KNA: Frau Hagen-Jeske, wie kommt man darauf, ausgerechnet das Brautkleid zu erforschen?
Ina Hagen-Jeske (Volkskundlerin von der Universität Augsburg): Vor fünf Jahren habe ich selbst geheiratet. Damals habe ich mich intensiv mit dem Thema Hochzeit beschäftigt und festgestellt: Das Brautkleid spielt dabei eine zentrale Rolle. Ich habe entdeckt, was es dazu für Messen, Fernsehformate und Rituale gibt. Gerade letztere interessieren mich als Ethnologin sehr, die Brauchforschung ist ein wichtiger Bestandteil unseres Faches. Umso erstaunlicher, dass so vieles rund ums weiße Brautkleid noch unklar ist.
KNA: Was denn?
Hagen-Jeske: Seine Herkunft etwa. Vermutlich kam es erst im 19. Jahrhundert auf, unter Adeligen. Nur sie konnten es sich leisten, empfindlichen hellen Stoff anzuziehen. Als Statussymbol dürfte es auch der Abgrenzung zum einfachen Volk gedient haben, denn die wertvollen Stoffe waren sehr pflegeintensiv und konnten schnell schmutzig werden. Auch im übertragenen Sinne stand Weiß für Rein-, also für Unberührtheit. Zuvor trugen Bräute lange einfach ihr Festtagskleid - kein eigens für den Tag gemachtes. Durchgesetzt hat sich das weiße Brautkleid auch erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem steigenden Wohlstand. Heute ist es nahezu weltweit verbreitet.
KNA: Aber erfunden wurde es in Europa?
Hagen-Jeske: Da wäre ich vorsichtig. Die Geschichtsschreibung der Mode ist sehr europazentriert. Ich kann noch nicht ausschließen, dass es auch außerhalb Europas helle Hochzeitskleidung gibt oder gab. Das bedarf weiterer Nachforschung. Als stilbildend gilt allerdings schon, dass die englische Queen Victoria und Österreichs Kaiserin Sisi als Bräute helle Kleider getragen haben.
KNA: Sie haben die Rituale schon angesprochen. Welche gibt es rund ums Brautkleid?
Hagen-Jeske: Insbesondere der Kauf ist heute stark ritualisiert. Er folgt meist einem bestimmten Muster und unterscheidet sich dadurch vom Alltags-Shopping. Man muss für den Ladenbesuch meist erst einen Termin ausmachen, die Läden sind opulent ausgestattet mit rotem Teppich und Kronleuchtern, man nimmt ein ganzes Beraterinnenteam mit, man bekommt eine persönliche Verkäuferin und Sekt, man darf Kleider oft nur mit Handschuhen anfassen. Ehemalige Bräute berichteten mir zudem, dass es sie sehr berührt hat, sich zum ersten Mal selbst im Spiegel als Braut zu sehen. Am Ende wird bei einem erfolgreichen Abschluss darauf angestoßen oder gar eine Glocke geläutet.
KNA: Warum das alles bloß?
Hagen-Jeske: Dieses besondere Kauferlebnis schreibt dem Kleid eine besondere Bedeutung zu. Rituale markieren etwas Außergewöhnliches. Hochzeiten finden ja nicht alle Tage statt. Rituale geben auch Struktur und Sicherheit. Der Bedarf danach mag eine Reaktion auf - zumindest so empfundene - gegenteilige Entwicklungen in der Gesellschaft sein. Eine trendgebende Rolle spielen auch die Sozialen Medien. Dort zeigen Nutzerinnen ständig, was rund ums Brautkleid alles gemacht werden kann. Vielleicht verbirgt sich dahinter die Hoffnung, dass das perfekte Kleid auch den Weg für eine gute Ehe ebnet.
KNA: Aberglauben spielt beim Brautkleid also auch eine Rolle.
Hagen-Jeske: Ethnologen sprechen vom Volksglauben, aber ja. Das gilt auch für Second-Hand-Kleider, die im Zuge der Nachhaltigkeit öfter gekauft werden. Viele fragen sich: Darf ich ein Kleid anbieten oder kaufen, das aus einer inzwischen geschiedenen Ehe stammt? Verbreitet ist bekanntlich auch die Meinung, der Verlobte dürfe das Kleid erst zur Trauung sehen, sonst gebe es Unglück. Das betont wie schon der ritualisierte Kauf wieder das Außeralltägliche des Brautkleids. Bei Paaren mit muslimischen Bezügen ist der Verlobte beim Brautkleidkauf allerdings häufig dabei, da seine Familie in der Regel die Brautkleidung bezahlt.
KNA: Welche Religionseinflüsse auf das Brautkleid gibt es noch?
Hagen-Jeske: Für bedeckte Musliminnen ist es etwa wichtig, dass Arme, Schultern und Kopf entsprechend bekleidet sind. Bei einer Brautabholung habe ich beobachtet, wie vom Brautvater ein rotes Band um die Taille gelegt wurde - als Zeichen der Jungfräulichkeit. Christliche Trauungen fanden hierzulande übrigens früher oft in Schwarz oder Dunkelblau statt. Das hatte aber keine religiösen, sondern praktische Gründe. Denn wie gesagt trugen Bräute einst ihr Festtags- beziehungsweise Kirchgangskleid - und das war zumindest auf dem Land noch bis ins 20. Jahrhundert häufig dunkel, um es möglichst lange nutzen zu können.
KNA: Zig Trauungen wurden nun coronabedingt verschoben. Wirkt sich die Krise auch aufs Brautkleid selbst aus?
Hagen-Jeske: Viele Feste dürften in nächster Zeit in einem kleineren Rahmen als geplant stattfinden. Womöglich passt sich die Brautmode dem an und die Kleider werden dezenter.
Das Interview führte Christopher Beschnitt.