DOMRADIO: Das Projekt ist noch sehr neu. Kann man schon von ersten Erfahrungen sprechen?
Ulrich Lilie (Präsident der Diakonie Deutschland): Wir sind in der Startphase. "NesT" steht für "Neustart im Team" und der Neustart hat jetzt gerade stattgefunden. Das heißt, es gibt erste Teams von fünf Menschen, die sich finanziell und ideell für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge einsetzen. Wir reden dabei über die ganz vulnerablen Gruppen, zum Beispiel junge Mütter mit kleinen Kindern, Menschen in Ländern, deren Leib und Leben unmittelbar gefährdet sind.
Es ist erfreulicherweise so, dass es eine breite Unterstützung und viele Leute gibt, die sagen: Ich will mich da qualifizieren lassen. Denn sich zu qualifizieren, ist eine wichtige Bedingung, um Mentor in einer solchen Gruppe zu sein. Dann übernimmt man eine Vertretung für zwei Jahre.
Vier Mentorengruppen sind schon ausgebildet, acht stehen kurz vor der Beendigung der Basisschulung und es gibt schon zahlreiche weitere Interessenten aus unterschiedlichen Kirchenkreisen, diakonischen Werks- und Ortsverbänden. Insgesamt sind auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Bertelsmann-Stiftung, UNHCR und die Stiftung Mercator und andere Organisationen dabei. Das heißt, es gibt ein breites zivilgesellschaftliches Netzwerk.
DOMRADIO: Und dieses Netzwerk unterstützt das Bundesinnenministerium in seiner eigentlichen Arbeit.
Lilie: Ich finde, auch das ist ein Neustart. Wir hatten ja wirklich zum Teil einen Modus des nebeneinanderher Arbeitens. Da haben sich Leute zivilgesellschaftlich engagiert, hatten aber keinen Zugang zu Behörden. Hier soll jetzt von vornherein die Kooperation gelten. Und das ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem, was wir früher hatten.
DOMRADIO: Das bedeutet aber nicht, dass sich die Politik da so ein bisschen herauszieht.
Lilie: Keinesfalls. Das war eine Bedingung dafür, dass wir uns mitengagiert haben. "NesT" schafft einen zusätzlichen legalen Zugangsweg für Schutzbedürftige über das Kontingent der Resettlement-Plätze hinaus, die die Bundesregierung im Rahmen des UNHCR Resettlement-Programms zugesagt hat. Keinesfalls soll die spontane Einreise unterbunden werden. Wir wollen gemeinsam Teil der Lösung sein, wollen so aber zusätzliche Plätze für besonders gefährdete Menschen schaffen.
DOMRADIO: Gibt es da eine Schnittstelle zu den Ankerzentren, die ja viel Kritik geerntet haben?
Lilie: Das ist etwas ganz anderes. Da sind Leute bis zu 18 Monaten, wenn es ganz schlecht läuft, ohne Zugang von zivilgesellschaftlichen Organisationen und auf sich alleine gestellt, drin. Sowohl die Kirche wie die Diakonie stehen den Zentren sehr kritisch gegenüber. Da gibt es viele konzeptionelle Fragen. "NesT" haben wir selber mitentwickelt und sind überzeugt, dass das einen Versuch wert ist.
DOMRADIO: Ein Versuch für 500 Schutzbedürftige. Das reicht wahrscheinlich erst mal nicht wirklich aus, oder?
Lilie: Angesichts des großen Leides reicht eigentlich gar nichts aus. Aber dass es jetzt einmal die Möglichkeit gibt, bis zu 550 Menschen in der ersten Phase zu uns zu holen, ist ein wichtiger humanitärer Schritt. Und wenn das gut funktioniert, soll dieser Weg ausgebaut werden. Das ist, glaube ich, ein kluger Schritt angesichts der verschärften Diskussionslage, die wir um diese Thematik haben, die ja häufig wenig sachlich und erst recht nicht human geführt ist. Diese Diskussion zu versachlichen, gute Erfahrungen zu machen und sich gemeinsam um diese ersten - für eine erfolgreiche Integration wichtigen - zwei Jahre zu bemühen, sind schon wegweisende richtige Schritte.
DOMRADIO: Sie haben "NesT" mitentwickelt. Das bedeutet vielleicht auch, dass Sie da einigen politischen Akteuren beweisen wollen, es geht auch anders, oder?
Lilie: Wir wollen zeigen, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und nicht nur die Situation zu beklagen. Wir sind der Staat und wir müssen uns um die humanitären Herausforderungen kümmern. Und den Beweis treten wir sehr gerne an.