epd: Welche Bedeutung hat die Instruktion der Kleruskongregation «Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst der missionarischen Sendung der Kirche» des Vatikan?
Bischof Franz-Josef Bode (stellvertretender Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz): Die Instruktion hat nicht die höchste Stufe der Verbindlichkeit, es ist eine Art pastorales Schreiben. Es nimmt die Situationen der Pfarreien, die Kirchenstrukturen und die Beteiligung von Gläubigen in den Blick und macht grundsätzliche Aussagen dazu.
Die Situation in den einzelnen Gemeinden in den unterschiedlichen Weltregionen ist natürlich verschieden. Daher ist es schwierig, eine grundlegende Aussage für die ganze Welt zu treffen.
epd: An welchen Teil der Weltkirche richtet sich diese Instruktion?
Bode: Sicher ist sie auch besonders für die westeuropäische und deutsche Situation geschrieben worden. Für eine Region mit großem Priestermangel.
epd: Ist es als eine Art Ratgeber zu verstehen?
Bode: Es ist mehr als das. Ich finde gut, dass im ersten Teil die missionarische Sendung der Kirche deutlich gemacht wird. Mission heißt dabei nicht bloß, neue Mitglieder zu gewinnen, sondern auch wie die Kirche es schafft, die Menschen, unter denen sie lebt, auch mit ihrer Botschaft zu erreichen.
Im ersten Teil wird Papst Franziskus oft zitiert. Er sagt, dass die Kirche weg muss von der Selbstbeschäftigung, hin zu den Menschen.
Der zweite Teil ist für mich dann etwas enttäuschend, weil er sich fast ausschließlich auf das Kirchenrecht bezieht. Er löst die theologische Weite des ersten Teils nicht ein. Es ist eher ein begrenzendes als ein eröffnendes Papier. Die Kirchenhierarchie wird sehr betont. Da sind wir in den vergangenen Jahren eigentlich schon weiter gewesen. Die Wertschätzung für die Gaben der Vielen zeigt sich darin nicht.
epd: Haben Sie aus Ihrem Bistum viele Reaktionen auf die Instruktion erhalten?
Bode: Oh ja! Viele hochengagierte Menschen sind beunruhigt, aufgebracht und sogar wütend. Die Laien fühlen sich nicht ernstgenommen, sie empfinden den Text zunächst als verletzend. Es kommt hinzu, dass wir in einer absoluten Notlage sind, weil wir in Zukunft nur ganz wenige Priester haben werden.
Ich will diese Not nicht als Begründung für die Zusammenarbeit von Priestern und Laien nutzen. Aber die Not ist der Anlass dazu.
epd: Im Bistum Osnabrück gibt es seit einiger Zeit auch Laien, die Gemeinden vorstehen. Etwas, dass das Papier eigentlich ausschließt. Es gibt sogar eine Frau, die eine Pfarrgemeinde leitet. Müssen Sie daran etwas ändern?
Bode: Nein, in einer Notsituation kann man einen Nicht-Priester als Pfarrbeauftragten einsetzen, dazu kommt immer ein moderierender Priester, der für die sakramentalen Aufgaben zuständig ist und das Amt vertritt.
Der Priester hat natürlich eine Leitungsfunktion, die aber zusammen mit anderen ausgeübt werden kann. Das wird in der Instruktion nur als vorübergehende Lösung angesehen. Aber wir haben hier im Bistum an einigen Orten eine permanente Notlage.
Einerseits will das Papier nicht, dass es zu große Gemeindeeinheiten gibt. Andererseits soll ich allen Gemeinden einen Pfarrer als Vorsteher geben können. Die habe ich aber nicht. Wir haben 72 Pfarreiengemeinschaften, 20 davon werde ich auf absehbare Zeit nicht mehr mit einem Pfarrer in der Leitung besetzen können. Insofern sind wir eher von der gesamten Tendenz des Schreibens getroffen, als dass wir jetzt unsere Vorgehensweise ändern müssen.
epd: Was bedeutet das Papier für Ihre Bemühungen, Frauen in Führungspositionen in der Kirche zu bringen, ganz abgesehen vom Diakonat der Frau?
