Theologe und Medizinethiker aus Wien begrüßt Lockdown

"Wir müssen dem Virus die Nahrung entziehen"

In Österreich gilt derzeit ein scharfer Lockdown. Die meisten Geschäfte sind zu und Kirchen nur für Betende geöffnet. Der Wiener Theologe und Medizinethiker Matthias Beck findet das richtig. Aus zwei bestimmten Gründen.

Wien: Geschlossene Cafés und eine leere Fußgängerzone / © Ronald Zak (dpa)
Wien: Geschlossene Cafés und eine leere Fußgängerzone / © Ronald Zak ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben zu Beginn des zweiten Lockdowns in Österreich den Videoblog "Corona-Gedanken" gestartet. Bevor wir gleich auf die Impulse dort eingehen. Österreich hat einen sehr strikten Lockdown gerade - wie geht es Ihnen persönlich?

Prof. Matthias Beck (Theologe und Medizinethiker, Universität Wien): Mir persönlich geht es sehr gut. Nur muss ich dazu sagen, dass ich auch eine privilegierte Situation habe. Ich bin Professor an der Uni. Wir haben nur Online-Vorlesungen. Heute Abend habe ich wieder vier Stunden Seminar online. 

Ich habe hier eine ganz schöne Wohnung mitten in Wien. Ich bin ja auch Priester in einer Gemeinde. Also, ich leide nicht sehr darunter. Ich kann nebenbei Artikel schreiben.

Prof. Matthias Beck / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Matthias Beck / © Harald Oppitz ( KNA )

Ansonsten haben Sie recht, es ist ein scharfer Lockdown. Im Grunde 24 Stunden Ausgangssperre. Das klingt so brutal. Aber man kann natürlich etwas einkaufen. Man kann spazieren gehen, man kann Fahrradfahren. Man spürt es eigentlich nicht so sehr. Ich denke, dass andere Menschen mehr darunter leiden.

Aber mein Eindruck ist, dass in Österreich alles relativ ruhig abläuft. Das Land ist auch viel kleiner als Deutschland. Die Menschen nehmen es hin. Sie verstehen es auch. In dem Blog, sogar in einer Predigt am Sonntag, hab ich das auch mal dargestellt, theologisch eingeordnet. Also mir persönlich geht es gut.

DOMRADIO.DE: Meinen Sie, dass die Menschen in Österreich gelassener mit der Situation umgehen? Jetzt im zweiten Lockdown auch?

Beck: Solche Demonstrationen wie es in Berlin gab, gibt es hier nicht, soweit ich sehe. Die Österreicher sind insgesamt etwas ruhiger, etwas gelassener. Unter der fehlenden Caféhauskultur leiden wahrscheinlich die Menschen am meisten. 

Wenn ich mal eine Stunde spazieren gehe und zufällig jemanden treffe, hätte ich früher gesagt: "Komm, gehen wir auf einen Kaffee und besprechen die Lage." Aber es gibt kein Café. Alle Cafés sind geschlossen. Es ist wirklich alles zu. 

Bis auf die Läden, in denen man etwas zu essen kaufen kann und vielleicht Drogeriemärkte. Das ist schon sehr belastend. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass jetzt hier eine große Unruhe und eine große Aufgeregtheit herrscht.

DOMRADIO.DE: Schauen wir in Ihren Blog: Da gibt es alltägliche Impulse. Stichwort: Umgang mit der Situation gerade. Was können Sie da für Tipps geben?

Beck: Zunächst einmal mache mich da manchen Kirchgängern gegenüber ein bisschen unbeliebt, dass ich sage, es ist vernünftig, dass es keine öffentlichen Gottesdienste gibt. Die Kirchen sind offen für die Beter und wir können mit kleinen Gruppen bis zu zehn Menschen, wenn die Kirche dann abgeschlossen wird, Messe feiern. Das hat viele aufgeregt.

Geschlossene Kirchentür / © Julia Steinbrecht (KNA)
Geschlossene Kirchentür / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Warum kann die Kirche nicht für Gottesdienste offen bleiben? Da hab ich die folgende Argumentation gebracht: Erstens ist es vernünftig. Es gibt da einen theologischen Satz: "Die Gnade setzt die Natur voraus, und das ist die Vernunft und Natur des Menschen." Es ist vernünftig, Abstand zu halten, weil wir das Virus sonst nicht bekämpfen können.

