Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): In der vergangenen Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den Niger besucht. Die Menschen leiden unter Hunger und Gewalt. Zugleich ist Niger, einer der ärmsten Staaten der Welt, ein wichtiger Partner der EU bei ihrer Migrationspolitik geworden. Herr Djomeda, die Welthungerhilfe teilte unlängst mit, dass die Arbeit für Helfer in der Sahel-Zone immer gefährlicher wird - was heißt das bezogen auf den Niger?
Francis Kudjo Djomeda (Leiter des Büros der Welthungerhilfe in Nigers Hauptstadt Niamey): Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben Terrorattacken massiv zugenommen. Statt einmal im Monat kommt es inzwischen mehrfach in der Woche zu Anschlägen. Die dahinter stehenden Gruppen sind immer besser vernetzt und immer besser mit Waffen ausgerüstet.
KNA: Daraus folgt?
Djomeda: Dass wir nicht kontinuierlich überall arbeiten können, weil die Attentate nicht mehr nur in den Grenzregionen, sondern auch mitten im Land stattfinden.
KNA: Die Sicherheitslage war auch ein Thema bei dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Djomeda: Aber die Sicherheit ist nicht das einzige Problem im Niger. Die Situation ist äußerst komplex: Als Sahel-Staat leidet der Niger unter enormen klimatische Schwankungen und damit unter großen Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung. Dazu gibt es Konflikte zwischen Landbesitzern und Viehhaltern; es fehlt an Know-how und Material im Agrarbereich. Und in den Grenzregionen drängen sich die Flüchtlinge, die vor Terror und Gewalt aus den Nachbarstaaten Nigeria und Burkina Faso geflohen sind.
KNA: Wie reagiert der Staat auf diese Herausforderungen?
Djomeda: Wir haben es mit schwachen Institutionen zu tun. Trotzdem versucht der Staat, angesichts des Terrors Härte zu zeigen: Einige Regionen befinden sich seit 2015 im Ausnahmezustand. Die Behörden verhängen Ausgangssperren in Grenzgegenden, verbieten den Fischfang im Tschadsee, weil sie diese Region als Kampfgebiet von terroristischen Gruppen eingestuft haben, schließen aus Sicherheitsgründen Wochenmärkte und stoppen den Verkehr mit Motorradtaxis.
KNA: Was macht das mit den Menschen vor Ort?
Djomeda: Sie geraten unter immer größeren Druck, da sie ihre Einkommensmöglichkeiten verlieren, und wünschen sich eine Lockerung der restriktiven Maßnahmen durch die Regierung.
KNA: Unterdessen spielt Niger als Transitland in der Flüchtlingspolitik der EU eine besondere Rolle.
Djomeda: Das militärische Engagement darf nicht zulasten der humanitären Hilfe gehen. Wir bräuchten stattdessen flexiblere Mittelzuweisungen. Im Moment ist es so, dass wir Geld für die Nothilfe nicht in Entwicklungsprojekte stecken können. Auch der umgekehrte Weg ist uns versperrt.
KNA: Wie wirkt sich das in der Praxis aus?
Djomeda: Wir wissen zum Beispiel, dass jedes Jahr im September Überschwemmungen wegen schwerer Regenfälle drohen. Da wäre es sinnvoll, wenn wir selbst entscheiden könnten, ob wir Nothilfe leisten oder das Geld in Projekte stecken, die den Menschen auf lange Sicht hin einen besseren Schutz vor den Fluten bieten.
KNA: Noch einmal zurück zu den Flüchtlingen. Die EU will Migranten, die teils schon bis nach Libyen oder Algerien gekommen sind, im Niger registrieren. Geprüft wird dabei laut einem auf UN-Ebene vereinbarten Evakuierungsprogramm auch eine Aufnahme in europäische Länder. Über welche Größenordnungen reden wir da - und wie klappt das Resettlement-Programm?
Djomeda: Wir haben es im Niger mit drei Flüchtlingsgruppen zu tun: den intern Vertriebenen, jenen, die aus Libyen zurückkommen oder aus dem Süden weiter Richtung Mittelmeer ziehen wollen, und denen, die aus den Nachbarstaaten Nigeria oder Burkina Faso stammen. An der Grenze zu Nigeria leben etwa 250.000 Menschen, an der Grenze zu Burkina Faso 120.000.
KNA: Wie viele Flüchtlinge haben bisher von dem Resettlement-Programm profitiert, indem sie nach Deutschland ausreisen durften?
Djomeda: Etwa 300 Geflüchtete wurden bereits nach Deutschland ausgeflogen - jetzt sollen noch einmal circa 300 dazukommen. Im Niger leben viele Flüchtlinge übrigens nicht in Lagern sondern kommen bei Familien in den betreffenden Regionen unter. Diese einheimischen Gastfamilien sollten wir auf keinen Fall aus dem Blick verlieren. Denn sie sind die ersten, die Unterstützung leisten, bevor der Staat oder Hilfsorganisationen tätig werden.