DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung möchte noch nicht über Termine sprechen, zu denen das öffentliche Leben in Deutschland wieder hochgefahren werden könnte. Aber im Hintergrund bereiten sich die Länder darauf vor, wie eine schrittweise Öffnung aussehen könnte. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet möchte dafür nach eigener Aussage die richtigen Weichen stellen und lässt sich von zwölf Expertinnen und Experten beraten. Monika Kleine, sie sind eine von ihnen und hatten in dieser Woche eigentlich Urlaub. Jetzt ist alles anders. Wie geht es Ihnen persönlich rund um die Pandemie-Maßnahmen?
Monika Kleine (Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen in Köln): Einen ausgefallenen Osterurlaub konnte ich relativ schnell verschmerzen, weil es einfach unzählige Menschen auch gerade bei uns im SKF und darüber hinaus gibt, die sowieso gerade viel, viel mehr leisten, als sie müssten. Es gibt wirklich so viele Fragen, in die man hineinwachsen muss und für die man Antworten finden muss, dass man ganz froh ist, dass man die Zeit hat. Und man merkt auch die Erleichterung, dass Termine ausfallen. Insofern ist das ausgefallene Urlaubsgefühl gar nicht so relevant, und es ist einfach so schön, dass schönes Wetter ist, dass man einfach zwischendurch aufs Rad steigen kann und sich Köln einverleiben kann.
DOMRADIO.DE: Sie treffen sich in einem Expertenrat virtuell mit dem Ministerpräsidenten. Sie haben aus verschiedenen Bereichen Experten im Team - unter anderem auch den Virologen Hendrik Streeck. Wie ist die Stimmungslage? Spüren Sie jeder in seinem Bereich, dass der Druck größer wird, dass wir wieder in Richtung Normalität kommen.
Kleine: Es sind zwei Dinge. Natürlich ist jeder, der in diesem Expertenrat mitdenkt und mitüberlegt, sich des Drucks bewusst. Aber gleichzeitig ist auch eine unfassbar große Ernsthaftigkeit zu spüren, mit der die Menschen aus ihren jeweiligen Professionen versuchen, die Positionen zusammen und übereinander zu legen. Dieses Ringen um große Achtsamkeit, immer mit dem Gefühl, dass alle klar haben: Es muss in eine Lockerung gehen und wie kann man diese verantworten? Das ist schon beeindruckend.
Es wird wirklich technisch hervorragend flankiert durch die Staatskanzlei. Und natürlich sind gerade auch die Ergebnisse aus der Studie in Gangelt (Anm. d. Redaktion: Feldstudie über die Ausbreitung des Coronavirus im Kreis Heinsberg, siehe auch Infobox), die heute endgültig erwartet werden, eine große Hilfe, um das, was man sich sozusagen theoretisch überlegt, auch noch medizinisch und virologisch abklären zu können.
DOMRADIO.DE: Sie als Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen in Köln haben besonders die Not von Mädchen und Frauen im Blick. Inwiefern sehen Sie gerade ganz große Not?
Kleine: Es ist ganz hilfreich gewesen, dass ich mit in dieser Kommission denken konnte, weil es nicht nur um Frauen und Mädchen geht, sondern es geht um die ganze Zielgruppe der Schwächsten und Schwächeren. Und es ist wirklich in den ersten Wochen existenziell gewesen, zunächst das Leben der Wohnungslosen absichern zu müssen. Dann sind wir aber in der Arbeit auch auf Themen gestoßen, die uns selber vielleicht aus dem Vorüberlegungen heraus gar nicht klar waren: Dass zum Beispiel Familien, wo das Schulessen der Kinder wegfällt, nun auf Hartz IV zurückgeworfen sind und richtig Hunger haben.
Wir nehmen wahr, dass die Anfragen über die telefonische Beratung sehr, sehr zugenommen haben. Wir merken den Druck - auch den Gewaltdruck in den Familien - durch eine Zunahme an Selbstmelderinnen. Wir haben die Situation, dass wir auch Themen weiter bewegen müssen, wie wir die Flüchtlinge in den einzelnen Einrichtungen besser schützen können. Eigentlich verschärft sich grundsätzlich gesagt in jedem unserer Bereiche und auch in Bereichen unserer Kolleginnen und Kollegen enorm.
DOMRADIO.DE Sie haben es angesprochen: Telefonische Beratung findet statt. Also, Sie haben Kontakt zu Klientinnen und Klienten?
Kleine: Ja, es findet eine ganz, ganz dichte telefonische Betreuung statt. Aber nicht nur das. Wir haben ja auch Situationen, wo das Kindeswohl deutlich gefährdet ist. Wir haben Familien in sehr prekären Situationen. Und selbstverständlich fahren unsere Mitarbeiterinnen auch unmittelbar hinaus zu den Familien, treffen sich auch mit Klienten. Gerade Menschen, die psychisch erkrankt sind, brauchen ein Mindestmaß an Struktur. Wir versuchen, alles zu geben, dass auch wir die Abstandsregelungen und ähnliche Dinge einhalten. Aber es kann nicht sein, dass wir jetzt die unmittelbare Hilfe bei den Menschen einstellen.
DOMRADIO.DE: Sie haben das Schulessen erwähnt, was wegfällt. Familien wollen jetzt natürlich auch wissen, wann die Kinder wieder in die Schule gehen können. Das werden Sie jetzt nicht beantworten können. Aber, warum wäre eine Schul-Wiederöffnung so wichtig?
Kleine: Ich glaube, dass der Druck in den Familien ganz häufig steigt und da muss entlastet werden. Wir haben aber auch noch eine ganz andere Situation. Kinder, die in Familien groß werden, die Unterstützung leisten können, werden auch in diesen Zeiten, wo sie nicht unmittelbar in die Schule gehen, trotzdem gefördert. Kinder, die in benachteiligten Situationen leben, sind jetzt von dieser Unterstützung durch die Übermittagsbetreuung und die Hausaufgabenhilfe völlig abgeschnitten. Das heißt, hier entstehen einfach Bildungsunterschiede und noch mehr Gräben, die wir ja schon seit Jahren versuchen, mit viel Aufwand, viel Engagement und vielen Programmen so klein wie möglich zu halten.
Und es ist auch so, dass natürlich jede wirtschaftliche Situation nur hochgefahren werden kann, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist. Diese Dinge korrespondieren alle miteinander. Und gleichzeitig ist es nicht nur einfach, die Schule aufzumachen, weil natürlich auch daran Dinge wie Transport, ÖPNV, Dichtheit in den Klassen und Einsichtsfähigkeit der Kinder hängen. Das ist schon ein sehr komplexes Thema.
Das Interview führte Tobias Fricke.