Zweitens ist es solidarisch mit den Menschen, wenn auch die Kirchen "geschlossen" bleiben. Also die Gotteshäuser sind offen, aber es gibt eben keine öffentlichen Gottesdienste, damit wir hier alle an einem Strang ziehen. Das wäre so ein Impuls.

Dann biete ich auch geistliche Impulse, dass ich sage: Vielleicht sind Sie jetzt einsam, vielleicht sind Sie älter. Eines können Sie immer machen, beten. Oder wenn Sie nicht beten können, weil Sie nicht wissen, wie es geht, lesen Sie die Psalmen. Das ist große Literatur. Das ist sehr tröstlich. Da schreit der Mensch zu Gott.

Ich versuche sozusagen immer wieder das Tagesevangelium zu interpretieren. Gestern war es sehr brutal aber auch fast zutreffend. Es werden Seuchen kommen und Hungersnöte. Heute heißt es, "sie werden euch hassen, die Christen". Aber am Ende heißt es immer "es wird euch nichts passieren". Das heißt, die tröstliche Botschaft ist immer das, was am Ende zu den Menschen herüberkommen soll.

DOMRADIO.DE: Jetzt steht nun am diesem Mittwoch in Deutschland die wichtige Entscheidung an, wie es mit den Corona-Schutzmaßnahmen weitergehen soll. Was raten Sie? Zähne zusammenbeißen und da durch und das so akzeptieren, wie es dann ist.

Beck: Also Zähne zusammenbeißen wäre mir zu brutal. Ich bin ganz gut informiert durch das deutsche Fernsehen. Ich glaube, dass man 14 Tage vertan hat, weil die Ministerpräsidenten sich nicht einigen konnten. Hätte man vor 14 Tagen schon hart durchgegriffen, könnte man es zu Weihnachten mehr lockern. Ich hoffe sehr, dass die Menschen wenigstens ein bisschen Weihnachten feiern können. Wenn überhaupt, dann jetzt nochmal hart durchgreifen, 14 Tage, drei Wochen, um dann vielleicht die Zahlen runterzufahren. Es gibt keine andere Möglichkeit.

Weihnachtsbeleuchtung in Wien über geschlossenen Geschäften / © Ronald Zak/AP (dpa)
Weihnachtsbeleuchtung in Wien über geschlossenen Geschäften / © Ronald Zak/AP ( dpa )

Ich habe das auch den Menschen hier in Österreich medizinisch erklärt. Wir haben keinen Impfstoff, wir haben kein Medikament. Wir müssen dem Virus die Nahrung entziehen. Das Virus freut sich über jeden Menschen, auf den es überspringen kann, "was zu futtern", sozusagen. Wenn wir ihm die Nahrung entziehen, stirbt es. Das ist die einzige Möglichkeit, diesem Virus sozusagen zu Leibe zu rücken, indem wir ihm die Nahrung entziehen. Und das heißt: Abstand halten, Maske aufsetzen, Hände waschen, Zimmer lüften.

Aber es darf nicht sein, dass alles zum Erliegen kommt. Natürlich muss die Polizei arbeiten können und die Einkaufsläden offen haben. Je härter jetzt nochmal drei Wochen durchgegriffen wird, desto eher gibt es für Weihnachten eine Möglichkeit, etwas zu öffnen. Wenn wir das nicht tun, dann wird sich das weiter ziehen bis Februar, März. Es wird immer weitergehen. Das Virus wird nicht weggehen, wir müssen ihm die Nahrung entziehen.

Also für mich wäre es eindeutig. Ich unterstütze Frau Merkel da sehr. Ich will jetzt hier keine Parteipolitik machen, aber der öaterreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz wollte auch schon mehr durchgreifen, konnte sich aber auch nicht ganz durchsetzen. Jetzt haben wir es hier so runtergefahren und ich glaube, es ist gut. Noch schärfer gesagt: Es gibt keine andere Alternative.

DOMRADIO.DE: Wenn man Ihre Impulse aus Österreich gerne mitnehmen möchte, wo findet man sie?

Beck: Sie finden diese in meinen Blog, der heißt katholisch.at/videoblog/corona-gedanken - dort kann man die tägliche Botschaft hören.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Katholische Kirche in Österreich

Mit knapp fünf Millionen Mitgliedern ist die Katholische Kirche die größte gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft in Österreich. Das seelsorgerische Netz umfasst mehr als 3.000 Pfarren und rund 8.000 Kirchen und Kapellen.
 

Die Flagge Österreichs / © Black Pearl Footage (shutterstock)
Die Flagge Österreichs / © Black Pearl Footage ( shutterstock )
Quelle:
DR