Erzbistum Köln erläutert Verhalten bei der Missbrauchsaufarbeitung

"Wir benötigen ein solides Fundament zur Aufarbeitung"

Das Erzbistum Köln hat den Gutachter zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gewechselt. Warum das erste Gutachten für den Aufklärungsprozess nichts taugt, erläutert der Bistumssprecher.

Gestapelte Akten / © 123graphic (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki steht in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, den sexuellen Missbrauch im Erzbistum Köln vertuschen zu wollen, weil er das Gutachten einer Münchner Anwaltskanzlei zu sexualisierter Gewalt, das er selbst in Auftrag gegeben hatte, unter Verschluss hält. Die Begründung dafür: Das Gutachten sei nicht rechtssicher und habe auch sonst massive methodische und wissenschaftliche Mängel. Nun gibt das Erzbistum Köln Journalisten die Gelegenheit, das Gutachten der Münchner Kanzlei einzusehen, um sich ein eigenes, unabhängiges Urteil zu bilden.

Was hat Sie denn dazu bewogen, zum jetzigen Zeitpunkt Journalisten Einsicht in das Münchener Gutachten zu geben?

Dr. Oliver Schillings (kommissarischer Pressesprecher des Erzbistums Köln): Wir haben Ende Oktober ja schon den Gutachterwechsel in einer Pressekonferenz begründet, allerdings in der Berichterstattung und auch bei Veranstaltungen in den letzten Wochen festgestellt, dass wir diese Begründung nicht ausreichend und gut genug kommuniziert haben.

DOMRADIO.DE: Können Sie das nochmal zusammenfassen, warum das erste Gutachten nicht veröffentlicht werden kann? 

Schillings: Sinn und Zweck des Gutachtens ist es, den Aufarbeitungsprozess solide und gerichtsfest vorantreiben zu können. Das Gutachten ist ja nur ein Element, ein Teil davon. Wir brauchen da aber wirklich eine Basis, von der ausgehend wir die Prozesse, die Prävention, die Intervention verbessern können. Durch die methodischen Mängel in diesem Gutachten wären wir mit diesen Gutachten nicht diesem Auftrag gerecht geworden. Wir hätten nicht die Verantwortlichkeiten sauber identifizieren und benennen können. Zweiter Punkt ist dieser äußerungsrechtliche Aspekt. Es geht ja auch um lebende Personen und auch da gilt eine Unschuldsvermutung erst einmal. Das heißt, ich brauche auch da eine solide Basis, um zu sagen: Wo kann ich Entscheidungen besser fällen, wo kann ich mehr Sensibilität, mehr Sorgfalt und Ähnliches in die Institution hineinbringen?

DOMRADIO.DE: Jetzt bekommen Journalisten dieses Gutachten zu sehen. Die müssen aber vorher eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben. Worüber darf denn berichtet werden und worüber nicht?

Schillings: Im Fokus des Gesprächs steht die Methodik, mit der die Münchner Kanzlei das Gutachten erstellt hat. Und wir haben dazu auch Prof. Jahn von der Universität Frankfurt als Experten und auch Gutachter dieses Gutachtens eingeladen, der nochmal vorstellt und erläutert an Textbeispielen, warum das Münchner Gutachten für den Aufklärungsprozess letztendlich einen Bärendienst gewesen wäre, weil es halt methodische Mängel hat, die zu äußerungsrechtlichen Bedenken führen und es damit letztlich angreifbar machen. Das zeigt sich aber auch, wenn man auf das neue Gutachten schaut, das mit dem gleichen Arbeitsauftrag erstellt wird. Im Münchner Gutachten sind 15 Vorfälle exemplarisch dargestellt. Das neue Gutachten von Prof. Dr. Björn Gercke wird deutlich mehr Vorfälle darstellen. Aktuell reden wir über 236 Vorfälle.

DOMRADIO.DE: Aber im Bistum Aachen ist ein Gutachten zum sexuellen Missbrauch der gleichen Münchner Kanzlei veröffentlicht worden. Warum ist das denn in Köln nicht möglich?

Schillings: Wir können letztendlich ja nur unsere eigenen Standards definieren und unsere eigenen Ansprüche umsetzen. Und die sind so, dass wir ein solides, gerichtsfestes Gutachten haben wollen, dass uns wirklich die Instrumente in die Hand gibt, um diesen Aufarbeitungsprozess weiter voranzutreiben. Da kann ich für das Bistum Aachen letztendlich nicht sagen, mit welchem Anspruch, mit welchen Konsequenzen die an das Gutachten herangehen. Wir haben uns ja auch mit entsprechenden Rechtsexperten, Strafrechtlern und Äußerungsrechtsexperten dazu abgestimmt und nicht mit dem Generalvikariat in Aachen.

DOMRADIO.DE: Also in Köln will man auch vermeiden, dass wenn das Gutachten veröffentlicht würde, ein großer Rechtsstreit entbrennen würde und das Gutachten in der Luft zerrissen werden würde. Und das wäre dann eben kein Fundament, auf das man weiter aufbauen kann, um sexuellen Missbrauch im Erzbistum Köln aufzuklären?

Schillings: Genau das ist der Punkt. Die methodischen Mängel machen es nicht möglich, damit wirklich solide, gerichtsfest auch in Streitigkeiten reinzugehen oder in einem positiven Sinne auch eine Unschuldsvermutung zu bestätigen oder eben bezweifeln zu können.

DOMRADIO.DE: Bekommen denn auch die Mitglieder des Betroffenenbeirats die Möglichkeit, das Münchner Gutachten einzusehen?

