundschule in Köln): Die Kinder kommen aus Elternhäusern, die wenig religiöses Wissen vermitteln. Sicherlich gibt es eine Handvoll Eltern, die ihre Kinder sehr stark religiös sozialisieren. Aber die Regel ist: Die Kinder kommen mit wenig Wissen in die Schule. Das wissen wir Religionslehrer und stellen uns darauf ein. Und auch der Lehrplan hilft uns dabei, die Kinder da abzuholen, wo sie stehen.
DOMRADIO.DE: Was beschreibt denn der Lehrplan für Religion?
Momber: Der Lehrplan für Religion sieht die Vermittlung verschiedenster Kompetenzen vor. Für die Kleinen sind die Ziele erst mal das Ankommen in der Schule und das Ankommen im Religionsunterricht. Einer zu sein von einer Gemeinde, von einer Schulklasse. Und diese Ich-Erfahrung arbeiten wir anfangs mit Bilderbüchern auf, sodass das Kind erst mal einen Standpunkt in der Religionsgemeinschaft bekommt.
DOMRADIO.DE: Beten Sie mit den Kindern im Religionsunterricht?
Momber: Das ist ein sehr sensibles Thema. Das muss angebahnt werden. Wir wollen es nicht überstülpen. Natürlich kann man sagen: Die Kinder kennen das Vaterunser nicht, sie kennen das Glaubensbekenntnis nicht. Aber auch da gibt der Lehrplan eine Hilfe, dass sie das im dritten, vierten Schuljahr lernen. Wir beginnen anfangs mit Ritualen. Wir bilden einen Kreis. Wir singen – die Kinder singen sehr gerne. Und daraus entsteht das Gebet. Anfangs ist das immer das freie Gebet. Das Kind soll spüren: Ich kann Gott alles sagen.
DOMRADIO.DE: Religionsunterricht mit Grundschulkindern: Da gibt es bestimmt eine große Offenheit für Geschichten aus dem Alten Testament, oder?
Momber: Ja, die Geschichten aus dem Alten Testament, zum Beispiel die Josefsgeschichte ist Standard im zweiten Schuljahr. Im ersten Schuljahr starten wir ganz oft mit der Frage: Sind kleine Kinder zu klein für große Fragen? Denn Kinder sind ehrlich und offen und stellen große Fragen. Zum Beispiel: Wer ist Gott? Wo komme ich her? Was passiert nach dem Tod? Und hier sind wir ganz sensibel, diese Fragen in Unterrichtsreihen aufzuarbeiten.
DOMRADIO.DE: Welcher Teil von Religionslehre gehört in die Schule und welcher, gerade bei Grundschulkindern, ins Elternhaus?
Momber: Das ist schwer zu sagen. Wenn sich zum Beispiel etwas entwickelt, ein Kind definitiv Erfahrungen mit dem Tod gemacht hat oder Kinder sich taufen lassen möchten, dann ist da ganz stark Elternhilfe einzuholen. Ansonsten gehen wir immer davon aus, dass die Kinder von zu Hause weniger mitbringen.
DOMRADIO.DE: Wahrscheinlich gibt es auch viele Kinder aus konfessionsverschiedenen Ehen. Welche Rolle spielt da die Ökumene im Religionsunterricht?
Momber: Es gibt nicht nur die konfessionsverschiedene Ehen. Es gibt ja auch die Eltern, die nicht getauft sind. Ökumene spielt insofern eine Rolle, dass wir immer in verschiedensten Abständen einen ökumenischen Gottesdienst haben, der gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer und der evangelischen Pfarrerin vorbereitet wird. Und außerdem haben wir die unterschiedlichsten Kontakttage. Die zweiten Klassen gehen immer zum katholischen Kontakttag einmal im Schuljahr und die vierten Klassen zum evangelischen Kontakttag, sodass sie die evangelische Gemeinde genauso kennen wie die katholische Gemeinde.
DOMRADIO.DE: Sind Sie gerne Schulleiterin?
Momber: Ich bin sehr gerne Schulleiterin. Ich bin es auch noch nicht so lange – erst seit 2017.
DOMRADIO.DE: Ist es wirklich so schwierig, Schulleiter für Grundschulen zu finden? Warum ist das nicht so attraktiv?
Momber: Ich glaube schon, dass es attraktiv ist. Aber die Umstände machen es schwer. Man muss zunächst 104 Stunden an Fortbildungen absolvieren und man muss ein sogenanntes Eignungsfeststellungsverfahren (EFV) durchlaufen, bei dem man geprüft wird. Ich glaube, viele erwachsene Menschen haben auch vor Prüfungen noch einmal einen gewissen Respekt. Ein Schulleiter ist heute ein Managertyp. Es ist nicht mehr so, dass ein Schulleiter heute einer von vielen im Kollegium ist. Und manche, denke ich, sind auch lieber Lehrer und arbeiten mit Kindern.