Bode: Es hat eine stark bremsende Funktion. Es ist eine Schwäche des Papiers, dass diese Frage nicht eigens erwähnt wird. Es wird nur von Laien gesprochen. Übrigens spreche ich lieber von Getauften, Gefirmten, Beauftragten, Gesendeten und Geweihten.
epd: Warum?
Bode: Dann hat man einen anderen Eindruck, als wenn ich "Priester und Laien" sage. Damit benenne ich die verschiedenen Weisen, wie die Menschen am Priestertum Christi teilhaben können. Es zeigt, dass alle in verschiedenen Rollen gemeinsam verantwortlich sind für die Kirche.
Der Begriff "laienhaft" ist in unserem Sprachgebrauch negativ konnotiert, obwohl Laie - hergeleitet vom griechischen Begriff "laós" - "Teil des Volk Gottes" bedeutet. Selbst Priester sind in diesem Sinne Laien.
epd: Sie sprachen von einer bremsenden Funktion des Papiers. Wie wirkt sich das noch aus?
Bode: Der zweite Teil des Papiers ist keine Umkehr zur Evangelisierung, sondern eher zur Klerikalisierung. Das ist schade. Das ganze Papier ist nicht dazu angetan, Beteiligung zu motivieren.
Es kommt außerdem zu einer Zeit, völlig überraschend auch, in der wir die Kirche als Ganzes sowieso neu angucken müssen. Wir wissen ja noch gar nicht, wie es nach Corona mit der Beteiligung in der Kirche insgesamt aussieht.
epd: Inwiefern?
Bode: Die Corona-Pandemie hat uns erneut gezeigt, dass sich jeder seine Weise sucht, wie er mit der Kirche verbunden sein will. Die Territorialstrukturen spielen dafür nicht mehr die wichtigste Rolle.
Die meisten Menschen sind heute gar nicht mehr territorial an die Kirche gebunden, sondern über Schulen, Bildungseinrichtungen, bei Gelegenheiten wie Wallfahrten oder Ereignissen wie dem Katholikentag. In einer säkularisierten Gesellschaft müssen wir das wahrnehmen. Nach Corona kommen wir in eine Zeit, in der die Kirche neu nachdenken muss.
epd: Was kann der Synodale Weg dazu beitragen?
Bode: Der Synodale Weg bespricht genau die Themen, mit denen sich das Papier befasst: Kirche der Beteiligung, Priestermangel, priesterliche Lebensformen und die Mitwirkung von Frauen und Männern in der Kirche. Der Synodale Weg ist die richtige Antwort auf diese Instruktion. Das müssen wir möglichst bald ins Gespräch mit Rom bringen.
epd: Sie leiten das Forum "Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche". Welche Fortschritte gibt es trotz der Verzögerung durch die Pandemie?
Bode: Das Frauenforum ist so weit, dass wir einen Teiltext vorlegen können - im September bei den Regionalkonferenzen. Zwei weitere sind in Vorbereitung. Im Frühjahr können wir mehr vorbereiten. Die Verzögerung durch Corona ist für die Vertiefung und für die Debatte gar nicht schlimm - und auch für den Dialog mit Rom nicht.
epd: Wie wollen Sie den Vatikan einbeziehen?
Bode: Wir brauchen jetzt einen konstruktiven Dialog mit Rom. Er ist inzwischen von der Kleruskongregation auch angeboten. Ich bin der Meinung, die Antwort auf den Synodalen Weg muss auch etwas Synodales sein. Meine Hoffnung ist eine Teilsynode, die sich den Fragen widmet.
Papst Franziskus spricht immer von Synodalität. Insofern wünsche ich mir, dass es nicht nur ein Antwortschreiben auf die Ergebnisse des Synodalen Wegs geben wird. Sonst könnte ich gar nicht mit Mut an die Arbeit gehen. Die Instruktion birgt eine Gefahr der Demotivierung, aber wir müssen jetzt das Positivste daraus machen.
Das Interview führte Franziska Hein.