Schillings: Das wird auf jeden Fall auch passieren. Wir sind gerade dabei, auch einen Zeitplan zu erstellen, wann wir welchen Gruppen wie den Zugang zu den Gutachten, im Plural, möglich machen.

DOMRADIO.DE: Nun sagt das Erzbistum Köln, dass Kardinal Woelki das Münchner Gutachten nicht kenne. Sie sprachen gerade davon, dass man verschiedenen Gruppen das Gutachten zugängig machen möchte. Wie ist das denn mit dem Kölner Erzbischof? Wird es dabei bleiben, dass er das Gutachten der Münchner weiter nicht zu Gesicht bekommt?

Schillings: Das wird so bleiben, das ist generell die Regel, weil wir erst das Ergebnis der Diagnose haben müssen, bevor wir über die Therapie nachdenken. Wenn wir jetzt Teildiagnosen bekommen, schreit jemand schon nach Therapie, die wir aber ja auch dann nicht richtig, angemessen und solide durchführen könnten. Deshalb bleibt es dabei, dass das Münchner Gutachten erst im März den Verantwortlichen im Erzbistum kenntlich gemacht wird.

DOMRADIO.DE: Ist das denn realistisch, dass das nicht doch irgendwie auch bis zum Erzbischof durchdringt?

Schillings: Also das Gutachten, in das jetzt in dem Hintergrundgespräch der Einblick gewährt wird, ist ja äußerungsrechtlich bearbeitet, sprich: Alle Namen, Orte, Zeitpunkte sind geschwärzt, weil es ja nur um die Methodik geht, die daran exemplarisch erläutert wird. Insofern halte ich das für durchaus möglich und auch sinnvoll, dass das Gutachten erst dann den Handelnden vorgestellt wird, wenn auch das neue Gutachten von Prof. Gercke veröffentlich wird.

DOMRADIO.DE: Was macht Sie so sicher, dass dieser Gutachterwechsel sinnvoll war? Wird das neue Gercke-Gutachten denn rechtssicher sein und nicht auch in der Schublade landen?

Schillings: Zum einen lernt man natürlich in jedem Prozess, das ist immer hilfreich. Zum zweiten haben wir durch Professor Jahn, den Gutachter aus Frankfurt, natürlich entsprechende Hinweise bekommen. Und Professor Gercke hat ja auch einen Teil des Münchner Gutachtens geprüft mit den Hinweisen von Professor Jahn, sodass wir jetzt bei allen Beteiligten eine sehr konkrete Vorstellung haben, welche Standards wir dort sehen. Diese wurden von mehreren Juristen definiert. Alleine die Anzahl der nun untersuchten Vorfälle zeigt ja, dass das eine andere Gründlichkeit ist und sehr viel umfassender gearbeitet wird.

DOMRADIO.DE: Heute bekommen also geladene Journalisten die Möglichkeit, das Münchner Gutachten einzusehen. Was versprechen Sie sich davon?

Schillings: Wir möchten diese Diskussion weiter versachlichen, weil die Aufarbeitung des Prozesses etwas ist, das notwendig, aber auch schmerzhaft ist. Wir stehen auch vor der Notwendigkeit, das mit der nötigen Sensibilität und Sachlichkeit durchzuführen. Mit der Darstellung, warum der Wechsel diesem Aufarbeitungsprozess hilft, kann man auch die gesamte Diskussion soweit versachlichen, dass man dieses Kapitel besser zu Ende schreiben kann.

DOMRADIO.DE: Sie sagen: Wir brauchen ein solides Fundament für die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt im Erzbistum Köln. Auch das neue Gutachten ist nur ein erster Schritt, nur ein Anfang zur Aufklärung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln?

Schillings: Das ist richtig. Da müssen sehr viele weitere Schritte folgen.

DOMRADIO.DE: Was wären das für Schritte?

Schillings: Einen der ersten Schritte hat der Generalvikar ja schon bekannt gegeben, eine Aufarbeitungskommission mit unabhängigen Personen wird sich weiter des Themas annehmen. Und es geht dann bis hin zu institutionellen Konsequenzen: Wie kann man bestimmte Prozesse stärken? Die Interventionsstelle ist jetzt seit mittlerweile fünf Jahren schon sehr aktiv. Das hat sich ja auch entwickelt. Der Betroffenenbeirat ist auch etwas, das Kardinal Woelki als erster in Deutschland einberufen hat. Auch davon lernen wir sehr viel und sind mit den Personen natürlich im Austausch, wie man das Thema weiter anpacken und versuchen kann, zu verbessern.

DOMRADIO.DE: Gerade beim Betroffenenbeirat gibt es ja auch erheblichen Gesprächsbedarf. Kann es denn gelingen, den gesamten Betroffenenbeirat wieder mit in den Prozess einzubeziehen?

Schillings: Die sechs Mitglieder des Betroffenenbeirats, die aktiv sind, sind ja weiter involviert. Der Beirat ist ganz normal integriert in alle Gespräche.

DOMRADIO.DE: Und die Betroffenen, die aus dem Beirat ausgetreten sind? Wird es da Gesprächsangebote geben? Möglichkeiten, auch wieder aufeinander zuzugehen?

Schillings: Soweit ich weiß, gibt es da immer wieder auch Austausch. Das sind jetzt keine zerrissenen Tischtücher. Da ist, glaube ich, die Tür jederzeit offen, um wieder zusammen an diesem Thema weiterzuarbeiten, das ist ja das Interesse des Erzbistums.

Das Interview führte Johannes Schröer, stellv. Chefredakteur.


Dr. Oliver Schillings (Erzbistum Köln)

Kardinal Woelki (DR)
Kardinal Woelki / ( DR )
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