DOMRADIO.DE: Das Europaparlament hat den Brexit-Vertrag ratifiziert. An diesem Freitag um 24 Uhr tritt Großbritannien aus der EU aus. Zunächst beginnt eine Übergangsphase. Wie nehmen Sie die Stimmung in Ihrer Gemeinde wahr?
Pfarrer Andreas Blum (Katholische Gemeinde St. Bonfiatius London): Seit den Wahlen hat sich die Lage im Land schon ein wenig beruhigt. Ich würde sagen, die Hysterie auf beiden Seiten, die einen, die sich ein Schreckensszenario ausmalten, was alles passieren würde, und die anderen, die goldene Zeiten anbrechen sahen, ist so ein bisschen heruntergefahren und gedämpft.
Die Wahl hat Klarheit gebracht. Das Referendum war kein Irrtum, sondern es gibt eine Mehrheit im Land, die den Austritt befürwortet. Mit dieser klaren Aussage "Get Brexit Done" hat der britische Premier Boris Johnson die Mehrheit bekommen, sodass sich insgesamt die Stimmung nicht groß verschoben hat, aber die Diskussion ist ruhiger geworden. Andere Themen sind wieder auf der Agenda, die ja auch wichtig für das Land sind, wenn es um das Gesundheitswesen oder den Verkehr geht.
DOMRADIO.DE: Ist denn auch die Unsicherheit gewichen, jetzt, da der Brexit stattfindet?
Blum: Es gibt Fortschritte. Man muss ja jetzt als EU-Bürger im Land eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Das nennt sich "Settled Status". Das haben jetzt viele Gemeindemitglieder in Angriff genommen oder gemacht. Es hat sich herausgestellt, dass das ein recht einfacher Vorgang ist, den jeder mit seinem Handy erledigen kann. Das war eine Sache von zehn Minuten, und drei Tage später hatte ich dann meinen Aufenthaltsstatus. Solche Erfahrungen schaffen ein bisschen Ruhe in der Gemeinde.
DOMRADIO.DE: Welche Überlegungen gibt es in Ihrer Gemeinde, wie man mit der neuen Situation umgehen wird?
Blum: Wir verstehen uns ja sowieso als eine Brücke. Wir haben ein Gästehaus, in dem wir immer wieder Gruppen aus Deutschland und aus aller Welt begrüßen. Wir sehen diese Aufgabe jetzt eigentlich noch stärker als in der Vergangenheit. Wenn also politische Brücken abgerissen werden, aus welchen Gründen auch immer, dass wir kirchlicherseits für die Vernetzung der verschiedenen Auslandsgemeinden in London mit den englischen Gemeinden sorgen. Dass wir zusammen Brücken bauen, auch zum Kontinent, indem wir Gäste einladen. So haben wir zum Beispiel im nächsten Jahr auch eine Delegation der Bischofskonferenz bei uns zu Gast. Das sind Möglichkeiten, die wir sehen, um die gute Beziehung, die wir alle wollen, auch wirklich konstruktiv zu unterstützen.
DOMRADIO.DE: In dieser Übergangsphase, die heute beginnt, ändert sich erst einmal nicht so viel. Es muss eben noch einiges ausgehandelt werden: Handelsabkommen, Konsequenzen für Reisende, die davon auch betroffen sind. Haben Sie da noch Bedenken und Sorgen?
Blum: In dem Brief, den ich jetzt bekommen habe, hieß es, dass zunächst einmal alles so weiterläuft wie bisher. Wenn ich heute Nachmittag zurückfliege nach London oder auch wenn ich morgen fliegen würde, es würde sich erst einmal nichts großartig ändern. Wie das in der Zukunft sein wird, das wissen wir natürlich noch nicht. Das heißt, für Reisende wird es kaum bemerkbar sein, wenn man als Tourist unterwegs ist. Die Gemeindemitglieder, die ein Geschäft unterhalten, die wirtschaftliche Kontakte in der EU haben, machen sich schon größere Sorgen, wenn es um den Import geht, etwa von Wurstwaren oder von Bier. Deutsches Bier ist in London gut nachgefragt.
DOMRADIO.DE: Die Regierung betont ja immer wieder, dass EU-Bürger willkommen seien in Großbritannien, dass sie einen wichtigen Beitrag zur britischen Gesellschaft leisten. Können Sie dieses Gefühl bestätigen?
Blum: Ich persönlich bin noch nicht auf irgendwelche Animositäten getroffen, dass man mir signalisierte: Du als Deutscher oder du als Europäer, bist jetzt hier nicht mehr erwünscht. Die Engländer sind nach wie vor ein sehr freundliches, humorvolles Volk und Gastgeber. Aber es gibt sicherlich an der ein oder anderen Stelle durchaus auch Ressentiments, die in manchen Arbeitervororten, ohne die alle über einen Kamm scheren zu wollen, gepflegt werden.
Man muss auch sagen, dass die Erfahrung dieser Menschen oft bitter war. Die Freizügigkeit der EU - habe ich gerade noch gelesen - hat in den oberen Gehaltsschichten im Wettbewerb um gute Leute zu einer Einkommenssteigerungen geführt. Aber gerade bei den unteren Gehaltsschichten auch zu erheblichen Einbußen. Da macht sich dann eben auch dieses Ressentiment gegenüber Ausländern, die vermeintlich Arbeitsplätze wegnehmen, dann doch deutlich bemerkbar.
DOMRADIO.DE: An diesem Nachmittag werden Sie sich in den Flieger Richtung London setzen und rechtzeitig vor Mitternacht da sein. Was erwarten Sie?
Blum: Die einen werden feiern, die anderen müssen vielleicht getröstet werden. In jedem Fall glaube ich, ich sollte bei meiner Gemeinde sein.
Das Interview führte Carsten Döpp.