DOMRADIO.DE: Die Politik sagt, es müsse alles getan werden, dass möglichst viele Menschen ihre Häuser nicht verlassen, auch nicht für einen Museumsbesuch. Sie können diese angeordnete Schließung für Museen nicht so gut nachvollziehen. Wo sehen Sie da ein Problem?
Dr. Stefan Kraus (Leiter des Kunstmuseums Kolumba des Erzbistums Köln): Wir haben jetzt im Frühjahr den Lockdown schon hinter uns gebracht. Wir haben eine Menge gelernt. Wir haben uns darauf eingestellt, haben alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.
Und hier konkret im Fall Museum kann ich sagen, dass wir ein unglaublich großes Raumvolumen zur Verfügung stellen können mit bis zu zehn Meter hohen Decken, mit einer wunderbaren Klimaanlage, die sehr viel Frischluft rein lässt. Sie können das Kolumba besuchen ohne auch nur irgendetwas anzufassen, weil Ihnen jemand die Türe öffnet. Man kann die Hände desinfizieren.
Wir haben Individualbesucher, die alleine durch die Räume gehen können, und wir verzichten ja auf Führungen und solche Sachen, was schon schwer genug fällt. Das Museum ist, was das anbetrifft, ein Raum, der so "save" ist, wie man wahrscheinlich kaum einen anderen findet, vielleicht abgesehen vom eigenen Zuhause.
DOMRADIO.DE: Bei der Aufzählung der Kulturbetriebe, die im November schließen müssen, sind die Museen zunächst nicht erwähnt worden. Was leiten Sie daraus ab, dass die jetzt doch schließen müssen?
Kraus: Das Interessante war ja, dass die Aufzählung auch beim ersten Lockdown kam. Jetzt beim zweiten war es genauso, dass von den Kultureinrichtungen die Rede war. Da wurde alles Mögliche aufgezählt bis hin zu den Spaßbädern, nur die Museen nicht. Das wurde dann von der Landesregierung am Freitag nachgeschoben.
Dann haben wir auch sofort gesagt, okay, wir müssen uns daran halten, wir machen wieder zu. Aber es legt so ein bisschen den Verdacht nahe, dass das Museum eine beliebige Masse ist, bei der man sagen kann "Darüber verfügen wir jetzt. Na gut, dann machen wir die halt auch noch zu". Man wird sich eigentlich gar nicht klar, worin denn der Auftrag der Museen besteht. Wir haben ja einen Auftrag, der sich nicht nur in der "Langen Nacht der Museen" erfüllt, an der wir sowieso nicht teilnehmen. Um die ist es mir auch nicht wirklich schade.
Wir haben einen Auftrag, der sich nicht im Event erschöpft. Vielleicht sind die Museen viel zu oft damit identifiziert worden. Wie haben vielmehr einen Auftrag, ein Rückzugsraum zu sein, ein Besinnungsraum zu sein, ein Museum der Nachdenklichkeit, wie wir das hier in Kolumba nennen, wo man bestimmte Dinge ausgleichen kann, die woanders zu kurz kommen.
Ich behaupte mal, wir fahren jetzt mit der Krise, die uns sehr lange beschäftigen wird, nicht nur einige Monate. Es geht vielleicht noch eine ganze Weile länger. Wir müssen doch irgendwie gucken, wie wir uns in dieser Situation Glücksmomente und Ausgleichsmomente behalten, dass man Hoffnung schöpfen kann und eine Perspektive sieht. Ich wüsste - offen gestanden - wenige Orte, die so gut dafür geeignet sind wie Museen.
DOMRADIO.DE: Würden Sie denn da Kolumba von anderen Museen unterscheiden?
Kraus: Grundsätzlich nicht, im Detail sicher ja. Denn wir haben uns mit Kolumba sehr früh gegen diese ganze Eventisierung der Kultur gestellt und haben bewusst gemacht, dass es uns hier um einen konkreten Ort geht. Es geht um eine wunderbare Architektur, die alleine von Menschen ja schon als etwas Erlebnisfähiges wahrgenommen wird, wo man zur Ruhe kommen kann, wo man merkt, da geht ein ganz anderer Atem durch.
Wir haben die ganze Arbeit des Museums von Anfang an als nachhaltige Arbeit, als Beschäftigung mit der eigenen Sammlung bezeichnet, als Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart. Das ist ein großes Thema bei uns, dass wir immer wieder auch Möglichkeiten anbieten, so etwas zu relativieren. Wenn Sie einen "Christus in der Rast", der um 1480 entstanden ist, in seiner ganzen alleingelassenen Situation da sitzen sehen, dann kommen Sie gar nicht umhin, das auf heute zu beziehen.
Ihnen wird klar, dass dieses Gefühl, was wir alle in unserer Generation zum ersten Mal so drastisch erleben, den Menschen schon sehr vertraut ist und dass die Menschen dafür auch in anderen Jahrhunderten Lösungswege angeboten haben. Die finden wir natürlich zuallererst im Kolumba und auch im christlichen Glauben.
DOMRADIO.DE: Jetzt wollten Sie "Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir" allen Menschen zeigen. Das geht jetzt nicht, weil das Museum von der Schließung zur Coronaeindämmung betroffen ist. Was bedeutet denn dieser Beschluss jetzt für Sie, für Ihre Mitarbeiter und die betroffenen Künstler?
Kraus: Auch ein Museum ist ein riesiger Betrieb. Denken Sie zum Beispiel an die Aufsichtskräfte, die outgesourct sind, die jetzt in die Kurzarbeit wandern und mit 67 Prozent ihrer Einnahmen konfrontiert sind. Wir haben das im Frühjahr vom Erzbistum Köln her ausgeglichen. Ich hoffe, das gelingt uns auch wieder.
Aber wir haben natürlich Künstler, mit denen wir verbunden sind. Wir haben ein Aufbauteam von freien Mitarbeitern, die alle von diesem Kulturbetrieb, von dem immer die Rede ist, abhängig sind.
Und dann darf man nicht vergessen - gerade jetzt im speziellen Fall -, dass diese wunderbare Ausstellung eine Kooperation mit den Städtischen Bühnen, mit tanz.köln ist, wo zwei Institutionen, so verschieden sie auch sind, wirklich bewiesen haben, dass sie in dieser Zeit Ausstellungsformate und Kooperationsformate entwickeln können, die sich bewähren. Die Menschen, die gerade in der Eröffnungswoche hier waren, als wir eine Tanz-Company hier hatten, waren davon begeistert, in Corona-Zeiten an so etwas teilhaben zu können.
Das ist das, was uns eigentlich so frustriert: Wir Kulturschaffende hätten erwartet, dass man sich doch jetzt, wo man die ganzen Monate Zeit hatte, sich auf die zweite Welle, von der man wusste, dass sie kommt, vorzubereiten. Man hätte weit stärker differenzieren können, was wirklich notwendigerweise geschlossen bleiben muss, aber was man notwendigerweise als systemrelevant auch anbieten sollte, damit die Menschen Ausgleichsorte finden.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.