"Woche der Demenz" beginnt am 19. September

Kampf gegen ein "pathologisches Dreigestirn"

Jeden Tag erkranken in Deutschland über 100 Menschen neu an einer Demenz. Für viele Bürger sind Alzheimer und Co. eine Horrorvorstellung. Doch die Wissenschaft macht ganz allmählich Fortschritte.

Demenzkranke können ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Demenzkranke können ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

Ein "Wundermittel" ist nicht in Sicht. Im Kampf gegen Demenz und Alzheimer entpuppten sich schon viele Hoffnungszeichen als Fata Morgana. In der am Montag beginnenden "Woche der Demenz" werben Bundesregierung, Ärzte und Betroffenenverbände deshalb vor allem um Verständnis und die Unterstützung für Erkrankte und pflegende Angehörige.

Bisherige Medikamententests liefern enttäuschende Ergebnisse, wie der Verband forschender Arzneimittelhersteller einräumt. "In den letzten Jahren haben wir fast ausschließlich Misserfolge gesehen." Eine 2014 publizierte Untersuchung über die von 2002 bis 2012 in klinischen Studien erprobten Medikamente ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 Prozent.

Zahl der Menschen mit Demenz steigt

Für die 35 Millionen Menschen auf dem Globus, die allmählich ihr Gedächtnis und ihre Persönlichkeit verlieren, eine erschreckende Nachricht. Auch für die rund 1,6 Millionen Menschen, die in Deutschland an einer Demenz erkrankt sind. Ohne entscheidende Fortschritte bei Vorbeugung und Therapie könnte die Zahl der Menschen mit Demenz hierzulande bis 2050 auf rund drei Millionen anwachsen, schätzt die Alzheimer-Gesellschaft. Die menschlichen, aber auch die finanziellen Belastungen sind erheblich: Kostenschätzungen für Deutschland gehen von 40 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr aus.

Der Bonner Demenzforscher Michael Heneka rechnet damit, dass in den kommenden 20 Jahren ein Medikament entwickelt wird, das Demenzerkrankungen verlangsamt oder gar aufhält. Medizin und Wissenschaft hätten in den vergangenen drei, vier Jahren ein völlig verändertes Verständnis der Erkrankungen erarbeitet, sagte der Neurologe am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn.

Demenzen beginnen 20 bis 30 Jahre vor der Hochphase

Bislang seien die Forscher davon ausgegangen, dass die Erkrankung beginnt, wenn sich erste Anzeichen von Gedächtnisstörungen zeigten, erläutert Heneka. Das passiere meist zwei bis drei Jahre, bevor das Krankheitsbild richtig ausgeprägt sei. "Mittlerweile wissen wir, dass Demenzen fast 20 oder 30 Jahre vor der Hochphase der Erkrankung beginnen - zu einem Zeitpunkt, an dem keiner etwas davon merkt."

Auch die Suche nach den Ursachen hat Neues ergeben: Jahrzehntelang hat sich die Forschung auf die vielbeschriebenen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn konzentriert, die die Nervenzellen schädigen. "Mittlerweile gehen wir aber von einem pathologischen Dreigestirn aus", sagt Heneka: den Ablagerungen außerhalb der Zellen, Eiweißverklumpungen innerhalb der Zellen und Fehlfunktionen des Immunsystems. Diese Faktoren reagieren offenbar über Jahrzehnte miteinander. Das macht es sehr kompliziert.

Es sei jetzt wichtig, die frühe Phase der Erkrankung besser zu verstehen, weil dann Therapien möglicherweise viel wirkungsvoller seien, fügt der Neurologe hinzu. Es müssten unterschiedliche Therapien für die verschiedenen Krankheitsphasen entwickelt werden.

Größtes Risiko ist das Alter

Experten sehen mehrere Faktoren für das Ausbrechen von Demenz: Das größte Risiko ist das Alter. Nach dem 65. Lebensjahr verdoppeln sich Erkrankungen alle fünf Jahre. Nach dem 85. Lebensjahr erreicht das Risiko fast 50 Prozent. Auch wer eine Alzheimer-Familiengeschichte hat, trägt ein hohes Erkrankungsrisiko - zwei bis fünf Prozent der Erkrankungen seien durch familiär weitergegebene Genmutationen verursacht, sagt Heneka. "Bei den übrigen Fällen gibt es offenbar eine Mischung aus genetischem Risiko und Lebensstil. Und letzter ist ja beeinflussbar." Übergewicht, Bluthochdruck oder Entzündungen im Körper spielen offenbar eine Rolle. "Wer sich viel bewegt, auf sein Gewicht achtet und beispielsweise mediterrane Diät hält und Fisch isst, kann sein Erkrankungsrisiko senken."

Dieser Zusammenhang führt offenbar auch zu einem leichten Rückgang der Erkrankungsraten in den jetzt kommenden Altersjahrgängen. "Das liegt vermutlich daran, dass die Menschen, die jetzt 65 Jahre oder älter werden, gesundheitsbewusster gelebt und mehr Sport getrieben haben als frühere Generationen", sagt Heneka. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Zahl der Demenzkranken in den kommenden Jahren dramatisch wachsen wird - einfach, weil die Zahl der alten Menschen zunimmt.


Quelle:
KNA