Man muss sich Zed Ngavirue und Ruprecht Polenz als glückliche Menschen vorstellen. Die Leiter der beiden Delegationen aus Namibia und Deutschland, die im Auftrag ihrer Regierungen über die Aufarbeitung der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit beider Länder sprachen, mussten manch schweren Stein den Berg hinaufrollen.
Und mehr als einer kullerte in den vergangenen fast sechs Jahren wieder herunter. Nun also liegt der Lohn der Mühen vor: Eine "Gemeinsame Erklärung", die ein düsteres Kapitel der deutsch-namibischen Geschichte beleuchtet und zugleich Wege in die Zukunft weist.
Deutsche Kolonie von 1884 bis 1915
Von 1884 bis 1915 war Namibia als Deutsch-Südwestafrika Kolonie des Kaiserreichs. Zwischen 1904 und 1908 führten deutsche Truppen einen Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama, bei dem Zehntausende Angehörige beider Völker ums Leben kamen.
Der damalige Truppenchef Lothar von Trotha kündigte am 2. Oktober 1904 an: "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen."
Die "Gemeinsam Erklärung" spricht ausdrücklich von einem Völkermord. Zugleich verpflichtet sich Deutschland zu einem substanziellen und langfristigen Engagement in Namibia, um nach über 100 Jahren wenigstens einen Teil der Opfer und Verluste wieder wettzumachen, die bis heute die Gesellschaft in Namibia belasten.
1,1 Milliarden Euro für Ausbauprojekte
In den kommenden 30 Jahren sollen 1,1 Milliarden Euro in Aufbau- und Aussöhnungsprojekte fließen. Lange wand sich Deutschland um seine Verantwortung, auch aus Furcht vor Wiedergutmachungszahlungen. Aber auch auf namibischer Seite standen Ngavirue und Polenz vor komplexen Herausforderungen.
Politisch tonangebend in Namibia ist seit der Unabhängigkeit 1990 die Volksgruppe der Ovambo. Der "Gründervater" und erste Präsident Namibias, Sam Nujoma, gab die Parole aus, dass Namibia nur noch aus einem Volk bestehe - und übertünchte damit die Gräben, die seit der Kolonialzeit die einzelnen Gemeinschaften voneinander trennen.
Profiteure des Systems
Während Herero und Nama unter der deutschen Kolonialherrschaft massiv litten, galten manche Ovambo als Profiteure des Systems. Dass nun ausgerechnet die Ovambo bei der Auswahl der namibischen Delegation mitreden durften, sorgte für böses Blut - und befeuerte die immer wiederkehrenden Vorwürfe vonseiten jener Herero und Nama, die sich nicht angemessen beteiligt fühlten.
Einige von ihnen versuchten daraufhin, ihre Ansprüche gegen Deutschland in den USA gerichtlich durchzusetzen. Ein Kampf David gegen Goliath, der wiederum nicht unbedingt förderlich für das Image der Deutschen war. Es steht zu erwarten, dass auch die jetzt erzielte Einigung nicht überall auf Zustimmung stoßen wird.
Zu unterschiedlich sind die Interessen; manche Gemeinschaften wie die der San kommen gar nicht vor. Viel wird nun davon abhängen, wie transparent und gerecht die von Deutschland versprochenen Gelder verteilt werden, wie die besonderen Beziehungen beider Länder mit Leben gefüllt werden.
Rückgabe von Knochen und Schädeln
Dabei ist auch die Zivilgesellschaft gefragt. Wie das funktionieren könnte, ließ sich beispielsweise im August 2018 beobachten. Damals wurden Knochen, Schädel und andere menschliche Überreste von Herero, Nama, Ovambo und San einer Delegation aus Namibia übergeben.
In diesem Rahmen fand in der Französischen Friedrichstadtkirche im Zentrum Berlins ein Gottesdienst statt, organisiert von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Rat der Kirchen in Namibia. Nach Ansicht von Teilnehmern ein starkes Zeichen der Versöhnung.
Ob die "Gemeinsame Erklärung" als Blaupause für Aufarbeitung in anderen Ländern dienen kann, steht auf einem anderen Blatt. Polenz sieht das skeptisch. Ein solcher Prozess müsse von allen Seiten gewollt sein. Und das, was an Maximalforderungen von Betroffenenvertretern oder Historikern in westlichen Ländern gefordert werde, lasse sich in der Praxis oft schwer umsetzen.
"Besser eine Grenze als gar keine"
So ließen sich die in der Kolonialzeit gezogenen Grenzen ebenso selbstverständlich wie trefflich kritisieren. "Aber es ist besser, eine Grenze zu haben, als gar keine." In Namibia wird dem Vernehmen nach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor das dortige Parlament treten und um Vergebung bitten.
Für Steinmeier schließt sich damit ein Kreis. Als Außenminister hatte er 2014 den Dialog begonnen, 2015 Polenz als Delegationsleiter ernannt. Der brachte zusammen mit seinem namibischen Partner Ngavirue ein in dieser Art auch nach internationalen Maßstäben bislang einmaliges Projekt zum Abschluss.