Trotzdem muss man auch erwähnen, dass es zudem ein finanzielles Problem ist. Man bekommt kaum mehr Gehalt. Das hat sich zwar im letzten halben Jahr geändert, aber im Vergleich zu den anderen Schulformen wie Sekundarstufe I und Förderschule bekommt der Grundschullehrer immer noch eine Stufe weniger bezahlt. Von daher ist es gerade auch für Männer nicht attraktiv, Schulleiter zu werden.
DOMRADIO.DE: Für die Schule ist es schwierig, die Stellen zu besetzen, wenn eine frei wird. Und dann leiden Sie vermutlich auch unter einem Lehrermangel?
Momber: Das ist so. Wir haben zu wenig Grundschullehrer. Diesen Mangel müssen wir stemmen. Mithilfe von Schulaufsicht und Schulleitung und Lehrern, die auch da Einsicht zeigen müssen, stemmen wir das Problem, indem Lehrer an Nachbarschulen abgeordnet werden oder sogar an weiter entfernt liegende Schulen. Das ist keine schöne Situation und alle Schulen müssen Minimalplan fahren. Das heißt, jeder Schulstufe fehlt eine Stunde.
DOMRADIO.DE: Müsste das Grundschullehrerdasein besser bezahlt werden? Denken Sie, das ist ungerecht und auch ein Grund, dass junge Lehrer eher an die Gesamtschule oder das Gymnasium gehen wollen, um besser zu verdienen?
Momber: Das ist natürlich eine Spekulation. Grundschullehrer ist ein fantastischer Beruf. Es macht Spaß, mit den kleinen Kindern zu arbeiten. Und trotzdem glaube ich, dass man der Spekulation folgen kann, dass es ein Grund sein kann für viele junge Kolleginnen, vielleicht doch in die Sekundarstufe I zu gehen, wo sie besser bezahlt werden.
DOMRADIO.DE: Fachlich muss man ja vielleicht auch weniger können aber pädagogisch umso mehr, oder?
Momber: Die Grundschullehrerin oder der Grundschullehrer müssen ganz breit aufgestellt sein. Es ist nicht nur das Können. Sie müssen ganz viel innerhalb der Psychologie und Pädagogik Bescheid wissen, von der Didaktik in allen Fächern zu schweigen. Sie müssen auch fast alle Fächer unterrichten bis auf Religion, Sport und Englisch – auch wenn sie das Fach nicht studiert haben. Dann müssen sie durch Eigenstudium das Fach unterrichten können und das sind viele Herausforderungen.
DOMRADIO.DE: An Grundschulen unterrichten überwiegend Frauen. Für einen Mann ist es vielleicht vom Finanziellen her nicht so attraktiv. Woran könnte das noch liegen, dass weniger Männer in die Grundschule möchten?
Momber: Heute dauert es sehr lange, bis sie Grundschullehrer sind. Sie müssen erst den Bachelor machen, dann den Master, dann das Referendarjahr. Wenn das alles gut klappt, sind das fast sieben Jahre. In der Zeit kann man auch Jura, Betriebswirtschaft oder so etwas studieren, wo es vielleicht attraktiver ist, Geld zu verdienen. Das ist vielleicht ein Aspekt, aber wie gesagt: Es sind Spekulationen.
DOMRADIO.DE: Wie könnte man den Grundschullehrer-Beruf attraktiver machen? Was sind Ihre Wünsche dazu?
Momber: Ich finde ihn schon attraktiv. Wie gesagt, ich glaube schon, dass eine bessere Bezahlung attraktiver wäre und vielleicht auch eine Anpassung der Arbeitszeiten. Heute arbeitet auch ein Grundschullehrer in den Nachmittag hinein. Wenn man das vielleicht grundsätzlich, wie es in anderen Ländern üblich ist, dass die Grundschule immer bis 15 oder 16 Uhr arbeitet, ändert, dann wäre das für alle Beteiligten vielleicht leichter.
DOMRADIO.DE: Was ist besonders schön daran, Grundschullehrer zu sein?
Momber: Ganz toll finde ich es, dass man Kinder unterrichtet, die jeden Tag glänzende Augen mitbringen. Sie können Kinder, die noch was lernen wollen, formen und so differenziert unterrichten, dass sie sich entwickeln können. Ich glaube, das ist ein ganz großer Vorteil des Berufs als Grundschullehrer.
Das Interview führte Dagmar Peters.